Uran-Tagebau im Norden Kanadas

Wir konnten den Urangehalt im Gammaspektrometer der Gesellschaft für Strahlenmesstechnik in Münster nicht messen. Der Zeiger knallte so extrem nach rechts, dass der Techniker Angst bekam, das Gerät gehe kaputt. Dann haben wir von dem Brocken ein Stück wie einen halben Fingernagel abgespalten. Das war für das von dickem Blei geschützte Gerät, mit dem wir Lebensmittel nach Tschernobyl gemessen haben, immer noch zu viel. Mit einem winzigen Splitter kamen wir dann auf 30 Prozent. Weil das unglaublich schien, haben wir in einem befreundeten Labor nachmessen lassen. Was tun mit dem Tennisball-großen Uranbrocken? Aufs Rad, in den Wald und verbuddeln. Und wie kam er nach Deutschland? In meiner Fototasche. „Ich liebe Kanada so, ich möchte gern einen kleinen Stein Ihres wundervollen Landes mit nach Hause nehmen“, hatte ich beim Einchecken erläutert.

Dieser Beitrag erschien in einem der dreißig Stadtmagazin, für die ich zu jener Zeit monatlich einen Bericht über die Strahlenbelastung von Lebensmitteln lieferte, den Strahlenspiegel. Möglich wurde das durch modernste Technik: seit 1979 ermöglichte die Deutsche Bundespost die Übertragung von Fernkopien. Im Jahr von Tschernobyl, 1986, gab es bereits 25.000 Anschlüsse, 1989 dann 375.000. Der Durchbruch des Fax-Geräts.

Wo kam eigentlich das Uran für die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki her? Warum sprechen die Manager und Techniker im Land der Inuit und „Indianer“ deutsch? Wieso steht „Rheinbraun“ an den Containern? Was hat RWE damit zu tun? Wie sieht es mit dem Trinkwasser rund um den Uran-Tagebau aus? Was wurde aus denen, die bis in die 1970er Jahre hier als Jäger und Sammler lebten?

Deutsche Atom-Unternehmen in Kanada

Siebentausend Meter in der Luft. Haufen grün leuchtender Dollarnoten liegen auf dem Tisch. Gin fließt in die eisgekühlten Cola-Bechern. Spielkarten fliegen. Feierabendstimmung. Die Uranmanager fliegen nach Hause, zockend, lachend, trinkend sitzen sie zu viert um den ausgeklappten Tisch der Cessna Conquest. Von der Mine ganz im Norden geht es zurück in die Prärie in die Verwaltungsstadt Saskatoon. Um den Tisch sitzen der Vize-Präsident der Key Lake Minen Gesellschaft, ihr Personalchef, ein Techniker und der Werksleiter Josef Spross. Spross gewinnt. Er hat immer gute Karten. Nach Kanada kam er mit der deutschen Uranerz GmbH. Das ist die Firma, die ohne atomrechtliche Genehmigung eine Versuchsanlage im Bonner Wohngebiet betreibt. Gelernt hat er auf einer Zeche im Sauerland. Key Lake ist sein Kind. Er hat die Uranmine aufgebaut. Heute arbeitet der stämmige Mann mit der energischen Stirn für die Key Lake Mining Corporation. Zu zwei Dritteln gehört die Gesellschaft dem kanadischen Staat, zu einem Drittel der Uranerz. Wo der Staat mitverdient, sind die Genehmigungen leichter zu erhalten. Unter dem Flugzeug liegen unendliche Wälder und Seen, eine von der Eiszeit geprägte Endmoränenlandschaft. Bären, Elche und Rentiere leben hier – und Indianer. Bis in die siebziger Jahre streiften sie als Jäger und Sammler durch die Wälder, fischten und sammelten Beeren. Auf ein Gebiet, größer als die Bundesrepublik, verteilten sich dreißigtausend Menschen. Da läßt sich jagen und fischen, ohne daß das Gleichgewicht der Natur angegriffen wird. Heute wohnen die Indianer in Fertigbau-Siedlungen, haben Fernsehen mit Satellitenantenne, Schnaps und Porno-Videos. Sie sind zivilisiert. Eine von den Cree-Indianerinnen, die das nicht mitmacht, ist Adele Ratt, einunddreißig, Ökologin, Kettenraucherin, Mutter eines Kindes. Josef Spross, der Feierabendzocker: „Die war zu lang bei den Indianern in Nevada. Da haben sie eine Gehirnwäsche mit ihr gemacht. Seitdem lebt sie in dem Wahn, ihr Volk retten zu müssen.“ Zur Erklärung: In Nevada/USA sind die Navajos und Hopi vom Uranabbau und von den Atombombentests gleichzeitig betroffen und kämpfen zusammen mit der weißen Umweltbewegung. Was kann eine Frau schon haben, wenn sie sich so aufspielt: Gehirnwäsche oder sexuelle Probleme.

