Mein Bruder Rolf ist gestorben, im Juli 2024 bestattet

Mein Bruder Rolf ist tot. Er starb am 14. Mai 2024. Rolf war sieben Jahre jünger als ich. Kassel – Bochum – Berlin, das waren seine Stationen. Sein Leben begann glücklich in einer heilen Familie, in einer prosperierenden Zeit – und endete im Drogentod.

Er war ein glückliches Kind, am 20. August 1957 geboren. Wirtschaftlich ging es in Deutschland während seiner Lebenszeit nur bergauf. Bei ihm nicht immer.

Als Rolf geboren wurde, hatte meine Mutter schon die erste Waschmaschine. Vorher gab es nur eine Schleuder. Die Anschlüsse in den Wohnungen waren gar nicht für Waschmaschinen vorgerüstet. Erst hatten die Frauen nur eine Schleuder. Da konnte man einen Eimer drunter stellen. Die Schleuder meiner Mutter steht jetzt in der Abteilung „Fünfzigerjahre“ im Berlin Story Bunker. Ein Jahr nach Rolfs Geburt bekamen wir einen VW-Käfer, gebraucht. Eine Million Käfer waren schon im August 1955 in Wolfsburg von den Bändern gerollt – ein Symbol des Wirtschaftswunders. Drei Jahre nach seiner Geburt kam das Einfamilienhaus. Dann auch bald das nächste Kind.

Die Geburt von Rolf war für mich aufregend. Vom Diakonissenhaus ging es mit dem Taxi nach Hause. Meine erste Taxifahrt. Ins Krankenhaus musste meine Mutter allerdings mit der Straßenbahn fahren.

 

Rolf am 27. November 1957 auf meinem Schoß.

Ich habe viele Fotos von Rolf, wie er als Baby und Kleinkind auf meinem Schoß saß oder wie wir spielen.

 

Die Eltern meiner Mutter hatten fünf Kinder. Sie waren glücklich, als ihre Tochter in Kassel das zweite Kind bekam. Kurz zuvor waren sie aus der DDR in den Westen übersiedelt. Regierungsbaurat Ernst Fenner, Frau Regierungsbaurat Charlotte Fenner (so wurde sie in Schmalkalden beim Milch holen angesprochen), Selma Giebel, geb. Fenner, Rolf und Ernst Giebel.

Ein Foto mit seinem dann wichtigsten Requisit fehlt mir leider, seine Indianerhaube. Meine Mutter war eine Künstlerin im Anfertigen von Indianerhauben. In ihrer Jugend hatte sie beim BDM und dann bei der FDJ Theater gespielt und immer die Kostüme selbst geschneidert. Nur nachts musste Rolf die Haube abnehmen.

Rolf, Selma, unsere Mutter, Wieland (ich) Weihnachten 1960. Die Originale dieser Fotos sind ziemlich klein. Das Fotopapier war teuer.
Erste heilige Kommunion. Ich nehme an, Rolf ist zehn Jahre alt. Wir sind gerade in das neue Haus im Preserweg 17 in Kassel gezogen. Die Terrasse wird noch nicht von einer mauer begrenzt. Selma, Rolf und ich (16 oder 17 Jahre).

Seit seiner frühen Jugend war die Gitarre nicht mehr wegzudenken. Er hatte das Instrument für sich entdeckt. Er beherrschte es virtuos. Unterricht gab es nicht. Vor allem aber begleitete er sich selbst beim Singen. Der Friedrichsplatz in Kassel, auf dem das von der documenta bekannte Fridericianum steht, ist von einer kleinen Mauer umgeben. Dort saß Rolf Anfang der 70er Jahre immer wieder und spielte Protestlieder. Ohne Anleitung, ohne Organisation, einfach so. Es war sein Gerechtigkeitssinn, der ihn dazu trieb, weniger die Lust am öffentlichen Auftritt. Tragischerweise konnte er sich nachher nicht mehr daran erinnern.

 

Lebensfreude ging von Rolf aus, besonders wenn er auf der Gitarre spielte.

Dieser Gerechtigkeitssinn brachte ihn später in eine schwierige Lage. Er war Lehrling als Hotel- und Gaststättengehilfe in einem Landgasthof bei Münster und wollte einen Betriebsrat gründen. Dabei versicherte er sich der Unterstützung der Gewerkschaft, begann die Vorbereitungen und wurde gefeuert. Der Gewerkschaftssekretär der NGG ließ ihn im Stich. Ich habe ihm einen Anwalt besorgt und er musste wieder eingestellt werden. Daraufhin wurde er im Betrieb so gemobbt, dass er aufgab.

