Balkan – die Troublemaker

„Kosovo ist serbisch! Für meine Freunde in Serbien ist das ganz klar“, sagt mir ein junger Mann in Zagreb/Kroatien. „Wir hassen uns ein bisschen“, beschreibt ein älterer Mann in der Nähe von Pristina/Kosovo die Situation mit den Serben. Mit meiner Reise durch den Balkan wollte ich herausfinden, ob eine kriegerische Auseinandersetzung bevorsteht. Ja. Die Serben zündeln ständig im Nord-Kosovo, der stark serbisch besiedelt ist, nicht albanisch. Sie sprechen vom Genozid an den Serben, greifen als „Grüne Männchen“ mit LKW ohne Kennzeichen an, sind professionell bewaffnet – eine verlinkte Fotostrecke zeigt das Armee-neue Waffenarsenal eines Überfalls. Alles wie bei Putin und der Krim.

In Bosnien und Herzegowina erkennen die Serben den Staat nicht an und wollen eine eigenständige serbische Republik Srpska. In Kroatien regieren Konservative demnächst voraussichtlich mit der rechtsextremen, rassistisch-serbenfeindlichen Heimatbewegung.

Bundeskanzler Olaf Scholz richtete sich am 19. September 2023 an die Regierung des Kosovo, „es sei wichtig, dass Pristina (Hauptstadt des Kosovo) dringend in den Dialog mit Belgrad (Serbien) eintrete.“ Er verdrehte Opfer und Täter und lag damit so falsch wie mit seinen „Friedensgesprächen“ mit Putin wenige Tage vor dem Überfall auf die Ukraine.

Nur sehr wenige Tage nach dieser Versöhnungsbotschaft von Scholz überfielen 30 serbische Milizionäre am 24. September 2023 den Kosovo, schwer ausgerüstet aus Beständen der serbischen Armee. Ein Kosovo-Polizist kam um, auch drei serbische Angreifer. Kosovo mit 1,9 Millionen Einwohner hatte sich am 17. Februar 2008 mit Unterstützung der NATO von der Republik Serbien losgesagt. Im Norden des Kosovo, angrenzend an Serbien, leben etwa 50.000 Serben. Dort hat sich, aus Sicht des Kosovo, ein rechtsfreier Raum entwickelt, der von einem Statthalter des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic gesteuert wird. Leiter des serbischen Überfalls im September 2023 war ein ehemaliger Leibwächter von Vucic. Das zeigt ein Video, das von den Kosovo-Spezialeinheiten mit einer Drohne aufgenommen wurde, als sich die Angreifer in einem Kloster verschanzten.

Allerdings: Die Meinung von Scholz zu diesem Konflikt ist so bedeutungslos wie seine Äußerungen zu anderen Auseinandersetzung. Einzig was die Amerikaner tun oder wollen ist von Relevanz. Das wurde mir in Gesprächen in allen Ländern, die ich besuchte, deutlich signalisiert: in Albanien, im Kosovo, in Serbien, in Bosnien und Herzegowina sowie in Kroatien.

Ziel meiner Reise war es, Erkenntnisse zu gewinnen, wie man sich das mit den Stämmen auf dem Balkan, dem kleinteiligen Nationalismus erklären kann. Für mich persönlich ist es nicht nachvollziehbar, aber als Kurator im Berlin Story Bunker mit „Hitler – wie konnte es geschehen“ ein zentrales Thema. Alle fünf Länder machen einen gut entwickelten Eindruck. Alles sieht nach EU-Standard aus, unabhängig davon, ob das Land – wie Kroatien –tatsächlich in der EU ist. Die nicht-EU Staaten erhalten ja auch erhebliche Mittel. Dafür dürfen wir unseren Außenhandelsüberschuss ausbauen: Autos, Laster, Lidl und Rossmann – alle sind da. Wenn das Land zu klein ist, gibt es Haarpflegeprodukte und Kosmetika eben auf Deutsch. Wahrscheinlich bringt das mehr als die Bemühungen des Goethe-Instituts.

