![Zuchold, Gerd, Cut](https://www.wielandgiebel.de/wp-content/uploads/2024/12/Zuchold-Gerd-Cut.jpg)
Gerd Zuchold starb am 28. Januar 2011. Die Stasi über ihn: „Wir verlangen, daß der Beitrag von Herrn Zuchold nicht publiziert wird und daß zu überprüfen ist, ob Zuchold überhaupt im Pergamonmuseum, in der größten und berühmtesten Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin, beschäftigt werden darf.“
Wenn man dieses von Gerd Zuchold herausgegebene Buch Berlin 1704 in Händen hält, entsteht das Bild eines Autors, der sich der Wissenschaft widmet, der vom Erkenntnisdrang getrieben ist. Nie käme man auf die Idee, dieser Erkenntnisdrang könne dazu geführt hat, dass die Kleingeister der Stasi ihn gejagt, fertig gemacht und schließlich aus der DDR entlassen haben. Dieses Kapitel führt in jene Zeit, zur Operation Personenkontrolle OPK Antike, als Gerd-H. Zuchold sich Gedanken machte über die Beschriftung einer Ausstellung im Pergamonmuseum. Im Abschlussbericht der Stasi hieß es: „Mit hohem persönlichen Einsatz trat er für den Gebrauch einfacher sprachlicher Ausdrücke und für mehr Volkstümlichkeit bei der öffentlichen Präsentation musealer Exponate ein.“ Das war Anfang der 1970er Jahre. Die verdienten Mitarbeiter des Museums fühlten sich von einem jungen Mann gestört. Zehn Jahre später: „Geistig-ideologisch ist er schon seit langem kein Staatsbürger der DDR mehr, eher ein verfestigter Verbündeter staatsfeindlicher Kräfte. Eine ideologische Rückgewinnung gilt unter den gegenwärtigen Umständen als aussichtslos.“
Mein Freund Gerd-H. Zuchold, geboren am 26. November 1950, starb am 28. Januar 2011. Er hatte einen Herzfehler. An diesem Buch schrieb er seit 2006. Fertiggestellt hat es seine Lebensgefährtin Annegret Oesterlein – mit unendlicher Geduld und Hingabe. Ich habe Gerd-H. Zuchold Anfang der 1990er Jahre kennengelernt. Wir sind immer wie der durch die Mark Brandenburg gefahren, und er hat mir die Herrenhäuser, Zollstationen, Schlösser, Meilenstein-Obelisken erklärt. Sein Wissen war unerschöpflich. 1996 gründete er den Verein mit, der dann das Geschichtsfestival Historiale organisierte und der das Historiale Berlin Museum trug, einen Vorläufer der Ausstellungen im Berlin Story Bunker. Im Berlin Story Verlag gab Zuchold 2006 das Buch von Anton Friedrich Büsching heraus, „Berlin, Potsdam, Brandenburg 1775“. Mit diesem Buch aus der Zeit von Friedrich dem Großen wurde die statistische Geografie begründet. Die Kommentierung durch Zuchold umfasst zwei Drittel des 751-Seiten-Buchs.
Berlin, Potsdam Brandenburg 1775: Die Reisen des Anton Friedrich Büsching. Beschreibung seiner Reise nach Reckahn. Herausgegeben von Gerd-H. Zuchold im Dezember 2006. „Dies ist das bedeutendste Werk über Berlin und Brandenburg aus der späteren Zeit Friedrichs des Großen – phantastisch anschaulich erzählt, ein preußischer Vorläufer des Weltalmanachs. Es ist das gelungene Beispiel einer damals jungen Wissenschaft, die Büsching mitbegründete – die statistische Geographie. Diese wertvolle historische Quelle wird jetzt [2006] erstmals seit 226 Jahren aufgelegt und aufwendig kommentiert.
