Ein SS-Mann schreibt Liebesbriefe – „Liebste Janni“

Dieses Buch erschien am 6. September 2019. Ich habe das Nachwort für „Liebste Janni“ geschrieben und dabei auch die Arbeit des Berlin Story Verlags beschrieben. Für mich hat dieses Buch eine hohe Bedeutung, weil wir „unverfälschte wie unverblümte Eindrücke aus jenen Jahren“ herausgearbeitet haben, wie ein Rezensent schreibt. Es folgt hier meine Einordnung des Buchs und weiteres Material dazu.

Die 18-jährige Janni aus Erfurt lernt im Som­mer 1940 in Berlin den 23-jäh­rigen Hans kennen, einen attraktiven SS-Mann, deutscher Siebenbürger Sachse aus Rumänien. Er geht mit der „Leibstandarte Adolf Hitler“ an die Front, sie heiraten, Janni bekommt ein Kind. 1942 wird Hans zum Offizier befördert und kommt zur „7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division ‚Prinz Eugen‘“ nach Jugoslawien.
Hans berichtet in seinen Briefen an Janni, wie es ihm geht – meist gut. Zuletzt reißt wegen der schlechter werdenden Feldpostverbindung der Briefwechsel ab. Hans wird unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs von „Partisanen“ erschossen.

Alice Frontzek ist die Enkelin der beiden. Sie hat die Briefe erhalten und ist die Erste, die sie gelesen hat. „Mein Großvater hat sein Leben dieser furchtbaren Nazi-Ideologie geopfert. Die wichtigste Botschaft dieses Buches soll die Mahnung sein, seine Seele nicht zu verkaufen – und dass im Krieg Leben auf allen Seiten sinnlos verloren gehen.“

Welche Verantwortung trägt jeder selbst? Wie soll man sein Leben gestalten? Umfangreiches Material zum Hintergrund der Zeit und zahlreiche Fotografien rahmen die Briefe ein.

„Niemand musste ein Monster sein, um am monströsen Vernichtungskrieg teilzunehmen.“ Wie Deutsche zu Nazis und Mördern wurden – in einem Buch des Berlin Story Verlags, jetzt ausführlich auf sechs Seiten besprochen. Hier geht es zur Besprechung und zum Buch
John Zimmermann geht in dieser außergewöhnlich guten Besprechung genau auch darauf ein, was im Berlin Story Bunker in „Hitler – wie konnte es geschehen“ ein zentrales Thema ist, wie es geschehen konnte, dass so viele Deutsche Hitler folgten, Völkermorden und Holocaust möglich machten und aktiv daran beteiligt waren.

„Das Buch ist wesentlich für die Forschung: Es zeigt nämlich anhand eines weiteren Beispiels, dass die Täter aus der Mitte der deutschen Gesellschaft kamen, dass es »ganz normale Deutsche« waren. Insofern verbreitert der vorliegende Band unsere Wissensbasis. Zielführend ist dabei die historisierende Einordnung von Person und Zeit. Hier wird klargestellt, ohne zu moralisieren, und das schafft Raum für eigene Gedanken und Bewertungen. Gerade das Unspektakuläre der Inhalte ist das eigentlich Spektakuläre dieser Geschichte. Niemand musste zwangsläufig selbst ein Monster sein, um an derart Monströsem wie dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten Europas oder dem »Partisanenkrieg« auf dem Balkan teilzuhaben. Wer allerdings der nationalsozialistischen Ideologie folgte, ihre Überzeugungen und Parolen übernahm, wie Hans S., der hat sich zur Teilhabe entschlossen.“

 

 

Liebste Janni, Nachwort des Verlegers Wieland Giebel

Kann man von einem 23jährigen, der im Oktober 1916 als Deutscher in Rumänien geboren wurde, der also in der Zeit der NS-Ideologie aufgewachsen ist, 1933 zur „Machtübernahme“ 16 Jahre alt war und sich im Oktober 1939 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hat, erwarten, dass er erkennt, dass der Überfall auf andere Länder und das Auslöschen des Widerstands der Zivilbevölkerung, der „Partisanen“, ein Verbrechen ist? Dass er sich an diesem Verbrechen beteiligt. Das ist der Kern der Frage: Opfer oder Täter. Ist Hans ein Opfer oder ein Täter?

Diese Frage wird uns in der Dokumentation „Hitler – wie konnte es geschehen“ von jungen Besuchern immer wieder gestellt: Sind die jungen Soldaten Opfer oder Täter? Das ist der Hintergrund, warum wir als Berlin Story Verlag intensiv an diesem Buch gearbeitet haben. Uns war sofort der großen persönlichen Schritt von Alice Frontzek klar, mit diesen Briefen zu uns zu kommen, also mit den Briefen ihre Großvaters an die Öffentlichkeit zu gehen. Das ist mutig, weil es bedeutet, sich der Auseinandersetzung voll und ganz auszusetzen.