Als er dann als Koch in einer Pizzeria in Bochum gearbeitet hat, fing das mit den Drogen an – soweit ich das mitbekommen habe oder mich richtig erinnere. Er zog zu mir ins Haus auf der Zeche Prinzregent, das ich 1973 besetzt und dann legalisierst hatte, brachte nach einiger Zeit noch ein Pärchen mit. Die beiden wohnten mir gegenüber in einem Raum, nur durch eine Zwischentür getrennt. Sie liebten sich laut und ständig. Koks, Fickpuder, intensivierte das Erlebnis und dehnte es auf eine halbe Stunde spitzer Schreie aus. Ein, zwei Mal ist es interessant, dann nervt es. Ich wollte sie aber nicht nur deswegen loswerden. Meine Nachbarn waren bei der Roten Zora und den Revolutionären Zellen. Im Gegensatz zur RAF, deren Mitglieder in den Untergrund gingen, waren das eine Art Freizeit-Terroristen. Sie legte Adler-Bekleidungsmärkte in Brand – aus Solidarität mit den Näherinnen in Malaysia. Diese Genossen wiesen mich darauf hin, dass vor meinem Haus immer die Drogenfahndung in einem Auto vorbeifuhr oder saß. Das war für ihre Aktivitäten etwas unangenehm. Hinzu kam, dass ich zu der Zeit nach der Nelkenrevolution in Portugal mit portugiesischen Soldaten eine Rundreise durch fünfzig deutsche Garnisonsstädte organisierte. Es ging darum, den deutschen Soldaten zu zeigen, wie man eigentlich eine Revolution macht. Deshalb heftete sich der MAD an meine Fersen. Ein bisschen viel auf einmal. Entknoten!
Aber in einem Punkt trafen sich meine Interessen und die von Rolf: Er komponierte für die Tournee ein Lied: „Soldaten Portugiesen, ihr werdet kämpfen müssen, bis ihr frei seid. Soldados Unidos Vencerao, Soldaten gemeinsam werden siegen!“ SUV hieß die revolutionäre portugiesische Soldatenorganisation. Dass diese Abkürzung inzwischen anders verwendet wird, hat mich lange irritiert. Wir nahmen das Lied bei mir zu Hause in der Wohlfahrtstraße 100 auf, weil ich eine Single-Folie für die Tour-Broschüre pressen lassen wollte. Solche Singles als dünne Folie gab es damals gelegentlich als Werbegeschenk, auch in Musikzeitschriften. Aber die Firma lehnte ab, weil ihr der Inhalt nicht passte. Von der Broschüre gibt es nur noch wenige, wertvolle Exemplare. Eine Heft liegt im Bunker in der Abteilung „Was war eigentlich Internationalismus-Arbeit?“

Von Rolf getextet und komponiert: ein Lied für die Rundreise mit zwei portugiesischen Soldaten durch 50 Garnisonsstädte in Deutschland. Ich hatte die Soldaten eingeladen und die Reise organisiert. Eigentlich das Portugal-Komitee Bochum, das sich aber vorher auflöste. Wir nahmen das Lied auf und wollten eine Schallplatte daraus machen.

Rolf zog in Bochum in ein Haus in der Straße Auf dem Aspei. Das ging schief. Er kam zu harten Drogen. Sein Zimmer machte den Eindruck, als sei eine Bombe eingeschlagen. Ich alarmierte mehrmals meine Mutter, die aus dem Dorf im Münsterland kam, seine Wohnung putzte und ihm – wahrscheinlich – die Leviten las. Es wurde immer schlimmer. Ich schlug meiner Mutter vor, ihn einfach mit aufs Land zu nehmen. Das klappte. Seltsamerweise habe ich das auch in anderen Fällen erlebt, dass drogensüchtige junge Erwachsene mitgehen, wenn ihre Eltern sie abholen. Wenn es nicht um meinen Bruder ging, fiel es mir außerordentlich schwer, fremde Eltern zu informieren und ihnen das vorzuschlagen.

