
Als ich Anfang der 1970er Jahre mit Martin Niemöller zu tun hatte, war mir nur die Gegenwart bewusst: Er hatte sich der sowjettreuen DKP und ihren Vasallen als Galionsfigur zur Verfügung gestellt. Dass er gegen die Nazis und im KZ war, wusste ich. Dass er selbst lange Nazi war, wusste ich damals nicht. Jetzt habe ich sein Pfarrhaus besucht, die Gedenkstätte, mit der Frage, wie man Niemöller wohl als Vorbild darstellen kann.
Ich bin sehr gespannt, wie man Martin Niemöller darstellt und aus seinem Leben etwas macht, was – vom Jugendministerium gefördert – als Vorbild für junge Menschen dienen soll. Er hat im Ersten Weltkrieg vom U-Boot aus militärische und zivile Schiffe versenkt, seit 1924 (!) die NSDAP gewählt, war noch 1934 der Meinung, dass die Kirche Gott und dem „Führer“ gehorchen müsse. Allerdings kam es bereits im Januar 1934 zu einer direkten Konfrontation zwischen Niemöller und Hitler, als Kirchenführer in die Reichskanzlei eingeladen waren und Hitler die Bekennende Kirche als staatsfeindlich kennzeichnete.
Dietrich Bonhoeffer schrieb Ende April 1934 über Niemöller. „Phantasten und Naive wie Niemöller glauben immer noch, die wahren Nationalsozialisten zu sein.“ Niemöller hat sich dann aber auf die Seite der Bekennenden Kirche gestellt, also gegen die Deutschen Christen, von der NSDAP gegründet und mit einem eignen Reichsbischof.
Im Sommer 1937 wurde Niemöller verhaftet, kam dann ins KZ Sachsenhausen, 1941 nach Dachau, wurde 1945 befreit und musste sich den Amerikanern noch drei Monate zur Verfügung stellen.
In der Dokumentation „Hitler – wie konnte es geschehen“ kommt Martin Niemöller nicht vor, weil sich sein Lebensweg nicht kurz darstellen lässt – aber Dietrich Bonhoeffer als Repräsentant der Bekennenden Kirche.







Laut Internetseite gibt es vier Mitarbeiter, geöffnet ist momentan Dienstag und Donnerstag von 11 bis 13 Uhr. Ich bin während meines Besuchs weder auf Mitarbeiter*innen noch auf andere Besucher gestoßen. Die Tür war auf und ich habe sie anschließend wieder ordentlich zugemacht.




Mir ist bewusst, dass meine distanzierte Haltung gegenüber Martin Niemöller für manche unerträglich sein muss. So vieles kommt mir seltsam vor, ich kann es mir nicht erklären. Dass er, kaum ist der Nationalsozialismus vorüber, auf einmal strammer Pazifist wird.


Ich persönlich habe Martin Niemöller als Galionsfigur der Friedensbewegung nicht ambivalent in Erinnerung, sondern als Unterstützer der sowjetgesteuerten kommunistischen Kräfte in Westdeutschland. Als ich ab 1971 Bundesgeschäftsführer des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer VK war, einer links-unabhängigen, teils aus der Studentenbewegung erwachsenen, großen und einflussreichen Organisation mit 10.000 Mitgliedern in 100 Gruppen, war Niemöller Präsident der „konkurrierenden“ Deutschen Friedensgesellschaft – Internationale der Kriegsdienstgegner. Niemöller war nicht Repräsentant DER Friedensbewegung. Die gab es so nicht. Ein Teil war DDR- und sowjethörig, der andere Teil war unorthodox links.
Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SDAJ, die Jugendorganisation der DKP, infiltrierte systematisch den Verband der Kriegsdienstverweigerer – VK. Ziel war es, der DKP weitere Bündnispartner an die Seite zu stellen. Ein Jahr lang war der Kampf dagegen erfolgreich, dann übernahmen die DKP-nahen Gruppen den VK und fusionierten anschließend mit der moskautreuen Deutschen Friedensgesellschaft.
Was kann man sich unter infiltrieren vorstellen? Die größten Ortsgruppen hatten die meisten Delegierten. Das waren (soweit ich mich erinnere) Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg. SDAJ-Mitglieder traten in einigen Orten in den VK ein, natürlich ohne ihre Mitgliedschaft deutlich zu machen, wählten auf der nächsten örtlichen Versammlung ihre Delegierten zum Bundeskongress und dort dann einen neuen, DKP-hörigen Vorstand. Als Bundesgeschäftsführer bekam ich das Angebot, gegen ein höheres Gehalt zu bleiben, lehnte das aber dankend ab.

Martin Niemöller hat das alles mitbekommen. Er fühlte sich geehrt, gebauchpinselt, Präsident einer Friedensgesellschaft zu sein. Es passte auch in sein antiamerikanisches und antisemitisches* Weltbild. Antiamerikanisch, da ging ich auch auf die Straße, was den Vietnamkrieg anging. Mir war aber gleichzeitig bewusst, dass 400.000 junge amerikanische Männer im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland gefallen waren, dass Amerika uns geholfen und die Luftbrücke ermöglicht hat. Ich erinnere mich an die Care-Pakete.
*1963: „Inwiefern aber die Evangelische Kirche eine positive Aufgabe und ein positives Interesse am Staate Israel haben soll oder darf, ist mir bis zur Stunde schleierhaft.“
Niemöller vom Saulus zum Paulus? Naja. Wenn man so lange so viel falsch gemacht hat, könnte man auch einfach mal etwas mehr die Klappe halten.

Mehr zu Martin Niemöller auf Wikipedia oder relativ knapp in der SZ in der Besprechung einer aktuellen Biographie „Niemöllers Weg vom kaisertreuen Soldaten zum Theologen, vom Anhänger Hitlers zum Hitler-Gegner im KZ. Vieles an seinem Denken war doppelbödig, auch sein Blick auf Juden.“
https://www.sueddeutsche.de/politik/niemoeller-kirche-hitler-1.4675655
„Immer wieder deckt Benjamin Ziemann, der Autor, Geschichtsprofessor in Sheffield, Niemöllers Selbststilisierungen auf, etwa dass seine freiwillige Meldung zur Wehrmacht allein dem Ziel gegolten habe, sich dem Widerstand des 20. Juli anzuschließen. Den Nationalsozialismus verbrämte er noch 1945 als Resultat eines Abfalls vom Christentum und den Angriff gegen den christlichen Glauben als Kern der Ideologie. Kein Wort über den Holocaust.
Für Benjamin Ziemann schwammig genug ist auch Niemöllers Umgang mit der Schuldfrage. Schuld blieb für ihn folgenlos, denn nun müsse man „Vergebung üben“ und Liebe predigen. Ihm war die Schuld der Besatzungsmächte wichtiger.
Martin Niemöller als Vorbild für die Themen demokratische Zukunft gestalten und Extremismus vorbeugen – einfacher wäre es mit einem ungebrochenem Helden. Ich bewundere das Engagement der Gemeinde und des Fördervereins, stelle mir die Vermittlungsarbeit aber schwer vor. „Meine Sicht, deine Sicht, unsere Sicht, vielschichtig“ – so beliebig formuliert es das Bundesjugendministerium, BFSFJ, Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Wir beziehen im Bunker (und darüber hinaus) mit der Dokumentation „Hitler – wie konnte es geschehen“ eindeutige, klare Positionen gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Was den Nationalsozialismus angeht, gibt es für uns keine „vielschichtigen“ Positionen, wie es Bundesprogramme wie „Demokratie leben!“ und die Bundeszentrale sowie die Landeszentralen für politische Bildung vorgeben.