Der Historiker Reiner Prass geht in seinem Vorwort darauf ein: „Auch heute gilt noch in vielen Familien, dass Opa kein Nazi gewesen sei.“ Diese Erfahrung hat auch David Eniskat vom Tagesspiegel gemacht, der seit zwanzig Jahren die wöchentliche Seite mit Nachrufen betreut. Kein menschlicher Abweg würde verschwiegen, ob es um Misshandlung, Drogen oder Kriminelles geht. „Es gab, soweit ich mich erinnere, bei uns bislang nicht einen Nachruf, in dem die Beteiligung eines Verstorbenen an NS-Verbrechen eine Rolle spielte. Verwundungen an der Front, Gefangenschaft, Traumata, das alles oft; nichts aber haben wir erfahren über Erschießungen,Transporte, Wachdienste. Das große Schweigen dauert an.“ Fußnote Tagesspiegel, 28. April 2019, S4

Alice Frontzek meint, Hans habe sein Leben dieser furchtbaren Nazi-Ideologie geopfert. „Die wichtigste Botschaft dieses Buches soll die Mahnung sein, seine Seele nicht zu verkaufen – und dass im Krieg Leben auf allen Seiten sinnlos verloren gehen.“ Das stimmt. Hans hat sein Leben vergeudet. Er konnte seiner Frau nicht der Mann an ihrer Seite sein, sondern machte sie zur Witwe. Er konnte seinem Sohn kein Vater sein. Er machte ihn zum Halbwaisen. Hans hat sich für die falsche Ideologie entschieden und ist mit ihr sinnlos in den Tod gegangen. Wie viele Tote er zu verantworten hat, wissen wir nicht. In der Familie wurde erzählt, Hans konnte Erschießungen nicht aushalten und sei deswegen strafversetzt worden.

Unsere Aufgabe als Verlag ist es, anhand der zahlreichen zusätzlichen Quellen zu zeigen, an welchen Verbrechen Hans beteiligt gewesen sein könnte, von denen er nicht schreibt – an denen zumindest seine Einheiten beteiligt waren. Norman Bösch vom Berlin Story Verlag hat als Redakteur des Buchs Quellen ausfindig gemacht: verherrlichende Bücher, Archivalien aus dem Bundesarchiv, Kriegstagebücher der Truppe. Er erläutert in Zwischentexten, warum es längere Zeiten gibt, in denen Hans S. nicht schreibt: Die Truppe ist an der Front in brutale Kämpfe verwickelt – zum Beispiel vom Mitte Februar bis Anfang Mai 1943.

Bis in unsere Zeit wird kriegsverherrlichende Literatur zur Leibstandarte Adolf Hitler veröffentlicht, zum Beispiel von Thomas Fischer im Jahr 2004: Von Berlin bis Caen: Entwicklung und Einsätze der Divisions- und Korps-Artillerie der Leibstandarte Adolf Hitler 1939-1945

In der Buchankündigung bei Amazon heißt es: „6. Juni 1944 – Die alliierte Invasion an der nordfranzösischen Küste beginnt! Als englische und kanadische Einheiten auf Caen vorstoßen, werden sie von den 21-cm-Mörsern und den 17-cm-Kanonen der schweren SS-Artillerie-Abteilung 101, der Korps-Artillerie der Leibstandarte, empfangen. Die Abteilung ist ein vorzüglich ausgebildeter und ausgerüsteter Eliteverband von ausgesuchten Spezialisten. Gemeinsam mit den Geschützen des SS-Panzer-Artillerie-Regiments 12 “Hitlerjugend” zerschlagen die Artilleristen starke gegnerische Kräfte oft schon in der Bereitstellung …“

Die SS-Einheit Leibstandarte Adolf Hitler war derart böse und verbrecherisch – aber in diesem Buch und in den anderen einschlägigen kommt den Herausgebern oder Autoren kein einziges Wort des Bedauerns oder der Distanzierung über die Lippen. Dass sich diese „Kameradschafts-Bücher“ bis heute verkaufen, zeigt, dass der Geist des Nationalsozialmus über Jahrzehnte bis in die Gegenwart trägt. Sie überfallen andere Länder, bringen 27 Millionen Menschen der Sowjetunion um, morden in allen Ländern Osteuropas, in ganz Europa – und feiern ihre Kameradschaft. Sie bringen einfach kein einziges Wort zu diesen Verbrechen heraus. Es sei ja nicht politisch, sondern schildere einfach nur die gute Kameradschaft. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – in dieser Zeit sind sie nicht angekommen.

Weiter mit der Buchankündigung: „Die Einsätze der Leibstandarte Adolf Hitler LAH-Artillerie lesen sich wie der Abriss der Kriegsgeschichte: Rotterdamm – St.Etienne – Rumänien – Bulgarien – Jugoslawien – Klidipass – Klisurapass – Kastoriasee – Golf von Patras – Rollbahn Nord-Uman – Cherson – Perekop/ Krimzugang – Melitopol – Mariupol – Taganrog – Rostow/Don – Ssambekstellung – Charkow – Belgorod – Prochorowka – Mailand – Shitomir – Berditschew – Tscherkassy – Hubekessel – Caen – Falaise – Losheimergraben – Stavelot – La Gleize – Bastogne – Gran – Plattensee – Varpalota.“