Adele Ratt wuchs in den nördlichen Wäldern auf und ist heute Stadträtin in der kleinen Siedlung Prince Albert, irgendwo unter dem Flugzeug: „Die Regierung brauchte für die Umsiedlung meines Volkes keine Waffen. Sie versprachen uns schöne Häuser mit Fernsehen. Wir würden in den Siedlungen ein besseres Leben haben und nicht mehr so hart arbeiten müssen. Wir könnten ein Leben führen, wie der Rest der Gesellschaft. Aber wir merkten, daß unser Leben schwerer wurde. Wir können uns an diese Gesellschaft nicht anpassen. Diese Lebensweise ist zu fremd für uns.“
Jäger und Sammler, die mit der Natur leben, die von der Natur leben, die sich nicht mit einem „macht Euch die Erde Untertan“ darüber erheben, lassen sich in fünfzehn oder zwanzig Jahren nicht umstellen. Mit der Natur leben, das heißt: manchmal trifft der Speer, manchmal nicht. Manchmal hat der Elch Glück, manchmal ich. Manchmal ist genug zu essen da, manchmal nicht. Demokratische, gleichberechtigte Verhältnisse – sagen die Traumtänzer. Keine Zielstrebigkeit, Fatalismus, sagen die Realisten. Sie gingen auf die Jagd, wenn sie Fleisch brauchten oder die Bedingungen günstig waren. Nicht wenn der Wecker zur Frühschicht läutete. Angesehen war, wer nach der Jagd viel abgeben konnte. Nicht der, der viel anhäufte. Geld spielte keine Rolle. Wer heute in den Minen arbeitet, sieht, wie sich Geld scheffeln läßt, wie man wohlhabend werden kann, er isoliert sich und wird isoliert. Und wer nicht in den Minen arbeitet, hat die Wahl zwischen Sozialhilfe oder mühsamen Jagen. Polarkälte im Winter. Hitze und Mücken im Sommer. Weit über die Hälfte ist unter fünfundzwanzig Jahre. Bis die jungen Indianer gemerkt haben, wie Sozialhilfe abhängig und träge macht, ist es oft zu spät. In der Prärie, im Süden der Provinz Saskatchewan, ist heute kein Platz mehr für die Indianer. Dort wird auf einem Streifen von tausendvierhundert Kilometern Länge von der Grenze mit den USA bis hin zu den nördlichen Wäldern Weizen angebaut, in Monokultur. Im Norden stoßen die Interessen der Indianer direkt mit denen der Uranindustrie zusammen. Eine urzeitliche Gesellschaftsform mit der Gewalt modernster Technologie. Die Cree tragen heute keinen Federschmuck sondern Turnschuhe, Jeans und T-Shirts. ,,Indianer“ will Adele Ratt nicht hören: „Nur weil ein Europäer namens Columbus nicht fähig war, nach Indien zu segeln, sind wir noch lange keine Indianer.“ Sie sind Natives: Eingeborene, Ureinwohner. Die Cessna Conquest, das heißt „einen Sieg erzwingen“, mit ihren acht Sitzplätzen und zwei Piloten fliegt auf einer Flughöhe von einundzwanzigtausend Fuß halb so schnell wie ein Jumbo Jet, dreihundertfünfzig Kilometer die Stunde. Der Managerflug. Schnell muß es gehen: schnell das Uran gefördert, schnell der Flug, schnelles Geld. Die zwölf Stunden Schichten schlauchen. Josef Spross macht noch länger. Deutsche Gründlichkeit. Vorarbeitermentalität. ,,Damit die Leute merken, daß er sich um sie kümmert“, sagt sein Präsident John Nightingale beim Mittagessen – einem Menü, warm und kalt, für alle Arbeiter, wie ich es noch in keinem Hotel der Spitzenklasse gesehen habe. Josef kann auf Key Lake nicht schlafen. Spätestens um halb fünf wird er wach. Ständig unter Strom. Fünfhundert Millionen D-Mark an Investitionskosten müssen wieder reinkommen. Die Mine muß laufen, Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr. Fliegen dürfen auch die Arbeiter. Mit behäbigeren Maschinen werden sie von sieben Orten abgeholt. Zu sieben Tage Schichten zu je zwölf Stunden. Sie verdienen mehr, als alle anderen Industriearbeiter und haben Flug, Unterkunft und Verpflegung frei. Geld ist natürlich keine Gehirnwäsche. Beim Waschen wird etwas sauber. Ihr Hirn wird mit Geld zugeschissen. Die Unterkunft in einem abgelegenen Urancamp: Wellblechbaracken, Bretterbuden? Weit gefehlt. Der Chef der Uranerz in Kanada, Dr. Gerhard Kirchner, der vollklimatisiert im dreizehnten Stockwerk eines Verwaltungstowers mit Blick über die Stadt Saskatoon bis hin in die Prärie sitzt: „Wir haben an der Mine einen hotelartigen Komplex errichtet, wo jeder Angestellte sein Einzelzimmer hat, wo es eine Art von Hotelküche mit drei Menüs gibt, wo Squash-Plätze vorhanden sind, wo es eine Sauna gibt, Gymnastikräume, Bowling, Tennis, Golf. Was eben zu einer modernen Zivilisation gehört, wurde dort eingerichtet.