Erst nach seinem Tod erhielt ich die hundert Seiten umfassenden Aufzeichnungen, die er aus seiner Stasi-Akte rekonstruierte. Gerd-H. Zuchold wurde in Guben von seiner Großmutter mütterlicherseits aufgezogen. Der Familie gehörten mehrere Kleinunternehmen, eine Tankstelle, eine Autowerkstatt, eine Fleischerei. Das war im östlichen, dann polnischen Teil Gubens. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Familie ausgewiesen. Im Sommer 1969 legte Zuchold in Frankfurt/Oder das Abitur ab und lernte parallel Betonfacharbeiter. Jedenfalls sollte er das. „Du Tölpel! Hau ab und lass Dich nie wieder hier blicken!“ Ein Hammerschlag war auf den Fingern des Meisters gelandet. Er beugte sich der Erwartungshaltung der Mutter, verpflichtete sich bei der Nationalen Volksarmee und war für die Bestellung seines Regiments von Fleisch, Wurst und Kartoffeln zuständig. Vorher sollte er beim Wechseln von Zündkerzen helfen, bis er hörte: “Zuchold, hau‘n Sie ab, machen Sie, was sie wollen, aber lassen Sie sich zwischen 6 und 19 Uhr nicht von mir erwischen.“ Die kämpferische Unfähigkeit ging so weit, dass etwas geschah, was es eigentlich nicht gibt, die NVA löste den Vertrag auf. Zuchold wollte Archäologie studieren und begann bis zum Studienbeginn 1972 mit Führungen im Pergamonmuseum.
„Tach, ich bin der Klaus … Wir wissen, dass Du demnächst dein Studium beenden wirst und noch keine geeignete Stelle hast …“ Das war im Dezember 1975 der erste Anwerbeversuch der Stasi – erfolglos. „Der Z. ist religiös gebunden und besitzt nicht die notwendige politische Reife für eine Zusammenarbeit mit dem MfS“, heißt es in OV Antike, Bd 1, Bl. 111 (27. Januar 1975), Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Frankfurt/Oder, Tbg.-Nr. A XI/1606/106/75. Alle weiteren Zitate aus Stasi-Akten sind ebenso genau zitiert, wer den aber hier nicht belegt. 1976 wurde er bereits „einer illegalen Gruppe Intellektueller“ zugeordnet, „die gegen die Kulturpolitik der DDR Stellung beziehen“. Das war ein Kreis nach Vorbild der Berliner Salons, bespitzelt durch eine Oberstudienrätin und einen Gymnasialdirektor in Frankfurt/ Oder, die beide nach der Wende vergaßen anzugeben, dass sie IM waren (in den Akten namentlich bekannt) und später aus dem öffentlichen Dienst entfernt wurden. Für seine Promotion seit Anfang 1977 schien Halle am günstigsten, weil die Humboldt Universität und Leipzig so voller roter Kader waren, dass er keine Chance gehabt hätte. Thema ist der Halberstädter Diskos vermutlich aus dem 11. Jahrhundert. Zuchold: „Das Thema musste mit dem Marxismus-Leninismus in Einklang gebracht werden. Deswegen lautete es: ‚Die Bewertung der Arbeit und die Stellung des arbeitenden Menschen in mittelbyzantinischer Zeit.‘ Marx, Engels und Lenin hatten sich – für mich bedauerlich – über Byzanz nicht geäußert, was das ganze Unternehmen erheblich erschwerte, verlängerte und komplizierte. Aber irgendwann war ein 15-seitiger Text geschrieben, mit vielen Anmerkungen versehen. Jeder dieser ‚Klassiker‘ wurde in den Fußnoten exakt nach wissenschaftlich üblichen Kriterien zitiert“.