Die im Buch skizzierten Einsatzorte der Leibstandarte Adolf Hitler entsprechen in großen Teilen dem Weg, den Hans S. in diesen Angriffskriegen ging. Wir erkennen hier, wie die kampfstarken SS-Männer über riesige Entfernungen von einer Front zur anderen geworfen wurden: West – Ost – Süd – Ost – West – und wieder Ost, tausende von Kilometern. Das bedeutet auch, dass sie viel gesehen haben, mit vielen Menschen gesprochen haben, vergleichen konnten, von ihren Kameraden erfahren haben, was los war. Hans genoss eine anspruchsvolle Ausbildung auf der Junkerschule. Auch dort kam er mit vielen Kameraden zusammen und blieb mit einige in Verbindung. Er gehörte zu den 9.883 ausgewählten Offiziersanwärtern, die zu Hitlers Rede im Sportpalast am 15. Februar 1942 eingeladen waren. „Ganz überraschend kam diese fahrt. Der Führer hat zu uns gesprochen, ganz wunderbar – es war das schönste Erlebnis der ganzen Führerausbildung.“ So schreibt er auf der Postkarte an Janni, hier im Buch auf Seite 131.

Hans gehört zu den gehobenen Kreisen der Kriegsführung. Er verkehrt auf Ebene der Kommandeure, ist mit den strategischen Zielen vertraut, hat gründliche Schulungen erfolgreich mitgemacht, er rekrutiert in seiner Heimat junge Männer für die Truppe und eine Zeitung berichtet stolz darüber. Auf einem Foto sieht man ihn mit Phleps, dem er sehr nahe stand, weil sie aus der gleichen Stadt kamen. Artur Phleps [1881 bis 1944] war rumänischer und deutscher Offizer, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, wie Hans spezialisiert auf den Gebirgskrieg. Phleps kam auch aus der Nähe von Hermannstadt ins Siebenbürgen.

Brennende Dörfer, Massaker an Bewohnern, Folterung und Ermordung gefangener Partisanen – dieser Ruf unvorstellbarer Grausamkeiten ging Phleps voraus. Dazu und zur Rolle der SS-Einheiten später. https://de.qwerty.wiki/wiki/Artur_Phleps#7th_SS_Volunteer_Mountain_Division_Prinz_Eugen

Janni und die Hochzeit

Bein Janni standen verliebt sein und Liebe, Schwangerschaft und Mutter sein im Mittelpunkt. Sie hatte sich einen äußert attraktiven und erfolgreichen SS-Mann ausgesucht. Neben der Gefühlswelt könnte ihr, aufgewachsen in diesem System und flankiert von ständiger Nazi-Propaganda, ihre gesellschaftliche Rolle im Ansatz deutlich gewesen sein. Das ist aber Spekulation. Wir erfahren nichts darüber, wie sie sich sieht.

Die Fernhochzeit von Janni und Hans ging recht reibungslos und schnell über die Bühne. Vor dem Krieg war das für SS-Bräute anders. Im Heiratsbefehl vom 31. Dezember 1931, also lange vor der „Machtergreifung“ der Nazis, wies Heinrich Himmler die ihm unterstellten SS-Männer an, ihre zukünftigen Bräute vor der Verlobung rassisch und erbbiologisch prüfen zu lassen. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass sich in der SS der „Neuadel“ der kommenden „germanisch-nordischen Herrenrasse“ versammelte.

„1. Die SS ist ein nach besonderen Gesichtspunkten ausgewählter Verband deutscher Nordisch-bestimmter Männer. 2. Entsprechend der nationalsozialistischen Weltanschauung und in der Erkenntnis, dass die Zukunft unseres Volkes in der Auslese und Erhaltung des rassisch und erbgesundheitlich guten Blutes beruht, führe ich mit Wirkung vom 1. Januar 1932 für alle unverheirateten Angehörigen der SS die „Heiratsgenehmigung“ ein. 3. Das erstrebte Ziel ist die erbgesundheitlich wertvolle Sippe deutscher Nordisch-bestimmter Art. 4. Die Heiratsgenehmigung wird einzig und allein nach rassischen und erbgesundheitlichen Gesichtspunkten erteilt oder verweigert. 5. Jeder SS-Mann, der zu heiraten beabsichtigt, hat hierzu die Heiratsgenehmigung des Reichsführers-SS einzuholen.“ https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0127_hei_de.pdf

Im November 1936 hatte der SS-Reichsführer Heinrich Himmler mit der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink ein Abkommen geschlossen, das die Vorbildfunktion der Ehefrau eines SS-Angehörigen betonte. Frauen, die einen SS-Mann heiraten wollten, sollten sich auf einer Schulung „besondere Kenntnisse in Rassen- und Vererbungslehre“ aneignen. Das war die Voraussetzung für die Heiratsgenehmigung, die das Rasse- und Siedlungshauptamt erteilte, nachdem vorher die Stammbäume der Partner auf „rassische und erbgesundheitliche Gesichtspunkte“ überprüft worden waren. „Mütterschulen“ gab es aber bereits vor den Nazis. Dort wurde Hygiene und gesunde Ernährung vermittelt.

