Ruanda – ein Morgen im Gesundheitszentrum

Vor dem Gesundheitszentrum in Mukoma warten Hunderte von Frauen.
Ich habe mich an einem Morgen einige Stunden ins Gesundheitszentrum gesetzt und die ersten 35 Fälle dokumentiert. Ins Centre de Santé kamen an jedem Tag zwischen 150 und 250 Patientinnen und Patienten – zu zwei Krankenschwestern. Vier Minuten pro Patient inklusive Statistik. Eine unglaubliche Leistung.

Dieser Bericht ist handschriftlich, mein Original vom 5. August 1984. Ich wollte dokumentieren, wie die Arbeit in einem ländlichen Gesundheitszentrum vor sich geht, welche ungeheure Verantwortung auf den Krankenschwestern lastet, die weniger als ein Promille der Patienten an Ärzte im Krankenhaus weiterschicken. Sie versorgen auch die Patienten mit Medikamenten, die im sechs Kilometer entfernten staatlichen Gesundheitszentrum keine Medikamente erhalten, weil keine da sind. Von dort kommen die Patienten gelaufen, um ihre Malariamedikamente abzuholen.

Wartesaal Gesundheitszentrum Mukoma. Heute wird geimpft, deswegen die beiden Ärzte in weißen Kitteln, die dazu aus der Stadt kamen. Einer hält gerade eine Rede. Am Ende wird gefragt, was er gesagt hat. Keine der Frauen kann darauf antworten. 

Das Gesundheitszentrum war nicht fertig als wir in Mukoma ankamen und es war nicht fertig, also kein bisschen weiter fertig, als wir nach drei Jahren gingen. Das Geld war verschwunden. Konsequenzen hatte das keine. Hintergrund: der junge, baptistische Bischof aus der Stadt Butare hatte einen Deal mit dem Bauunternehmer, dass parallel zum Gesundheitszentrum und von dem Geld ein Haus für den Bischof gebaut wird. Dann kamen sich die beiden in die Haare.

So wie ich unser eigenes Wohnhaus selbst fertiggestellt habe, habe ich das für weiteres Personal (das nie kam) Wohnhaus nebenan fertig gemacht, bzw. fertig machen lassen. Der deutsche Architekt Jürgen Singerhoff, der den Bau betreute, ließ wenigstens die Ziegel auf das Dach legen, damit wir anfangen konnten. Ich war „mitausreisender Ehemann“, das Äquivalent zur „mitausreisenden Ehefrau“. Zum Glück konnte ich meine eigenen Projekte machen.

Marthe, die ruandische Krankenschwester, hatte bisher auch noch nicht in einem Gesundheitszentrum gearbeitet, aber sie kannte die Krankheiten. Marthe wurde später 1994 mit ihrer gesamten Familie während des Genozids erschlagen – wie alle Menschen und deren Familien, die für uns arbeiteten. Aus dem unmittelbaren Einzugsgebiet von 15 bis 20 Kilometern, wie im Text beschrieben, wurden 64.000 Menschen erschlagen.

Eugenie, die momentan mit Malaria im Bett liegt, ist 19 Jahre alt. Sie arbeitete erst bei uns im Haushalt, war aber zu gut und kam dann als eine Art Hilfskrankenschwester ins Gesundheitszentrum. Das war gut und schlecht. Gut für sie, aber schlecht für uns, denn die nächste Marie-Jeanne, war so dumm. Das ist halb ungerecht. Wenn man aus einer anderen Welt kommt und dann bei Weißen arbeitet, ist es schwer. Mehrmals kommt an diesem Vormittag vor, dass Patientinnen nicht aus dem Gesundheitszentrum raus können. Sie haben zu Hause keine Türklinke. Im Gegensatz zu Marie-Jeanne hat es Eugenie aber mit Leichtigkeit und Freude geschafft. Wir waren Umudagi, das sind die Deutschen, die immer „Guten Tag“ sagen, dagi. Eugenie war die Einzige, die überlebte. Ich beschreibe das im Beitrag über meinen Besuch bei Eugenie 2023.

Es kamen nicht so viele Männer als Patienten, mehr Frauen mit Kindern. Aber für Männer schien es selbstverständlich zu sein, zuerst dranzukommen.

Deswegen, und überhaupt damit alles gut klappte, ließen wir in der Schreinerei der Patres in Nyabisindu (?) diese Nummern aus Sperrholz produzieren – bis 300. Also wenn 250 Patienten kamen, musste man ja mit gewissem (auch unbeabsichtigtem) Schwund dieser Schilder rechnen.

Immer wieder kommt im Text vor, dass genau festgehalten wird, welcher Patient mit welcher Krankheit woher kommt. Das ist extrem sinnvoll und wurde vorher während eines der Vorbereitungskurse genau besprochen. Anders kann man die Analyse der Krankheitsursachen nicht durchführen.

Meine Aufzeichnung geht von 8.20 Uhr bis 10.40 Uhr, also 140 Minuten. In dieser Zeit behandelte Cl. 35 Patienten, das bedeutet, vier Minuten pro Patientin. Marthe war genauso schnell. So kommt man bei einem Acht-Stunden-Tag auf 250 Patienten – eine unglaubliche Leistung.

Innerhalb dieser kurzen Zeit ergab sich folgende Statistik:

17x Malaria

2x Durchfall

1x Würmer

1x Geschlechtskrankheit

6x Gastritis

1x Pneumonie

1x Husten

1x gestört, psychisch

2x Asthma

1x Angina

2x diverses (alte Unfälle)

Kommune, Sektor, Cellule. Wo kommst Du her? Wo ist Dein Rugo, Dein Hof? Es gibt keine Dörfer in Ruanda, aber immer wieder Marktflecken, die inzwischen, also bei meinem Besuch 2023, zu Dörfern wurden. Die Menschen gaben den Hügel an, auf dem sie wohnten. Unser Hügel war Mukoma. Daneben aber hatte die Verwaltung übersichtlichere Daten geschaffen. Die Patienten waren gewohnt, sie genau in dieser Reihenfolge aufzusagen. Es ging nicht, nach dem Sektor oder der Cellule zu fragen.

Wir hatten drei Kinder. Sie tauchen gelegentlich im Gesundheitszentrum auf, unterhielten die wartenden Patienten, wollten etwas oder machten irgendwie Quatsch. Lieber aber waren sie bei unseren Tieren.

 

Oder die Kinder waren mit Gaspard unterwegs, dem Gärtner.

Warum braucht man Hauspersonal und einen Gärtner? 1. Weil man nicht in den Supermarkt gehen kann, und 2. weil es eine Feudalgesellschaft ist und erwartet wird, dass man Menschen Arbeit gibt.

Und jetzt viel Spaß beim Entziffern 🙂