Der Prüfer: „Sie haben eine Arbeit eingereicht, die nicht nur mich, sondern auch die anderen Genossen an der Sektion beeindruckt hat … Ihnen ist eine stringente und klassenbewusste Arbeit gelungen … Wir würden sie gerne als Musterarbeit in einem unserer Organe veröffentlichen.“ Zum Glück wurde daraus nichts. Immer, wenn Artikel Zucholds über Themen aus der frühchristlich-byzantinischen Sammlung von den Funktionären in Berlin abgelehnt wurden, fand sich jemand, den das interessierte, der Prälat der Hedwigskirche zum Beispiel und später, reiner Zufall, ein Diplomat der Ständigen Vertretung, also der „Botschaft“ der BRD in der DDR, der viel im Nahen Osten gereist war. Zuchold wurde eingeladen, lernte FAZ, Süddeutsche, Whiskey und Whisky kennen und was trockener Wein ist. Nach einem Rigoletto-Besuch in der Staatsoper mit Leuten aus der Ständigen Vertretung hatte er im Weinlokal Praha reserviert. Hundert Plätze um sie herum wurden leer gehalten, damit die Stasi alles besser unter Kontrolle hatte. „Die Szene war gespenstig.“ Eine Bewerbung bei Hans-Joachim Giersberg, Chef der Schlösser und Gärten Potsdams, auf deren Erfolg beide schon angestoßen hatten, platzte.
Seine Erfahrung bei Museumsführungen, seine tägliche Praxis wollte Gerd-H. Zuchold mit der Wissenschaftsvermittlung verbinden. Er bereitete einen Vortrag vor mit der Kernaussage, „dass die museumsdidaktische Aufbereitung der Stücke helfen würde, durch den Geschichtsunterricht verursachte Irrtümer auszuräumen … dem schwindenden Geschichtsbewusstsein wieder auf die Beine zu helfen“.
Versteinerte Gesichter. Da redet sich einer um Kopf und Kragen, eine „peinliche Verirrung“. Er belegt an Beispielen, was Besucher nicht wissen, was sie aber wissen sollten, um die Exponate zu verstehen. Statt die Ergebnisse der klassenbewussten, dreißigjährigen erfolgreichen Bildungspolitik „unserer sozialistischen DDR“ zu würdigen, böte er bürgerlichen Anschauungen Raum. „Wir verlangen, daß der Beitrag von Herrn Zuchold nicht publiziert wird und daß das Verhalten im Direktorat für Öffentlichkeitsarbeit ausgewertet wird, wobei zu überprüfen ist, ob man nach dem Vorgefallenen Herrn Zuchold überhaupt in der größten und berühmtesten Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin beschäftigen darf.“ Es folgen die Unterschriften seiner Vorgesetzten. Zuchold versenkte sich selbst. Er wurde nicht sofort gefeuert, noch ein bisschen gemobbt („Ihr Kuchen schmeckt hervorragend. Warum sind Sie eigentlich nicht gleich Bäcker geworden?“) und kam über fachliche und kirchliche Kontakte zur Evangelischen Akademie in Magdeburg. Über sein Referat dort im Oktober 1980 zum Thema „Von der Kommunikation in der Kunst“ fand Zuchold in seiner Stasi-Akte den Bericht von IM Manfred Keller. „Z. gibt sich klug und sachkundig. Doch sein wissenschaftlicher Sachverstand wird dazu angereizt, in destruktiver Weise zu manipulieren … Der Verdächtige tritt im Bereich der Evangelischen Akademie in Magdeburg laufend als Referent in Erscheinung. Ein zuverlässiger IM der HA XX/4 ist in dieser Zeit ständig mit ihm zusammen und betreut den Verdächtigen …“ Der Leiter der Abteilung XX, Oberstleutnant Häsler, bittet um Einschätzung „seiner Zukunftsvorstellungen im persönlichen Bereich, Hinweise auf Freunde und Bekannte des Z. in Berlin, Möglichkeiten, sich über ihn Konsumgüter oder Literatur aus Westberlin/BRD beschaffen zu lassen …“
Im Dezember 1980 eröffnete die Stasi das Verfahren Operative Personenkontrolle, OPK Antike, mit dem Ziel, „einen IM unmittelbar an den Zuchold heranzubringen und neben der Erarbeitung eines umfassenden Persönlichkeitsbilds und seiner Verbindungen, die Hinwiese auf strafbare Handlungen zu überprüfen und beweiskräftig zu dokumentieren.“ Überprüft werden sollte auch, ob etwas gegen die Promotion Zucholds getan werden könne.