Im Brief von Hans über das SS-Gesuch hört es sich aber ganz anders an, viel formloser:

„20. April 1941: Heute ist der Geburtstag des Führers und für mich gleichzeitig der Geburtstag unserer Ehe! Ich habe gerade heute die Einwilligung des Kommandeurs erhalten, die ich Dir zusende. Die Formalitäten wie SS-Gesuche usw. wird erst nach dem Kriege gemacht. Vorläufig genügt die Bestätigung des Kommandeurs. Jannilein, ich möchte gerne, dass Du in W[olkendorf] bei meinen Eltern schon meinen Namen trägst …“

In Nazi-Deutschland war ein Diskussion entbrannt über die un- oder vorehelichen Kinder. Hitler hatte einem Gesetzentwurf seine Zustimmung verweigert, der die Ehelichkeitserklärung des „Kriegskindes“ durch die Eltern des Toten und eine Erleichterung der Zwangsadoption gegen den Willen der unehelichen Mutter vorsah. Auf diese Weise würde der tote Vater bzw. die ihn vertretende „Sippe“ eine höhere Gewalt über das Kind erhalten als die lebende Mutter. Hitler sah hier „das ethische Recht der Mutter auf ihr Kind“ verletzt, und er verweigerte dem neuen Sippenrecht seine Zustimmung: Es handele sich um ein Gesetz „gegen die unehelichen Kinder und zur Entrechtung der unehelichen Mutter“20 .

FN 20 Zit. nach Werner Schubert, Der Entwurf eines Nichtehelichengesetzes vom Juli 1940 und seine Ablehnung durch Hitler, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 31 (1984), S.5.

ausführlich in: Cornelia Essner und Eduard Conte, „Fernehe, Leichentrauung und Totenscheidung – Metamorphosen des Eherechts im Dritten Reich“, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 44 (1996) Heft 2

Hans schickt zur Erinnerung seine persönlichen Daten an Janni: „Ich glaube, dazu ist nicht mehr nötig, als diese Einwilligung und die genauen Daten meiner Person. (geb. 27.10.1916 in Wien, wohnhaft war ich bis vor dem Krieg am Reichssportfeld, Friesenhaus, Charlottenburg 9. Ich bin deutscher Staatsbürger. Beruf T[urn] und Sportlehrer. Mehr wird es kaum brauchen. Ich lege Dir noch eine Bestätigung bei, die eventuell benötigt wird. Bitte schicke mir sofort die Heiratsurkunde zu …“ Er weiß, dass sein Leben in jedem Moment zu Ende gehen kann. Das weiß auch Rudolf Heß, der Stellvertreter des Führers: „Gerade im Krieg, der den Tod vieler bester Männer fordert, ist jedes neue Leben von besonderer Bedeutung für die Nation. Wenn daher rassisch einwandfreie junge Männer, die ins Feld rücken, Kinder hinterlassen, die ihr Blut weitertragen in kommende Geschlechter, Kinder von gleichfalls erbgesunden Mädchen des entsprechenden Alters, mit denen die Heirat aus irgendeinem Grund nicht sofort möglich ist, wird für die Erhaltung dieses wertvollen nationalen Gutes gesorgt werden.“ IfZ, MA 330, B1.4115.

 

Ein Dilemma für die Nazis. Eigentlich sollte die deutsche Familie wertgeschätzt werden, aber die Umstände erfordern, dass Kinder gezeugt werden – so oder so.

Hans schreibt am 10. Mai 1941: „Nun ist auch der Feldzug auf dem Balkan zu Ende und wir warten auf weitere Befehle … Ob Du wohl schon die Papiere zur Heirat hast? Vielleicht bin ich auch schon verheiratet, wer weiß wie?“

Mehr als einen Monat muss er warten, bis er am 14. Juni 1941 schreiben kann: „Liebste Janni!Heute war der große Tag! Nun ist die eine Ehehälfte, also ich, verheiratet. Es ging verhältnismäßig schnell. Ich wurde heute zum Kommandeur bestellt 12:00 h und um 12:30 fand die Ferntrauung meinerseits statt… Jannilein, heirate nun auch Du bald und schreibe mir sofort. Schicke mir eine Abschrift der Urkunde, die beglaubigt ist. Nun das geht bei uns Soldaten alles sehr schnell.“

Ja, es ging sehr schnell. Je einfacher die Ferntrauung war, so die Überlegung, desto geringer die Gefahr, dass Deutsche mit „Fremdvölkischen“ zu verkehren suchten. Die Heirat zwischen „Deutschblütigen“ erfuhr während des Krieges ständig weitere Erleichterungen. Der Kreis derer, denen Fernehen gestattet waren, wurde auf alle deutschen Zivilpersonen im Ausland, selbst auf sowie Kriegsgefangene ausgedehnt. Franz Maßfeller, Die Personenstandsverordnung der Wehrmacht in neuer Fassung, in: Zeitschrift für Standesamtswesen 1942, S. 174 ff.

 

Der Krieg an der Ostfront

Die Deutschen eroberten bis Ende 1942 knapp zwei Millionen Quadratkilometer sowjetischen Territoriums. Zum Vergleich: Deutschland hat heute 0,357 Millionen Quadratkilometer Fläche. Ein großer Teil dieser Beute wurde nicht vom Militär verwaltet, sondern von den Reichskommissariaten „Ostland“ und „Ukraine“. Priorität hatte der Angriffskrieg, die Logistik wurde vernachlässigt. Während bei den US-Truppen der Anteil von Kampf- zu Versorgungstruppen bei 57 zu 43 Prozent lag, waren es bei der Wehrmacht nur 15 Prozent Versorgungseinheiten. In den Berichten von Hans schimmern immer wieder die Versorgungsengpässe durch: fehlendes Essen, fehlendes Benzin, vor allem fehlende Munition.