Mein Vater war in Kassel arbeitslos geworden. Er empfand das als Schande. Er schämte sich. Es war nicht seine Schuld. Er hatte in Nordhessen Braunkohle vom Meißner verkauft. Es lohnte sich nicht mehr, sie zu fördern, weil importiertes Öl billiger wurde. Ökologische Gesichtspunkte spielten damals keine Rolle. In dem Dorf Ostenfelde fand er Arbeit als Buchhalter in einer Bürstenfabrik. Der Chef kam mir immer wie ein Betrüger vor. Die Wohnung dort war eigentlich für meine Eltern und Sohn 3 gedacht. Inzwischen hatte meine Mutter aber ihre Eltern zu sich geholt und nun kam auch noch Rolf.

Selma und Rolf waren aber viel im Garten. Dort wurde gegrillt, aber zwischen dem Mais auch schöner Hanf angebaut. Sie wurden ein fröhliches Paar, und Rolf kam von den harten Drogen runter. Mein Vater war inzwischen tot. Der zeitlich Ablauf dürfte etwa so gewesen sein. Meine Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen.

Ich ging 1977 in eine Fabrik arbeiten, um sechs Jahrre lang die Arbeiterklasse zu organisieren, war in der Gewerkschaft, der linken Betriebsgruppe, der Irland-Gruppe, der Portugal-Gruppe und in der Kommunistischen Gruppe Bochum. Außerdem in der Bürgerinitiative Wohlfahrtstraße. Meine Mutter und ihre Angelegenheiten waren, solange mein Vater lebte, zu weit aus meinem Blickfeld gerückt.

Aber es geht um Rolf. Er hatte eine Freundin, Lehrerin. Das sah nach einer guten Perspektive aus. Dann hatte er eine andere Freundin, die Schwester meiner Frau. Sein Leben änderte sich vollständig und für lange Zeit. Die beiden lebten zusammen und hatten zwei Kinder – eines davon ist York auf dem Foto bei der Bestattung. Er liebt seinen Vater inbrünstig.

Und wieder folgt ein Riss bei mir, denn wir waren mehrere Jahre in Ruanda, ländliche Entwicklung. Etwas ging schief mit Rolf, etwas wurde besser. Die Beziehung hielt nicht ewig. Aber Rolf machte eine Ausbildung zum Krankenpfleger, fühlte sich richtig aufgehoben und übernahm Verantwortung als stellvertretender Stationsleiter. Er hatte mehrere Jahre lang eine deutlich jüngere Freundin, eine Krankenschwester. Sozialer Anker in Bochum war seine Band. Die Band spielte viele Jahre zusammen, hatte aber nicht vor, jemals aufzutreten. Rolf äußerte gelegentlich den Wunsch, nach Berlin zu kommen. Als ich für die Gastronomie in der Buchhandlungen und im Dinner-Theater der Berlin Story Unter den Linden Hilfe brauchte, fragte ich, ob er kommen wolle. Ja, aber nur, wenn seine Tochter auch bei mir arbeiten könnte.

Um es kurz zu machen: das ging gründlich schief. Entgegen seiner Zusicherung war er weiterhin auf Droge und kriegte die Arbeit, den Einkauf, die Personalführung nicht auf die Reihe. Eine Katastrophe. Für Rolf und für mich. Das Projekt war so groß und komplex, am Ende mit 49 Angestellten, dass ich ihn nicht mit durchziehen konnte. Ich brauchte für jeden Bereich zuverlässige Führungskräfte, für die Buchhandlung, den Verlag, die Gastronomie, das Dinner-Theater und das Berlin Story Museum sowie das Geschichtsfestival Historiale. Alles war unter einem Dach und irgendwie verflochten.

Für Rolf bedeutete die Kündigung den Absturz. Seine Band-Kollegen wollten ihn nach Bochum zurückholen, kamen mit einem 7,5-Tonnen-Laster, aber er beschimpfte und verjagte sie. Ich hatte telefonisch Kontakt mit Rolf und brachte ihn gelegentlich zu unserer Mutter ins Pflegeheim. Das wurde immer seltener und brach schließlich ab. Als ich ihn längere Zeit telefonisch nicht erreichen konnte, informierte ich das Sozialamt. Die brachen mit Polizei und Feuerwehr die Wohnungstür auf. Rolf lag weggetreten auf dem Bett. Er hat das als absolute Respektlosigkeit von mir empfunden. Der Kontakt brach vor etwa zehn Jahren ab – bis zu seinem Tod. Nicht ganz, denn indirekt hatte ich noch mit ihm zu tun. In jedem Jahr musste ich als Vormund (heißt heute anders) meiner Mutter bestätigen, dass sie keinen Unterhalt für ihn zahlen kann. Dadurch hatte das Bezirksamt Neukölln meine Daten. So wurde ich über seinen Tod informiert und gebeten, die Beerdigungskosten zu übernehmen.