“ Kirchner kommt aus Österreich, ist an die sechzig, durchtrainiert, Jäger und Fischer. Um den von der Landwirtschaft bedrohten Lebensraum einheimischer Tiere zu erhalten, kauft er mit Freunden Feuchtbiotope auf. Dr. Kirchner ist Geologe und Bergingenieur. Sandalen, heller Anzug, offenes weißes Sporthemd. Ein Wissenschaftler mit Goldsuchermentalität. Er hat Key Lake entdeckt. Zurück zur Mine. Nach der Schicht ist die Squash-Halle voll. Zwölf Stunden auf den Caterpillars hocken strengt an. Da brauchen die zweihundert Arbeiter, die pro turn an der Mine sind und die etwa fünfzig Angestellten Bewegung. Für Arbeitsschutz und Freizeit wird alles getan. Ein Manager berät bei Freizeitproblemen. Sicherheit wird angeblich groß geschrieben auf der Mine. Die Pflichten: Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen, Entstauben der Schuhe mit den Schuh-Waschmaschinen, die im Eingangsbereich jedes nicht kontaminierten Gebäudes stehen, Schutzbrillen in den Labors, Sicherheitsgurte in den Fahrzeugen. Auch für strahlengeschützte Arbeitsbedingungen wird gesorgt. Dr. Kirchner: „Alle Transportfahrzeuge sind durch Bleischilde im Rücken der Fahrer geschützt, alle Fahrerkabinen sind verglast und stehen unter Überdruck mit gefilterter Luft, damit Radongas nicht eindringen kann.“ Bei der Hitze im Sommer ist es angenehmer, mit offener Tür zu arbeiten. Eben wird im Tagebau die zweite Fundgrube, die Deilmann-Mine, mit nicht ungewöhnlich großen Baustellenfahrzeugen erschlossen. Der Vorarbeiter geht zu einem kleinen Bohrwagen, mit dem die genaue Lage des Erzkörpers bestimmt wird. Aus den Bohrlöchern kann Radongas aufsteigen. Kleine schwarze Häufchen liegen da. Das Uranerz.“ Pechschwarz. Pechblende. Im Fichtelgebirge war schon 1546 bekannt, daß Gase Bergleute töten. Lungenkrebs wurde im vorigen Jahrhundert immer wieder beschrieben, vor allem beim Pechblende-Abbau im Joachimstal. Die Uranindustrie will von der Gefahr des Radongases erst jetzt in den siebziger Jahren gehört haben. Inzwischen starben in Kanada hunderte von Bergleuten an Lungenkrebs. Und da Krebs zehn bis dreißig Jahre zu seiner Entwicklung braucht, ist ein Ende nicht abzusehen. ,,Sicherheit“ auch bei den Klärschlämmen. Das Uran ist also gefördert, mit dem Laster zur Mühle gebracht, wo der Crasher es zu Staub vermahlt. Willi Bilette, ein Cree, der Jahre in einer Uranmühle arbeitete: „Es ist staubig in der Mühle, obwohl sie versuchen, den Staub runterzubekommen. Die ganze Mühle ist Gefahrenzone. Wie willst Du dich da schützen gegen die Radioaktivität? Die ist überall und du bist mittendrin. Du kannst sie nicht sehen, du kannst sie nicht fühlen, aber sie ist da.“ Auch in der Key Lake Mine ist die Mühle Gefahrenzone Nummer eins. Der Uranstaub wird dort mit saurem Wasser versetzt und geht per Pipeline zur Fabrik, in der das Uran chemisch und unter einem Druck von acht Bar herausgelöst wird. Die Firma, die diese Anlage entwickelte, baute sie auch für die Rangermine in Australien. Deutsche Beteiligung dort: die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), die Urangesellschaft und Saarberg Interplan. An letzterer ist auch das Saarland beteiligt. Grüße an Oskar Lafontaine und Jo Leinen. Beteiligungen an der Saarberg Interplan haben außerdem die Energie- Versorgung Baden (EVB) und die Badenwerke. Die Energie-Versorgung Baden gehört u.a. dem Land Baden-Württemberg und den Technischen Werken Stuttgart. Deren Atomstromanteil liegt über fünfzig Prozent. Beteiligungen am AKW Philippsburg I und II, Obrigheim, Neckarwestheim I und II. An Philippsburg und Obrigheim ist auch das Badenwerk beteiligt, außerdem am AKW Kaiseraugst und Leibstadt in der Schweiz. Das Badenwerk gehört u.a. dem Land BadenWürttemberg, badischen Kommunen und zwanzigtausend Aktionären. Betroffen sind in Australien die Ureinwohner. Vom Uranabbau heute und von den britischen Atombombentests früher. Das Testgebiet wurde damals nicht einmal geräumt. Wie eine Kläranlage sieht die vorletzte Station der Uranfabrik aus. Eine gelbe Flüssigkeit wird in einem Becken gerührt: Yellowcake. Der Stoff der Träume der Industrie. Yellowcake, das gelbe Uranoxyd. ,,Was wir brauchen, sind keine Aktienanteile. Wir wollen Yellowcake“ – Dr. Kirchner. Die kleine Goldmine der Uranerz GmbH hält er nicht einmal der Erwähnung wert. Nach der Trocknung bei 850 Grad wird Yellowcake unansehnlich grau und kommt in einfache 200 Liter-Olfässer. Jedes zu zwei Drittel gefüllte Faß wiegt dann 450 kg. Die Abfüllstation ist der nächste radioaktive Brennpunkt. Über ein Förderband kommen die noch offenen Fässer heraus, Deckel drauf und ab mit dem Stapler ins Lager, bis der nächste Container von „Braunkohletransport“ kommt, einer Tochter der RWE. Den RWE gehört auch die Hälfte der Uranerz GmbH. RWE, das sind in der Stimmenmehrheit über sechzig Städte und Gemeinden von Aachen, Bottrop, Düsseldorf, Köln, Krefeld, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen bis Oberhausen, Solingen, Viersen und Wesel. AuBerdem rund zweihunderttausend Aktionäre, die sich prozentual genau aufschlüsseln lassen nach Selbständigen (7,4 %), Arbeitnehmern (7,6 %), Hausfrauen (5,5 %) und Rentnern (4,2 %)