Durch systematischen Unterversorgung der sowjetischen Kriegsgefangenen sind von den vermutlich 3 Millionen Rotarmisten die meisten in den Lagern umgekommen – verhungert, erfroren, Seuchen erlegen oder ermordet. In Zivilverwaltungsgebieten wurden mindestens 1,7 Millionen Juden ermordet, in den Militärverwaltungsgebieten an die 500.000. Die Vernichtungspolitik entwickelte sich schrittweise. SS und Polizei gingen ab August 1941 dazu über, alle Juden zu töten.

 

Die deutschen Bundesgenossen in Rumänien beteiligten sich erheblich an den Massakern der ersten Wochen. Ihnen fielen allein in Bessarabien und der Bukowina bis August 1941 bis zu 60.000 Juden zum Opfer FN. Fraglich ist, was Hans, aus Rumänien stammend, davon mitbekommen haben könnte.

FN 68, Vgl. Jean Ancel, The Romanian way of solving the Jewish Problem“ in Bessarabia and Bukovina, June-July 1941, in: Yad Vashem Studies 19 (1988), S. 187-232;

Matatias Carp, Holocaust in Rumania. Facts and documents on the annihilation of Rumania’s Jews 1940-1944, Budapest 1994, S. 121 ff.;

The Destruction of Romanian and Ukrainian Jews during the Antonescu era, ed. by Randolph L. Braham, New York 1997; Andrej Angrick, The Escalation of German-Rumanian Anti-Jewish Policy after the Attack on the Soviet Union, in: Yad Vashem Studies 26 (1998), S. 203-238; Radu Ioanid, The Holocaust in Romania. The Destruction of Jews and Gypsies under the Antonescu Regime, 1940-1944, Chicago 2000, S. 62 ff. u. S. 289.

alle zit. nach Hartmann, ifz52/1

Verluste von Wehrmacht und SS

Die Verluste des Ostheeres und der SS-Einheiten waren exorbitant. Bis zum März 1942, nach Stalingrad, hatte der Krieg bereits ein Drittel des Ostheers verschluckt. Insgesamt stiegen die Verluste bis 1945 auf 6,2 Millionen Mann. Dass Kampfkompanien im Durchschnitt alle ein bis zwei Wochen einen neuen Chef erhielten FN, war keine Ausnahme. Statistisch hatte damals ein Zugführer der Panzergrenadiere ganze sieben Tage als Frontkämpfer zu leben. Ein Kompanieführer erreichte nach der Statistik 21 Tage und ein Bataillonskommandeur 30 Tage. Danach waren sie, statistisch gesehen, tot.

FN Bartov, Hitlers Wehrmacht, S. 88.

Diese Zahlen beziehen sich auf die Wehrmacht. Bei den Kampftruppen der SS dürfte es sehr ähnlich gewesen sein. Nur die wenigsten dürften den Krieg im Osten so lange überlebt haben wie Hans.

 

Christian Hartmann schildert in seiner Darstellung über das deutsche Ostheer das Beispiel von Heinrich Böll. Das Infanterieregiment 121 kämpfte im November 1943 auf der Krim, seine Verluste waren entsprechend hoch. Deshalb bekam es Ersatz aus Frankreich, darunter auch den Obergefreiten Heinrich Böll. Am 11. November 1943 wurde Böll, der der Wehrmacht immerhin schon über vier Jahre angehörte, auf die Halbinsel Kertsch geflogen, neun Tage später wurde er hier zum ersten-, nach weiteren 12 Tagen zum zweiten mal verwundet, so schwer, dass er dieses Schlachtfeld bereits am 6. Dezember 1943 wieder verließ. Was folgte, waren langwierige Lazarettaufenthalte. Im Mai 1944 sollte er die Ostfront nochmals kennenlernen, die sich nun durch Rumänien zog. Am 30. Mai, einen Tag nach seiner Ankunft, trafen ihn wieder Granatsplitter, es folgte eine zweite Odyssee durch die Welt der militärischen Lazarette. Heinrich Böll, Briefe aus dem Krieg 1939-1945, hrsg. u. kommentiert von Jochen Schubert. Mit einem Vorwort von Annemarie Böll und einem Nachwort von James H. Reid, 2 Bde., Köln 2001, zit nach Hartmann

 

„Partisanen“

Von „Partisanen“ spricht Hans immer wieder, vom Kampf gegen Partisanen. Wer ist damit gemeint?Als „Partisanen“ wurden alle bezeichnet, die sich der deutschen Besatzung entgegenstellten. In Weißrussland wurden 345.000 „Partisanen“ umgebracht, in der gesamten Sowjetunion mehr als eine halbe Million.

 

Der Chef des OKW, Wilhelm Keitel, hielt bereits im September 1941 „als Sühne für ein deutsches Soldatenleben die Todesstrafe für 50-100 Kommunisten als angemessen.“

Erlaß des Chefs OKW vom 16.9. 1941, in: Ueberschär/Wette (Hrsg.), „Unternehmen Barbarossa“, S. 359 f., zit nach Hartmann S. 25

 

Hitler hatte bereits im Juli 1941 festgestellt, dass der „Partisanenkrieg uns die Möglichkeit gibt auszurotten, was sich gegen uns stellt.“ Das geht unter anderem aus dem Dienstkalender von Heinrich Himmler hervor.