Er kam über Freunde zu einem Arzt, der bereit war, ihm „Exogene Depression“ zu bescheinigen. Er könne dann „Honecker ist doof“ schreien, würde festgenommen, käme zum Arzt und würde wieder freigelassen. Zuchold war begeistert – bis ihn jemand darauf hinwies, dass es ein Briefträger in der NS-Zeit so gemacht hätte und in der Bundesrepublik nach dem Krieg nicht wieder als „normal“ eingestuft wurde.
In seiner Wohnung wurden zwei Wanzen angebracht, er wurde dichter beschattet. Der Plan einer operativen Maßnahme im OPK Antike: „Gegnerische Kräfte bemühen sich derzeit aktiv, dem Dr. Zuchold zu suggerieren, dass seine berufliche Karriere in der DDR aufgrund des laufenden Disziplinarverfahrens wegen nicht genehmigter Kontakte zur BRD-Vertretung beendet sei. Da ZUCHOLD einer ihrer Hauptinformanten und Kontaktvermittler ist und ein umfangreiches Verbindungssystem in der DDR hat, … wollen sie ihm ein Verlassen der DDR ermöglichen. … Mit Hilfe der Abteilung 26 soll zur weiteren Verunsicherung seines Kontaktkreises bei Ablehnung der Zusammenarbeit differenzierte Maßnahmen gegen [Namen von Freunden und Bekannten] eingeleitet werden, die den Eindruck bestärken, dass das MfS den ZUCHOLD ‚umgekippt‘ hat, um den Zersetzungsprozess und den Prozess seiner Isolierung voranzutreiben.“
Im April 1981, Zuchold war 31 Jahre alt, wurde er vom Generaldirektor der Museen zum Disziplinarverfahren vorgeladen. Zucholds private Kontakte zu westlichen Diplomaten stellten einen schweren Verstoß gegen die sozialistische Arbeitsmoral und Lebensweise dar. Ob er diesen Fehler einsähe? Zuchold verneinte. „Ob ich bereit wäre, dem Staat DDR zu dienen, verneinte ich ebenfalls. Bartke zog einen vorbereiteten Text aus der Tasche, verlas mir einen schweren Verweis, bei der geringsten Verfehlung folge die fristlose Entlassung.“ Fast zeitgleich wurde Zuchold bei der Evangelischen Akademie Magdeburg fest angestellt.
Anfang Mai 1981 wurde eine Bekannte unter Druck gesetzt, die Zuchold bisher fachlich gefördert hat. Sie hatte Angst um die Karriere ihrer Tochter. Zuchold kannte ihre Tochter und deren Mann. Im Verhörprotokoll heißt es: „Nun sei aber im Falle Zuchold eine Wendung eingetreten, die sie gar nicht mehr gutheißen könne. Dieser Mann sei so vernagelt, überheblich und arrogant, dass er derzeit in seinen Handlungen unberechenbar sei und sie möchte nicht, dass ihre Tochter, die zwar auch aktiv in Kirchenkreisen verkehre, mit Zuchold auf eine Ebene gestellt werde … Befragt, wie sie gedenke vorzugehen, schlug sie vor, sie werde ihn einladen, mit ihr gemeinsam nach Brandenburg zu fahren. Dort hat sie ihn ganz alleine für sich und kann ihn ordentlich ausnehmen und ins Gewissen reden …“
Ebenfalls im Mai 1981 holte die Stasi zu einem weiteren, schweren Schlag gegen Zuchold aus. Seine kirchlichen Freunde erhielten einen anonymen Brief. „Ich, der mit Recht von sich behaupten kann, unpolitisch zu sein, halte das für äußerst anmaßend, angeblich ein politisch verfolgter Mensch zu sein, da ich dieses Subjekt kenne. Nicht nur, dass er fachlich auf äußerst schwachen Füßen steht, ist er auch in menschlicher Hinsicht abstoßend. Er hält es für durchaus legitim, die eigenen Kollegen mit Schmutz zu bewerfen, gestützt auf seine angeblichen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Dabei ist er disziplinlos, egoistisch und von kaum zu überbietender Selbstherrlichkeit, die ihn soweit gehen lässt, entgegengebrachtes Vertrauen aller Personen zu missbrauchen und unter uns mit zwei Gesichtern zu leben. Oder wie ist es anders erklärbar, dass in seinem Disziplinarverfahren so eine Umkehrung eingetreten ist. Der Herr Generaldirektor verkündete erst, dass er diesen Menschen fristlos entlässt und plötzlich werden Bemühungen angestellt, die Wogen zu glätten und im ‚gegenseitigen Einvernehmen‘ trennt man sich ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten von einem Tag auf den anderen …“ Eine Empfängerin brachte das Scheiben sofort zum MfS, ein anderer warnte alle Bekannten vor Zuchold, Freundschaften wurden abrupt beendet, ein Mann stellte seine Ehefrau zur Rede, die Zuchold fachlich kannte.