Ich erinnere mich daran, wie nahe mir Rolf stand, wie viel Spaß wir zusammen hatten, wie ich mich immer gefreut habe, wenn es ihm besser ging. Ich frage mich, ob es eine Rolle gespielt hätte, wenn die Drogenpolitik anders gewesen wäre. Wahrscheinlich nicht. Ob legal oder illegal, die Abhängigkeit ist bei vielen größer geworden. Inzwischen nehmen noch viel mehr Leute Drogen. Nach der Freigabe von Cannabis verdienen sich die Dealer dumm und dämlich. Die Vereinigten Staaten kriegen das Problem gar nicht mehr in Griff, und bei uns kümmert sich kein Politiker wirklich intensiv darum, die Polizei oder wen auch immer so auszustatten, dass die Drogenkartelle zerschlagen werden und in den Knast kommen.

Rolf hatte in vieler Hinsicht eine gute Perspektive: Er war charmant, handwerklich geschickt, baute für viele Freunde Hochbetten, konnte Motorräder und Autos reparieren, war ein guter Koch und vor allem ein beliebter Krankenpfleger. Sein Wille, das mit den Drogen zu lassen, nahm allmählich ab. Damit schwand sein Selbstbewusstsein und am Ende der Überlebenswille. York wünschte ihm, dass es ihm jetzt besser gehen möge. Ich auch.

Till (Rolfs Neffe), York (Rolfs Sohn) und Wieland (ich).

Jetzt ist Rolf tot. Er wurde am 18. Juli 2024 bestattet. Ich wurde gefragt, wo die anderen auf dem Foto sind. Es gab keine anderen. Von seinen zwei Kindern war nur eins da, York. Seine Schwester meinte, die Bestattungskosten vom Sozialamt bezahlen lassen zu können, sie hätte alles beantragt und erzählt herum, so wurde mir zugetragen, ich hätte ihr dann mit meinem vielen Geld die Bestattung aus der Hand genommen. Es gibt aber ein Gesetz, danach sind die Kinder, dann die Eltern, dann die Geschwister zuständig.

Von seinen zwei Brüdern war nur einer da, also ich. Gernot, fünf Jahre jünger als Rolf, war nicht da. Außerdem Till, sein Neffe, mit dem Rolf noch lange Kontakt hatte. Till kümmerte sich immer mal wieder um ihn. Die Mutter seine Kinder war nicht da, auch nicht andere Frauen, die ihm sehr nahe standen. Bis heute hat niemand gefragt, wo das Grab genau ist. Leider ähnelte Rolfs Beerdigung der unserer Mutter im Jahr 2021: damals fehlten meine beiden Brüder. Keiner von ihnen hatte in den zehn Jahren je etwas für das Pflegeheim bezahlt oder sich an den Kosten für die Bestattung beteiligt, also auch nicht der Banker, ein Betreuer vermögender Privatkunden. Die Kinder waren Selmas Leben. Sie opferte ihnen alles, hatte die Erbschaft vorzeitig ausgezahlt, also die Einnahmen aus dem Verkauf des Hauses in Kassel, damit die Kinder nicht bis nach ihrem Tod warten müssen, sondern es besser haben als sie.

P.S. Zwischen Rolfs Tod und seiner Beerdigung lag eine lange Zeit. Der Moment, in dem mir die Rede am Grab einfiel, war etwas überraschend: Am 10. Juli um 3.58 Uhr wurde ich von einer Erschütterung geweckt. Irgendwas zwischen „etwas ist runtergefallen“ und „kleines Erdbeben“. Bevor ich nachdenken konnte, was eigentlich los war, kam innerhalb von weniger als einer Minute die nächste Erschütterung. Jetzt war mir klar: Das waren zwei Raketen, die hier in der Nähe eingeschlagen sind. Ich lag in Odessa im Bett. Mir ging durch den Kopf: „Wieder hat es Menschen getroffen. Wieder gab es Tote.“ Auf der App von Telegram erschien um 4.06 Uhr die Meldung: „Keine Mopeds und Raketen mehr. Pinkeln und weiterschlafen.“ Mit „Mopeds“ sind Shahed-Drohnen gemeint. Sie haben einen Dreizylindermotor und klingen wie Mopeds. Man hört sie kommen. Im Berlin Story Bunker sind Sprengkopf (80 Kilogramm mit Sprengstoff), Motor, Flügel und elektronische Steuerung einer iranischen Shahed Drohne ausgestellt, die Putin in die Ukraine geschickt hat, um die Menschen zu töten. Auch das Triebwerk und der Suchkopf russischer KH-101-Raketen, die in der Nacht in Odessa niedergegangen sind. Mehrere Tote.

„Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe hat Russland die Hafenstadt Odessa im Süden der Ukraine mit fünf Raketen und Drohnen beschossen. 14 von 20 Drohen hätten abgewehrt werden können. Bei dem Angriff seien mindestens zwei Menschen getötet und ein Mensch verletzt worden. Der Angriff galt nach ukrainischen Angaben der Hafeninfrastruktur in der Region. Lagerhäuser, Lastwagen und ein ziviles Schiff seien beschädigt worden, teilt der Gouverneur mit.“

 

Nachtrag 30. August 2024: Mein Bruder Gernot ist gestorben. Er war zwölf Jahre jünger als ich und starb im Urlaub in Italien, schlafend im Bett. Gernot wurde am 24. März 1962 geboren. Er war aus ganzem Herzen Banker, zunächst 1985 – 1990 Leiter einer Niederlassung der Volksbank Biedenkopf, bis 1997 Stellvertretender Leiter der Akademie des Verbandes der Sparda-Kassen. 13 Jahre lang unterrichtete er Banken als selbständiger Unternehmensberater, zog 2009 aus Germering nach Berlin und war seit 2016 bei der Volksbank Feldatal Betreuer vermögender Privatkunden.

Zur Waldbestattung meines Bruders Gernot war ich im Oktober 2024 von seiner langjährigen Begleiterin Gaby nicht eingeladen worden. Im März 2025 stellt sich heraus, dass diese Bestattung aus der Erbmasse nicht bezahlt werden kann. Ich übernehme zwei Drittel der Kosten.

Nachtrag Rolf am 2. Januar 2025

S.K. , ein Freund von Rolf, wendete sich aufgrund dieses Beitrags an mich und hellt vieles auf, was ich nicht mitbekommen habe.
Der Rolf hat immer mal wieder von dir (Wieland) gesprochen. Einmal hat er ein Foto von dir gezeigt.  Das ist der Wieland, so Rolf, der ist in Afrika und leistet Entwicklungshilfe. Er hat es nie gesagt,  aber ich hatte den Eindruck das er sehr stolz auf dich war und dir sehr nahe stand.
Ich habe den Rolf in Ostenfelde kennengelernt.  Er wurde mir von Freunden vorgestellt. Ein Ex Junky, aber auch als ein netter Kerl. Mein Gott, wie lange das schon her ist.

Richtig freundschaftlich wurde es in Ennigerloh. Dort hatte er eine Wohnung. Zusammen mit seiner Freundin U., eine Lehrerin. Die Wohnung in Ennigerloh war der damalige Treffpunkt.  Rolf und U. hatten quasi Dauerbesuch. Alle Freunde und Bekannte gingen dort hin. Eigentlich war es eine Dauerparty. Ja, es stimmt. Drogen spielten immer wieder eine Rolle. Es wurde viel gekifft.  Aber es war eine schöne Zeit. Der Rolf war gut drauf.
U. war natürlich immer dabei. Sie war uns immer ein wenig suspekt. Eine Lehrerin, so eine Ordentliche.
U. kochte immer Sauerbraten. Ich glaube sie konnte nichts anderes. Wir witzelten oft und machten uns ein wenig lustig. Der „arme Rolf“ muss immer Sauerbraten essen. Aber es war nicht böse gemeint.
Der Rolf machte zu dieser Zeit viele Fotos von unseren Aktivitäten. Es wurden, zur Freude aller Anwesenden, Dia-Abende veranstaltet.
Als ich deinen Bericht gelesen habe, fielen mir diese Dinge wieder ein. Das war auch ein großer Teil meines Lebens.