Aktenvermerk vom 16.7. 1941, in: IMT, Bd. 38, Nürberg 1949, Dok. 221-L, S. 86-94, hier S. 88. Vgl. auch Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, Peter Witte u.a., Hamburg 1999, S. 294 (18.12. 1941), zit. nach Hartmann, S 25

Himmler strebte danach, mit seiner Waffen-SS der Wehrmacht Konkurrenz zu machen.

Die LSSAH trägt die Verantwortung für zahlreiche Kriegsverbrechen an der Ost- und Westfront. Damit fing die Einheit schon wenige Wochen nach dem Überfall auf Polen an. In der Nacht vom 18./19. September 1939 ging westlich von Warschau Hauptsturmführer Hermann Müller-John mit seinen Männern auf „Judenjagd“. Dabei wurden 50 jüdische Zivilgefangene erschossen. Die Mordaktion war so grausam, dass Müller-John daraufhin von einer Wehrmachteinheit verhaftet und vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollte. Der Gefangene sandte an den Kommandeur Sepp Dietrich ein Telegramm, in dem er einerseits seine Aussagen vor den Untersuchungsbehörden mit ihm absprach und andererseits um Hilfe bat. Dietrich bestand auf der Freilassung Müller-Johns. Dieser wurde schließlich auf Befehl Hitlers freigelassen. Beispiel aus Wikipedia, dort sind zahlreiche weitere Fälle zu finden https://de.wikipedia.org/wiki/Leibstandarte_SS_Adolf_Hitler#Im_Zweiten_Weltkrieg

Kommissarbefehl und Gerichtsbarkeitserlass verlangten systematischen Mord – ohne Strafe, ohne Reue. Über die Zahl der Zivilisten, die diesen Morden zum Opfer fielen, gibt es nicht einmal vage Schätzungen. Sie gingen in die Millionen. Diese Weisungen führten zur grenzenlosen Eskalation des deutsch-sowjetischen Krieges. Gerichtsbarkeitserlass und Kommissarbefehl ergingen Mitte Mai und Anfang Juni 1941 – Wochen vor dem Beginn des Krieges, des geplanten Ausrottungskrieges. In Betrachtungen, wie stark die Wehrmacht in die Verbrechen verwickelt war, wird immer wieder auf die viel brutalere SS hingewiesen. Gerade die ganz großen Verbrechen, die gemeinhin mit dem nationalsozialistischen Weltanschauungskrieg in Verbindung gebracht werden: die Massaker von SS und Polizei, die systematische Unterversorgung der Kriegsgefangenen, der unterschiedslose Partisanenkrieg oder die koloniale Ausbeutung, hatten ihren Tatort meist hinter der Front, in der Regel sogar weit dahinter. Die Truppen im Hinterland waren in einer ganz unvorstellbaren Weise Herren über Leben und Tod. Hartman S. 67

Keiner wusste besser als die Bevölkerung in den Ostgebieten, wie unterschiedlich sich die verschiedenen Einheiten der Deutschen verhielten – dass es zwischen Wehrmacht und SS einen riesigen Unterschied gab. Nach 1945 legte die Harvard University einer Gruppe von 1.000 sowjetischen Emigranten die Frage vor: „Wer von den Deutschen hat sich nach Ihrer Meinung am besten benommen?“ 545 nannten die Fronttruppen, 162 die Zivilverwaltung und 69 die Truppen in den rückwärtigen Gebieten. Auf SS, Sicherheitspolizei und Feldgendarmerie verwiesen dagegen gerade mal 10. FN

FN Vgl. Dallin, Deutsche Herrschaft, S. 85, Anm. 1., zit nach Hartmann, S. 17

Hans war in der Nähe von vielen Orten der größten Verbrechen. Nur aus dem Bericht seiner Mutter, er sei bei Erschießungen zweimal ohnmächtig geworden und sei sogar degradiert worden, wissen wir überhaupt, dass er über die Verbrechen informiert war.

Einordnung des Buchs in Verlagsbücher

Dieses Buch über Janni und Hans S. gehört im Berlin Story Verlags zu denen, die anhand eines Einzelschicksals die Nazi-Zeit beleuchten. „Eine Backpfeife für den kleinen Goebbels“ von Johanna Ruf steht für die Mädchen, die in den letzten Tagens des Krieges aufopferungsvoll Soldaten pflegten – in diesem Fall im Lazarett vor dem Führerbunker. Johanna führte damals im Alter von 15 Jahren Tagebuch. Sie ist gerade [Juni 2019] auf eigenen Wunsch vom Altersheim in ein Pflegeheim gezogen.