Auch andere Energieversorgungsunternehmen wie die Preussen Elektra brauchen Uran für ihre Atomkraftwerke. Preussen Elektra ist eine Tochter der VEBA, die sechshunderttausend Aktionären und zu einem Viertel dem Bund gehören. Die Firma ist beteiligt an den Atomkraftwerken Brokdorf, Stade, Unterweser, Grohnde, Krümmel, Brunsbüttel, Würgassen, an der WAA Wackersdorf, an der Urananreicherungsanlage Gronau und, zusammen mit Nukem und Hoechst, an der Uranit. Außerdem an der Urangesellschaft und diese wiederum – so schließt sich der Kreislauf – ist gerade dabei, auf Eskimogelände in Kanada eine Uranmine zu erschließen. Saskatoon, die Verwaltungsstadt. Hierhin hatten die Natives und die Umweltbewegung eingladen. Der Uranabbau im Norden, das sei nicht nur ihre Sache, das sei von weltweiter Bedeutung. Unter den Gästen: die 62jährige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Lilo Wollny: ,,Die Atommafia ist international organisiert. Wir müssen den Betroffenen hier zuhören, mit ihnen reden, um den Kampf international führen zu können.“ Lilo Wollny fand schnell Zugang zu einer älteren Ureinwohnerin, die ihren Mann, einen ehemaligen Minenarbeiter aus Uranium City, hunderte von Kilometern in ein Krankenhaus nach Prince Albert gebracht hatete. Während seines Aufenthaltes dort wohnte die Frau in einem von den Natives dafür errichteten Heim. ,,Die alten Männer, die im Bergwerk gearbeitet haben, warnen die Jungen davor, auf die Minen zu gehen. Es gibt da etwas, das heißt ‚radiation‘. Viele sind daran gestorben.“ Weiß die Frau, wovon sie da spricht? Wissenschaftlich sicher nicht. Tatsache aber ist, daß in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren in Uranium City weder von Radongasen, noch von Umweltschutz die Rede war. Damals lieferte Kanada Uran für das Manhattan Projekt, das amerikanische Atombombenprogramm, aus dem die Bomben für Hiroshima und Nagasaki stammten. Mark Stobbe, heute Berater der oppositionellen New Democratic Party: ,,Es war genau bekannt, wozu das Uran gebraucht wurde. Besonders in solchen Kreisen, die gegen den Kommunismus kämpften und die Atomwaffen bauten, die uns angeblich gegen jeden möglichen Feind schützen sollen.“ Es war die Zeit des kalten Kriegs. Heute wird kanadisches Uran weiter an die USA geliefert, wo Reaktoren für zivile und militärische Produktion gleichzeitig arbeiten. Dort wird in Savannah River Bomben-Plutonium erbrütet. Über eine Beteiligung von achtzig Prozent französischen Kapitals an der Cluff-Lake Mine in Saskatchewan gelangt Uran ins französische Bombenprogramm. Schließlich hat Kanada durch den Export der dazu gut geeigneten CANDU Atomreaktoren mindestens Indien, Pakistan, Argentinien und Südkorea in die Lage versetzt, Bomben-Plutonium zu erbrüten. Kanada ist mit einem Anteil von vierunddreißig Prozent der größte Uranexporteur der westlichen Welt. Der Uranboom für zivile AKWs setzte erst in den Siebzigern ein, als die ölproduzierenden Länder angemessene Preise durchsetzen. Um von den Ölscheichs und Ghadaffi unabhängig zu werden, setzten die Industriestaaten aufs Atom. Da die Bundesregierung mitmischen wollte, zahlte sie den uransuchenden Firmen die Hälfte ihrer Explorationskosten. Heute bezieht Westdeutschland vierzehn Prozent des Natururans aus Kanada, vierzig Prozent aus Südafrika und Namibia und rund ein Drittel aus Australien. In Kanada wurden damals die Uranarbeiter als Helden gefeiert.