In Magdeburg konnte Zuchold viel bewirken. Er lud den Schriftsteller Stefan Heym ein. „Um 19.30 Uhr sollte die Lesung beginnen; etwa ab 16 Uhr standen in allen Nebenstraßen Mannschaftswagen der Volkspolizei. Heym zog ein wie ein Volkstribun, der Gemeinderaum war brechend voll. Er las aus seinem Luther-Roman.“
Ohne es zu wissen, hatte Zuchold die Schlacht gegen die Stasi am 22. April 1982 bereits gewonnen. „Seit dem Frühjahr 1981 wird ZUCHOLD im OV Antike bearbeitet. Es wurde festgestellt, dass er sich von bevorrechteten Personen bereitwillig als Stützpunkt gebrauchen lässt, um sich Kreise schart, die eine ablehnende Position gegenüber unserer Gesellschaftsordnung einnehmen und bevorzugt Verbindungen zu solchen Kräften im Ausland unterhält, die in feindlicher Absicht in die DDR hineinwirken wollen. Versuche, stabilisierend auf ihn Einfluss zu nehmen und längerfristig eine ideologische Rückgewinnung zu erreichen, blieben ergebnislos … Andererseits könnte durch Genehmigung des Antrags (auf Ausreise) ohne sonderliche Schwierigkeiten ein erkannter feindlicher Stützpunkt beseitigt werden. Leiter der Abt. XX, Häsler, Oberst.“
Am 8. Mai 1982 hielt Zuchold an der Evangelischen Studentengemeinde Merseburg einen Vortrag zum Thema „Das Preußenbild in der DDR“. Der Stasi-Bericht psychologisiert: „Es hatte den Anschein, dass er früher Erfahrungen gemacht hat, aufgrund derer sich jetzt Aggressionen in ihm anstauen, die er durch derartige Vorträge abbauen will.“
Im Januar 1983 folgt der interne Abschlussbericht, zu Beginn dieses Artikels zitiert. „Getrieben von seinem Ehrgeiz und unterstützt durch seinen ausgeprägten Hang für das Außergewöhnliche bemühte er sich um einen Studienplatz in der Fachrichtung klassische Archäologie … Gegenüber allen versuchte er, … als biedere, aber ernsthafte Wissenschaftlerpersönlichkeit zu erscheinen … Gestützt auf seine eigene negativ-politische Grundhaltung begann er sich zunehmend provozierend gegenüber der staatlichen Leitungstätigkeit zu verhalten … Allein für eine ‚Preußen-Diskussion‘ sprach er Günter de Bruyn, Stefan Heym, Heiner Müller, Willy Moese, Heinz Plavius, Ullrich Plenzdorf, Martin Stade und Horst von Tümpling an. Nach den vorliegenden politisch-operativen Erkenntnissen lässt er sich als abgedeckter Stützpunkt der BRD in der DDR zur Einflussnahme auf intellektuelle und kirchliche Oppositionelle gebrauchen … Geistig-ideologisch ist er schon seit langem kein Staatsbürger der DDR mehr … Es konnte so seine endgültige Ausreise aus der DDR bei gleichzeitiger Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft Mitte Dezember 1982 stattfinden. Klemer. Hauptmann.“
Die ersten Tage in Westberlin wohnte er bei Freunden, musste tagsüber zu „Interviews“ der alliierten Geheimdienste ins Notaufnahmelager Marienfelde, wurde vom FAZ-Redakteuer Peter Jochen Winters eingeladen und an Dettmar Cramer vom RIAS weitergereicht.