Vielen Dank, für deine Ausführungen. Das hast du richtig gut gemacht. Die Musik war ihm sehr wichtig. Die Gitarre war immer dabei. Einmal waren wir mit ihm auf einen Konzert von der Gruppe Geier Sturzflug. Er wollte bei denen mitspielen. Nach dem Konzert hat er eine Kontaktaufnahme versucht. Aber das hat nicht funktioniert. Da war er schon sehr traurig.

Dann war plötzlich eine neue Freundin da. Die B. Auch die B. kam zu der Wohnung in Ennigerloh.  U. und B. verstanden sich gut. Nun hatte er zwei Freundinnen.  Und beide waren bereit auf den Rolf aufzupassen. Und das war gut so.

B. und Rolf zogen dann nach Bochum. In die Hu-Stadt. Die ganz wilde Partyzeit war vorbei und es entstand eine tiefe Freundschaft zwischen den Beiden gemeinsam mit meiner Frau. Wir haben uns oft gegenseitig besucht.

Der Rolf hatte schreckliche Angst vor Vögel. Auf seinen Balkon hatte er Fäden gespannt, damit die Stadttauben dort nicht landen konnten. Landete doch mal eine, hat er sie mit einer langen Stange runter geschubst.
Dann zog er um. Die Beiden hatten sich ein Häuschen gekauft. Mir hat das sehr gefallen.
Ja richtig, dort machte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Die B. hat ihn hierbei sehr unterstützt. Deren Kinder H. und Y. waren natürlich auch da.
Vielleicht triffst du den Y. und die H. mal. Sag ihnen, das ihr Vater sehr stolz auf seine Kinder war.
Und dann gab es noch die Band. Eine gewisse Zeit hab ich auch mitgespielt. Ich war der Conga-Spieler. Übrigens, es gab doch einen Auftritt. Das war auf einer Gartenparty. Alle waren super nervös, aber wir haben den Auftritt hinbekommen.
Tja und dann brachte der Rolf zwei Girls mit in den Proberaum. Das war der Anfang vom Ende. Plötzlich ging alles ganz schnell. Er beendete seine Beziehung. Mir war es sehr unverständlich warum er diese, doch sehr junge Frau, bevorzugte. B. versuchte noch, ihre Beziehung zu retten und bot ihm an im gemeinsamen Haus wohnen zu bleiben.  Sie unten und er im oberen Bereich. Aber das wollte er nicht.
Wie schon geschrieben. Es ging alles rasend schnell. Warum er in Bochum alles aufgegeben hat bleibt mir bis heute ein Rätsel.
Die Freundschaft zu uns zerbrach. Der Kontakt riss ab. B. hat noch versucht den Kontakt zu uns aufrecht zu erhalten. Aber das hat nicht funktioniert.
Ich hab über Jahre versucht, Rolf über das Internet ausfindig zu machen. Ich hab auch hier und da was gefunden. Aber ein Kontakt kam nicht zustande.

… Aber ich habe keine Todesanzeige gefunden. Und ich möchte wissen wo der Rolf beerdigt wurde. Vielleicht kann ich dann doch noch Abschied nehmen.
—–
Am 12. Februar 2025 erhielt ich einen weiteren Text von einem ehemaligen Freund. Ich veröffentliche ihn gern, weil es sonst keinen Ort gibt, an dem Rolf gewürdigt wird:

R.L. schreibt: Was kann ich sagen und an wen soll ich mich wenden? Rolf, ich spreche Dich direkt an:

Weißt Du noch wie wir uns begegnet sind? Ich kam von einer meiner langen Wanderungen durch die Ostenfelder Wald- und Wiesenlandschaft zurück. Da war ein kleiner Marktplatz mit Dorfschenke; drei Tische im Außenbereich. An einem Tisch saßt Du mit Deiner Freundin U. Du hast mich en passant angesprochen. Meine Erscheinung im dörflichen Ostenfelde mag Dein Interesse geweckt haben. Schulterlanges Haar zum Zopf gebunden, Vollbart, Ohrringe, Jeans & und ein selbstgeschneidertes Hemd aus einem Palästinenser Tuch. Wir kamen ins Plaudern und es war, als kennen wir uns schon ewig; ich erzählte Dir, dass ich erst seit einigen Wochen in Ostenfelde wohne und wir tauschten unsere Telefonnummern.