Bei dem andere Buch handelt es sich um „Totentanz Berlin“: Der 17-jährige Frontsoldat Helmut Altner schildert als Ich-Erzähler die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Er verabschiedet sich von seiner Mutter, wird erst an der Front im Oderbruch an einem Vormittag an der Waffe ausgebildet, nimmt an den schlimmsten Tagen des Kampfes um Berlin in Seelow gegen eine immense sowjetische Übermacht teil. Das Buch ist so wichtig wie „Im Westen nichts Neues“ für den Ersten Weltkrieg. Auch Helmut Altner schrieb seine Erlebnisse sofort auf – nicht Jahrzehnte später. Er lebt nicht mehr. Wir veröffentlichen eigentlich keine nachträglich geschriebenen Erinnerungen. Ausnahmen sind „Bomben auf Berlin“, wo fünfzig Berliner, damals Kinder und Jugendliche, die Bombennächte schildern.

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Die wichtigste Besprechung zum Buch: Marius Koity, Redaktionsleiter bei der Ostthüringer Zeitung, bespricht „Liebste Janni“ im November 2020:

Feldpost eines Offiziers der 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ aus einem privaten Archiv erstmals veröffentlicht

Die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ hat in den Jahren von 1942 bis 1945 das Leben vieler Familien aus dem gesamten historischen Banat sowie Siebenbürgen, in Rumänien, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien geprägt. Die Nachwirkungen halten bis heute an. Davon zeugt das hohe Interesse an jeglichen Veröffentlichungen zu diesem Thema, seien es wissenschaftliche Dokumentationen und Interpretationen des damaligen Geschehens, sei es Erinnerungsliteratur im Spagat zwischen Biographie und Belletristik.

Unverfälschte wie unverblümte Eindrücke aus jenen Jahren bietet ein Buch aus dem Berlin Story Verlag an. „‘Liebste Janni!‘ – Briefe von Hans S. aus dem Krieg – 1940-1945“ heißt der im September 2019 erschienene Band, in welchem die thüringische Schriftstellerin Alice Frontzek als Herausgeberin ca. 185 Feldpostbriefe ihres Großvaters vorstellt.

Als Janni – Marianne Heinrich, verwitwete S., geborene Rüger – 2006 im Alter von 83 Jahren starb, hinterließ sie ihrem Sohn Hans-Eberhard die bis dahin nie angesprochenen Feldpostbriefe. Diese sind dann über weitere Jahre, bis 2018, weitgehend unbeachtet geblieben, als sich Alice Frontzek als Enkelin dem schmerzhaften Kapitel der Familiengeschichte annahm.

Die in Erfurt lebende Autorin mit Berliner Wurzeln erkannte schnell den Wert der privaten Unterlagen für die Allgemeinheit. Es reifte die Idee eines Buches, in welchem zum Schutz des Familienverbandes lediglich der Nachname der beiden verstorbenen Protagonisten auf S. beschränkt ist.

Der Historiker Dr. Reiner Prass und der Verleger Wieland Giebel ordnen Zeitzeugnisse und Rechercheergebnisse in einem Vor- und Nachwort ein. Mit einer persönlichen Einleitung von Alice Frontzek und der Moderation der Feldpostbriefe durch Verlagsredakteur Norman Bösch, zahlreichen Fotos und anderen Illustrationen, einigen kürzeren Beiträgen und faksimilierten Auszügen etwa aus Kriegstagebüchern der „Prinz Eugen“ wuchs das Projekt zum 302-seitigen Buch.

Dieses beginnt im August 1940, als der 23-jährige Rottenführer/Obergefreite Hans S. der 18-jährigen Erfurter Postangestellten Marianne den ersten Liebesbrief schreibt. Und zwar aus dem lothringischen Metz, wo sich der Siebenbürger Sachse aus Wolkendorf (landessprachlich: Vulcan), mit der Leibstandarte SS Adolf Hitler auf den seinerzeit geplanten Überfall Großbritanniens vorbereitet.

Zu diesem Zeitpunkt war Hans S. schon geraume Zeit weg von zu Hause. Nach einem um 1935 geleisteten Dienst in der rumänischen Armee studierte er ab 1936 an der Sporthochschule in Berlin. In jenem Jahr soll er da sogar der rumänischen Feldhandballnationalmannschaft bei den Olympischen Spielen angehört haben. Auf alle Fälle meldete sich Hans S. Mitte September 1939, nach dem Überfall des III. Reichs auf Polen, freiwillig zur Waffen-SS. Der Diplom-Sportlehrer wird zunächst in der Reichshauptstadt ausgebildet. So lernt er Marianne kennen und es entwickelt sich eine so innige Beziehung, dass er ihr zunächst alle paar Tage schreibt.

Englischen Boden betrat Hans S. nie. Dafür stand er 1941 unverhofft in der rumänischen Walachei, wo der Einfall seiner Division in Bulgarien und Griechenland begann. Von der Ägäis ging es zur Auffrischung nach Mähren, wo ihm die Ferntrauung mit der mittlerweile schwangeren Marianne erlaubt wurde, um dann Rädchen des „Unternehmens Barbarossa“ zu werden, was ihn quer über verschiedene Kriegsschauplätze des Russlandfeldzuges bis zum Schwarzen Meer brachte.

Der ehrgeizige und linientreue Hans S., der zwischendurch zum ausgesuchten Publikum einer Berliner Sportpalast-Rede Hitlers gehörte, durfte sich dann in Bad Tölz und München-Freimann weiterbilden, um ab dem 4. Juni 1942 als SS-Untersturmführer/Leutnant beziehungsweise Ausbildungsoffizier im heute serbischen Großkikinda (landessprachlich: Kikinda) die „Prinz Eugen“ mit aufzustellen. In seiner Feldpost nennt er Rumänien wiederholt sein Heimatland, auf dem Balkan wird er nun als Reichsdeutscher betrachtet, vielleicht weil er 1916 zufällig in Wien das Licht der Welt erblickt hatte.