„Das Abbaugestein der Minen brachten sie in die Stadt und bauten daraus Straßen und Häuser. Auch das Haus, in dem ich aufwuchs, war aus radioaktivem Material. Die höhere Schule wurde aus extrem radioaktivem Material gebaut“, berichtet Mark Stobbe. Die Folge waren Fehlgeburten, eine hohe Säuglingssterblichkeit und nach Jahren entstand Krebs. „Heute würde man solche Gruben besser ventilieren und solche Probleme, das heißt also Lungenkrebs, würde nur in verringertem Maß auftreten“, sagt Dr. Kirchner. Früher arbeiteten die Gesellschaften kostengünstiger. Mark Stobbe: „Den radioaktiven Schlamm ließen sie einfach durch Röhren laufen und heute liegt dort noch alles, was nicht ausgewaschen oder weggeweht wurde.

Die Schlämme wurden zurück in die Stollen gepumpt und drangen später in den Athabaska See ein.“ Ein ganzes Wassersystem wurde verseucht Zugegeben, heute ist vieles besser geworden – solange es klappt. Einmal wurde die Key Lake Gesellschaft vor Gericht für schuldig befunden, eine Reihe von Seen illegal drainiert zu haben. Trotz Geldstrafe durfte weitergearbeitet werden. Später traten große Mengen radioaktiven Wassers aus. Menschliches Versagen. Die Leitungen waren nicht abgestellt worden. Die Schlämme von Key Lake werden heute vergipst, um das Radon, ein Zerfallsprodukt des Uran, darin einzuschließen. Bentonit, eine Art von Ton mit Sand vermischt, hält den Gips-Schlammteich zusammen. Das hält schon seit über fünf Jahren. Hundert Millionen DM seien für den Umweltschutz ausgegeben worden, reklamiert die Uranerz. Geld spielt offenbar keine Rolle. Der Uranabbau rentiert sich bereits bei 0,1 Prozent Urangehalt im Erz. In Key Lake liegt der