Am nächsten Morgen, naja, sagen wir es war der frühe Nachmittag, riefst Du mich an: „Wir haben was Leckeres gekocht. Komm doch mal rüber.“ Das war der Beginn unserer Freundschaft. Wir mochten uns von Anfang an. Auch musikalisch harmonierten wir. Deine Vorlieben lagen zwischen David Bowie und Ton-Steine-Scherben. Bei mir eher Average White Band, Crusaders und Pink Floyd. Aber dann auch Franz Joseph Degenhardt. Wir hatten ähnliche Interessen: Zum einen die Gitarre; Du mit Talent, ich ambitioniert, aber völlig talentlos. Egal, Hauptsache Mucke. Deine Bowie-Interpretationen (englisch mit sächsischem Dialekt) waren super.

Auch botanisch hatten wir gleiche Interessen und pflegten unsere kleinen, aber feinen Plantagen. Wir hatten auch weitere Freunde, die uns wichtig waren. Ich erinnere mich an Deinen Freund von der ehemaligen Rhein Army; ein Typ zwischen Acid und Meditation im Himalaya. Mir waren besonders auch B.H. und ihr Freund J.N. wichtig. Mit denen hatte ich meine ganz eigene Freundschaft. So wie vielleicht auch Du.

Gerne erinnere ich mich an unsere Touren zu „Jacques Weindepot“. Nach unserer stets ausgiebigen Weinprobe nahmen wir dann auch einige 5-l Kisten mit. Aber Alkohol spielte kaum eine Rolle bei uns. Mal abgesehen von dem beschissenen Asti Spumante von Aldi, den Du so gern mochtest.

Es gibt so vieles, an das ich mich erinnere. 1980 waren Bundestagswahlen und Franz-Josef Strauß stand vor der Tür. Nun, Wahlkämpfer waren wir wohl nicht. Aber wir haben ein Zeichen gesetzt. P.R., eine Freundin von uns, arbeitete in einer Apotheke und brachte uns drei kg Kaliumpermanganat (?) mit. Wir dachten, es wäre doch gut, wenn die Ostenfelder Bürger zwischen Kirch- und Urnengang ein Zeichen des Friedens sähen. Also färbten wir denn Brunnen vor der Kirche tiefrot … hat Spaß gemacht!

Wir hatten eine gute Zeit und bei Dir war zunehmend mehr los … und bei mir auch. Irgendwann fühlten sich zu viele Leute bei uns wohl. Es wurde unübersichtlich. Einige brachten harten Drogen mit. Das war Dein Pech. Was kann eine Maus schon machen, wenn der Speck vor ihr liegt … besonders wenn sie bereits weiß, wie’s schmeckt. Als wir uns kennenlernten, hast Du keinen Hehl daraus gemacht, dass Du Junkie bist. Du sagtest zu mir: Lass‘ mich nicht allein in Deiner Wohnung, wenn ich an der Nadel hänge. Wenn ich kein Geld habe und einen Druck brauche, verkaufe ich Deine Musikanlage.

Erinnerst Du Dich noch an den Tag, an dem Du und einige andere bei mir waren und ich euch allesamt ‘rausgeschmissen habe? Nun, ich ging ins Bad und fand einen Esslöffel, von der Unterseite angekokelt. Ganz klar: Heroin. Ich kam zurück und sagte Euch, dass es mir scheißegal ist, wer und was, aber garantiert nicht hier und mit mir.

Deine Aura veränderte sich in kürzester Zeit. Du, den ich als liebevollen, zugewandten und offenherzigen Freund kennengelernt habe, warst nur noch getrieben. Aber Du warst nicht der Einzige, der in diesen Sog geriet. Ich meinerseits konnte das nicht mehr ertragen. Und nebenbei hat mich es auch gelangweilt. Ich habe kurzerhand meine Wohnung gekündigt und bin wieder nach Münster gezogen.

Deine Trennung von U. und den fließenden Wechsel zu B. habe ich zunächst nur am Rande mitbekommen. Aber scheinbar hat Dich das wohl irgendwie stabilisiert. Auch Du musstest fort, von diesem Ort, und bist nach Bochum gezogen. Wir hatten nur noch sporadisch Kontakt. Aber wie das so ist, kommt es anders. War es im Sommer 82 oder 83? Ich weiß es nicht mehr. Mein Bruder hatte sich eine Kneipe in Wanne-Eickel angemietet und bat mich, ihm zu helfen. Es war eine Bruchbude im tiefsten Ruhrpott-Milieu. Ich nahm Kontakt zu Dir auf und fragte, ob Du Zeit und Lust hättest, mitzumachen. Das hattest Du. So trafen wir uns über Wochen oft in Bochum und Wanne-Eickel und waren fleißig. Ich war zu dieser Zeit bereits mit E. zusammen. Auch sie hat mitgeholfen.