„Ich im RIAS Berlin!“ Gerd-H. Zuchold schrieb zahlreiche Kultursendungen für den RIAS. Seine Forschung wurde von Lotto und von der Stiftung Preußischen Seehandlung unterstützt.
Bis zum 15. März 1988 berichtet die Stasi über ihn, bis dahin beschattete sie ihn auch in Westberlin. „… Z. hat sich 1985 einer Herzoperation unterziehen müssen. Bis 1985 war er Freier Mitarbeiter des RIAS. Eine weitere Tätigkeit in dieser Zeit war das Landesarchiv, dort war er einem Dr. Reichh[!]ardt unterstellt … Man bezeichnet ihn als einen klugen, bescheidenen Wissenschaftler. Seine finanziellen Verhältnisse sind relativ bescheiden. Er hat nur eine dürftig eingerichtete Wohnung mit wenig Möbeln … unterhält persönliche und freundschaftliche Beziehungen zu amerikanischen Diplomaten, insbesondere solchen, die auf dem Gebiet der Kunst Kenntnisse haben. Namen dieser Personen wurden nicht bekannt … Gegenwärtig arbeitet er an einem wissenschaftlichen Werk zum Thema Byzanz … Er hat für 4 Jahre einen Forschungsauftrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und untersteht diesbezüglich direkt dem dortigen Leiter dieser Einrichtung, Professor Knopp, Werner … Schmidt, Oberstleutnant.“
„Wenig später“, so schließt Gerd-H. Zuchold seinen Bericht, „brach die DDR zusammen. Wir hatten unser Ziel erreicht.
—
Auf der Internetseite des Berlin Story Verlags heißt es: Gerd H. Zuchold (*1950, †2011) studierte an der Humboldt-Universität Berlin Klassische Archäologie, Kunstwissenschaft, Ur- und Frühgeschichte und Christliche Kunst. 1981 promovierte er über ein Thema aus der byzantinischen Kunstgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Wegen politischer Unstimmigkeiten mit dem DDR-Regime siedelte er 1982 nach West-Berlin über. Dort war er fünf Jahre lang freier Mitarbeiter beim RIAS-Bildungsprogramm; 1983/84 am Landesarchiv Berlin.
Schon vor 310 Jahren ein Verkaufsschlager: Der erste Berliner »Adreß Calender« kam im März 1704 auf Markt. »Eine Art Mittelding zwischen wirklichem Kalender, Staatshandbuch und Adreßbuch«, so Ludwig Geiger in seiner Kulturgeschichte Berlins. Neu gesetzt und vor allem umfangreich kommentiert & illustriert ist dieses Buch eine unersetzliche Quelle für die Stadtgeschichte – gleichzeitig ein wunderbares Buch zum Schmökern über Menschen, Häuser, Straßen und Geschichten im Berliner Leben vor 300 Jahren.
Berlin, Potsdam Brandenburg 1775: Die Reisen des Anton Friedrich Büsching. Beschreibung seiner Rese nach Reckahn.
Anton Friedrich Büsching, herausgegeben von Gerd-H. Zuchold im Dezember 2006
Dies ist das bedeutendste Werk über Berlin und Brandenburg aus der späteren Zeit Friedrichs des Großen – phantastisch anschaulich erzählt, ein preußischer Vorläufer des Weltalmanachs. Es ist das gelungene Beispiel einer damals jungen Wissenschaft, die Büsching mitbegründete – die statistische Geographie. Diese wertvolle historische Quelle wird hier erstmals seit 226 Jahren aufgelegt und aufwendig kommentiert.