Anteil durchschnittlich bei 2,5 Prozent, also fünfundzwanzig mal höher. Nachmessungen des Erzes in Deutschland ergaben Einzelwerte von über 30 Prozent Urangehalt. Technische Probleme gibt es nicht. Josef Spross: „Wenn ich die Konstruktion und das Design der Anlage betrachte, so kann, vom technischen Standpunkt aus, keine Gefahr davon ausgehen.“ Logische Folge für Dr. Kirchner, was die ewigen Kritiker angeht. „Wenn diese Umweltbewegung vor vierzig Jahren aktiv gewesen wäre, wäre das notwendig gewesen. Heute ist das Vergangenheit, Geschichte. Man hat daraus gelernt und macht es besser.“ Zwischenlandung in La Ronge. Hier habe die Minen eine gemeinsame Wäscherei: lokale Arbeitsplätze schaffen. Noch eine knappe Stunde bis Saskatoon.

Die euphorische Feierabendstimmung ist verflogen. Ausgelaugt, vom Arbeitstag und Alkohol, Frau und Kinder vor Augen, hängen die Manager in den Sesseln, Wir nehmen einen Mitarbeiter der Key Lake Gesellschaft auf, der hier über die Entwicklung eines neuen Curriculums für – die Natives mit dem Northern Saskatchewan Education Board verhandelt hat. Personalchef Bissett: ,,Die Zusammenarbeit läuft hervorragend.“ Valerie, die Chefsekretärin von Dr. Kirchner sieht das ähnlich. Sie räumt zwar ein, daß ,,man der Uranerz vorhalten könne, sie würden einen zu geringen Teil des Gewinns im Norden lassen. Aber andererseits: wer würde sonst überhaupt Geld in die Entwicklung des Nordens stecken? Die Exploration kostete Millionen und die Leute im Norden könnten das Kapital nie aufbringen. Und von uns, der Uranerz, wurde niemand gezwungen in den Minen zu arbeiten.“ Sie findet, daß die Umweltbewegung alles durcheinanderbringt: „Strahlung, Kolonialismus, Umweltzerstörung, Ausbeutung, Uran für Waffen, mag es ja alles geben. Aber die Welt ist so komplex, wer will das alles beurteilen, isn’t it? Schließlich werden den Natives (!) auch ausgefeilte Kurse angeboten, wo jede erworbene Qualifikation auch von den anderen Minen anerkannt wird.“ Übrigens ist Valeries Mann Chef des Northern Saskatchewan Education Board. Er plant mit den Minengesellschaften das Weiterkommen der Ureinwohner. Die Zusammenarbeit läuft wirklich hervorragend. Staat und Uranindustrie verheiratet, symbolischer geht es nicht. Personalchef Jerry Bissett schwärmt von der Stufenausbildung: „Wenn ein bei uns ausgebildeter Elektriker in sein Dorf kommt, bringt er Geld und Wissen mit und kann andere anleiten, etwas zu reparieren. So strahlt unsere Ausbildung auf die ganze Wirtschaft und den sozialen Wandel im Norden aus.“ Josef Spross kann solchen ideologischen Firlefanz nicht hören. ,,Wir haben das Problem, daß die Natives nicht mehr in ihren Siedlungen bleiben, wenn sie bei uns etwas verdient haben. Dann ziehen sie in die Stadt und wir können unsere Auflage nicht mehr erfüllen, daß die Hälfte der Belegschaft aus dem Norden kommen muß.“ Um die nächste Generation besser bei der Stange halten zu können, ließ sich Dr. Kirchner ein besonderes Programm einfallen: die Kinder der Natives sollen Skilaufen lernen und kleine Wettbewerbe machen. Ski und Lehrer werden den Schulen gestellt. „Wir glauben, daß damit ein gewisser Wetteifer und Initiative bei der Jugend gefördert wird, der dann notwendig ist im späteren weiteren Leben.“ Adele Ratt hat nichts gegen Skilaufen, ,,aber ich wende mich dagegen, daß sie Leute in den Wettbewerb treiben wollen. In unserer Gesellschaft halfen wir einander, wir arbeiteten einer mit dem anderen, wir waren Teams.“ Viele Natives fühlen sich heute nutzlos und überflüssig. Sie haben das Selbstvertrauen verloren. Vom stolzen Indianer blieb nichts übrig. Adele Ratt sagte: wir können uns an die neuen Lebensverhältnisse nicht anpassen. Darwin sagt: wer sich nicht anpaßt, stirbt aus. Als Individuen, bestehen für die Natives Überlebenschancen. Als Kulturvolk sieht es für die Ureinwohner düster aus. Da haben sie schlechte Karten.

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