Sicher an die Geheimhaltungsvorschriften und die Militärzensur denkend, schreibt Hans S. seiner Janni oft über persönliche, ja allzu menschliche Dinge wie Fußlappen, Fettmarken und Filzläuse. Es dringen aber auch Nachrichten vom mal stinklangweiligen, mal überaus erschöpfenden Dienst im Hinterland bzw. an der Front durch, und in diesem Spannungsfeld bewegen sich auch seine Nachrichten vom Balkan.

Die vermitteln zunächst ein Leben „wie im Paradies“. Bester Muskateller fließt wohl in Strömen. Nur unerträgliche Hitze scheint zu stören. „Wir haben hier alles in Hülle und Fülle“, schreibt Hans S. am 8. August 1942 seiner Frau, die später im Jahr mit Kind und Kegel aus dem luftkriegsgefährdeten Erfurt nach Wolkendorf zu ihren siebenbürgisch-sächsischen Schwiegereltern zieht.

In seiner Batterie stehen dem Chef „alle Künstler des Handwerks“ und allein drei Berufsfotografen zur Verfügung, was sich in etlichen Bildern niederschlägt. Die zeigen eine unbeschwerte Zeit und einen seinen Männern zwar verbundenen, aber selbstbewussten Offizier.

„Wenn ich hier wollte, ich könnte jede Woche 2-3 große Schinken umsonst haben“, meldet Hans S. aus Großkikinda. „Doch ist mir meine Autorität lieber als alles Essen. Ich habe ein paar sehr reiche Kerle in meiner Batterie, schwerreiche Bauern mit eigenen Mühlen. In der nächsten Woche schicke ich Dir mit einem meiner Köche, der zu einem Kursus ins Reich fährt, eine Kiste mit 20 kg Mehl, Schinken und Eier.

Bald darauf wird’s ernst. Es kommen Zeiten, für welche keine Post von der Front erhalten ist. Und wenn es Briefe gibt, dann weicht in den Zeilen des jungen Mannes die Verliebtheit der Sorge um die Familie. Unbeschwertheit blitzt nur noch selten auf. Höhepunkt ist ein Besuch des Reichsführers SS Heinrich Himmler, dem die Einheit von Hans S. ihre Kriegskunst vorführen darf.

Als Hans S. im Sommer 1943 auf Heimaturlaub darf, trägt er als nunmehriger SS-Obersturmführer/Oberleutnant das Eiserne Kreuz II. Klasse im Knopfloch. In seinem Heimatdorf spricht er in einer Propagandaveranstaltung der Volksgruppe vor Landsleuten, die kurz vorm Abtransport zu Einheiten der Waffen-SS, wohl auch zur „Prinz Eugen“ stehen. Später im Jahr lernt er mit der Adria das dritte Meer als Soldat kennen.

Der letzte Feldpostbrief, der die Familie von Hans S. erreicht hat, stammt vom 24. Januar 1945. „Harte und kalte Angriffstage liegen heute hinter uns“, heißt es da. Die Auflösung der „Prinz Eugen“ im Chaos der letzten Kriegs- und erste Friedenstage erwischt Hans S. irgendwo zwischen Laibach und Cilli (landessprachlich: Ljubljana und Celje) im heutigen Slowenien. Er ist mittlerweile SS-Hauptsturmführer/Hauptmann und Träger des Kriegsdienstverdienstkreuzes II. Klasse mit Schwertern. Das hilft ihm Mitte Mai 1945 überhaupt nicht, als er beim Versuch, amerikanisch besetztes Gebiet zu erreichen, wohl den falschen Leuten über den Weg läuft.

Marianne S. hoffte im Frühjahr 1947, als ihr die Rückkehr aus Siebenbürgen nach Thüringen vergönnt war, noch auf ein Wiedersehen mit ihrem Mann. Erst 1956, nunmehr in West-Berlin zu Hause, sollte sie von einem Überlebenden der versprengten Einheit von Hans S. Näheres über seine letzten Stunden berichtet bekommen. Der genaue Todestag und -ort des vermissten Weltkriegssoldaten Hans S. sind bis heute unbekannt.

Alice Frontzek hat sich dem kurzen Leben ihres Großvaters mit einer typischen, aber auf der Hand liegenden Nachgeborenenfrage genähert: War Opa Opfer oder Täter? Einer ihrer Antworten zufolge, war der Artillerist Hans S. selbst nur „Kanonenfutter“. Er wurde „fanatisiert, verleitet, verblendet, auf den Holzweg geführt, zum Täter und somit zugleich zum Opfer gemacht, nicht nur zum Opfer des Krieges, auch zum Opfer des Schweigens einer Generation, in der es keinen Raum gibt, sich an Soldaten zu erinnern, die einem der schlimmsten Unterfangen der Weltgeschichte dienten.“

Dem berührenden Taschenbuch sind reichlich Leser zu wünschen.

Marius Koity