Ich erinnere mich an unseren gemeinsamen Besuch bei Selma in Kassel. Wir waren im Habichtswald (?) Pilze suchen und hatten fette Beute. Selma kochte eine Riesenportion, während wir am Küchentisch unsere Tüten bauten. Leider stellte sich heraus, dass niemand außer Selma Pilze mochte. Sie ist an die Decke gegangen, während wir uns über die Situationskomik abschütten mussten. Deine neue Freundin B. war ja eher von der spröderen Natur und so ganz anders als U., die vielleicht etwas Naiv, aber doch sehr lieb war. Leider konnte B. ihr Unbehagen bzgl. meiner Freundin nie so ganz verbergen.

Die Geburt Deiner Tochter H. haben wir noch mitbekommen und ich glaube, ihr wart mit der Kleinen noch bei uns in Münster zu Besuch. Du hast meine Freundin kennengelernt: kurz, blond, schön und agil (so der Doris Day Typ) und nebenbei Studentin der Romanistik, Philosophie und Publizistik. Und offensichtlich ein dunkelrotes Tuch für B. Sie konnte es sich nicht verkneifen, stets kleine, gehässige Bemerkungen von sich zu geben. So von oben herab als wissende, links-feministische Zora. Naja, Minderwertigkeitskomplexe machen hässlich. Wir haben uns dann irgendwann nicht mehr gemeldet. Und wir beide haben uns aus den Augen verloren.

Von dem, was Dein Leben sonst bestimmte, weiß ich nur vom Hörensagen. Aber mich wundert nichts. Du hattest schon immer das Talent, an den entscheidenden Wegkreuzungen Deines Lebens fröhlichen Herzens auf einer Bananenschale auszurutschen. Du hättest sie Dir zur Not auch selbst mitgebracht. Schade.

Ein ehemaliger Kollege aus dem St. Elisabeth-Hospital, P.B., berichtet am 4. März 2025:

Rolf wirkte während der langen gemeinsamen Zeit im St. Elisabeth-Hospital eigentlich nie unglücklich. Er war immer „gut drauf“ und auch bemüht andere aufzuheitern, wenn es ihnen mal nicht so gut ging. Gerade auf eine Männerstation, wo über die Hälfte Tumorpatienten liegen, gibt es immer auch unerfreuliche Situationen.

Er war längere Zeit mit einer Krankenschwester von der Nachbarstation zusammen, sie hieß H. und war deutlich jünger, damals so etwa Mitte 20. Auch in der Beziehung wirkte er (bzw. beide) zufrieden, ich kann mich aber nicht mehr erinnern, in welchem Zeitraum sie wirklich zusammen waren, auf jeden Fall nicht bis zu seinem Ausscheiden, da sie früher das Haus verlassen hat Richtung Norddeutschland, ihrer Heimat.

Ich denke, das die Gastronomie immer in seinem Kopf war. Er achtete z.B. immer sorgfältig darauf, dass die Wasserflaschen für die Patienten im Schrank alle mit dem Etikett nach vorne einsortiert und in einer Reihe standen. Er hat auch von Ihnen erzählt, dass Sie in Berlin sehr erfolgreich sind, … und er dort dann arbeiten wollte. Vermutlich wollte er in die Gastronomie zurückkehren.

Einige Jahre später habe ich dann über Facebook von ihm erfahren, dass er Hartz-4 bezogen hat und es bereute, in Bochum seine Stelle aufgegeben zu haben. Die Umstände, die dazu geführt hatten, habe ich damals nicht hinterfragt.

Dass es am Ende Drogen waren, die – so kann man es vermutlich ausdrücken? – sein Leben zerstört haben, macht mich weiterhin betroffen! Es zeigt aber auch, wie wenig man von den Kollegen dann doch nur gewusst hat. Allerdings ist eine solche Vorgeschichte auch sicher kein Thema, das man in Gesprächen in einem Krankenhaus-Nachtdienst erwähnt …

Rolf Giebel auf der Station 10 im St. Elisabeth-Hospital