Tirana, Albanien

Albanien hat am wenigsten Ärger mit Serbien. Es gehört nicht zu Ex-Jugoslawien und hat historisch meist eine abgekapselte Sonderrolle gespielt. Mit Albanien verbinden mich zwei Erinnerungen: Die super Pflegekräfte in der Charité, die mich vor fünf Jahren nach einem Unfall auf die Beine gebracht haben. Damit sie einfach zur Arbeit kommen, gibt es die Billigflieger von Tirana nach Berlin. Gut für uns, aber Brain Drain für Albanien.

Tirana heute? Hier ein beeindruckendes 40-Sekunden-(Werbe-)Video.

Eigentlich kenne ich Albanien schon. Ich war im September dort, allerdings 1980. Die Reise zum „Leuchtfeuer des Sozialismus in Europa“ unter dem Diktator Enver Hoxha wurde organisiert von der deutsch-albanischen Freundschaftsgesellschaft, einem Ableger der KPD/ML (bei der ich nicht war). Beeindruckend damals: der erstaunliche Stand der Landwirtschaft, die vielen Kanäle zur Bewässerung, die gute Ernten. Leider sind die Kanäle alle verfallen. Es wurde Energie exportiert, gewonnen aus Wasserkraftwerken. Kinder rauchten und wollten Zigaretten schnorren. Weniger cool: Während wir das Stahlkombinat in Elbasan sowie eine Teppichfabrik besuchten, in der 2000 Frauen in zwei Schichten für den Export arbeiteten, wurden im Hotel aus der Tüte mit schmutziger Wäsche 10 Höschen von Kind1 geklaut, die man in einem Zeitalter vor Pampers für die Windeln brauchte. Mein Füller war weg. Bei anderen fehlten 75 DM. Diesen und anderen Diebstählen wurde nicht nachgegangen, Diskussionen darüber wurden unterbunden.

Touristen in Durres am Strand von Albanien in den 1980er Jahren.

Es gab allerdings heftige ideologische Diskussionen in einer Zeit, in der China kapitalistisch wurde und wo es seit 1979 Coca Cola gab.

Mit Enver Hoxha hatte auch dieser Besuch 2024 zu tun, denn sein Führerbunker existiert noch. Riesig, unter einem Berg, eine ganze Bunkeranlage, die sicher gegen Atombomben gewesen sein soll. Ich brauche drei Stunden, um alles zu sehen.

Das Tunnelsystem des Führerbunkers von Enver Hoxha verbirgt sich in den hohen Bergen am Rande Tiranas.

Die komplette Regierung und die wichtigsten Teile der Verwaltung sollten in diesem Atombomben-sicheren Tunnel arbeiten können.

Einige Daten zum Tunnelbau: Gebaut wurde seit 1972, bezogen werden konnte 1978. Es gab 5 Ebenen, 106 Büros. Das albanische Militär kam auf die Idee zu diesem Bunker bei einem Freundschaftsbesuch in Nordkorea 1964.

Das schlichte Büro von Enver Hoxha, dem Generalsekretär des Zentralkomitees der Partei der Arbeit Albaniens, erinnert unwillkürlich an die tristen Büros der DDR-Führung.

Das ist ein Teil eines Ganges in einem der Stockwerke. Der Bunker gehört dem Staat. Die Ausstellungsmacher sind privat.

Außerdem ist Albanien Weltmeister im Bunkerbau. Von den Besten lernen. 207.000 Bunker waren geplant, 168.000 wurden fertig. Hitler wollte in Berlin 1000 Bunker bauen lassen, aber nur sieben (große) wurden fertig.

Albanien hatte bei meinem Besuch 1980 2,6 Mio. Einwohner, heute (2020) sind es 2,8 Mio. Im Zivilregister waren 2015 aber 4,4 Mio. Albaner registriert. Knapp die Hälfte ist also im Ausland. Die Geburtenrate in Tirana beträgt ein Kind pro Frau. Um die Einwohnerzahl stabil zu halten, müssten 2,1 Kinder pro Frau geboren werden. Wo liegt das Problem?

Am Freitagabend wird in dieser modernen, scheinbar blühenden Stadt wild gefeiert

Aber als ich Majori in ihrer Mittagspause in einem albanischen Restaurant treffen, erzählt sie von Armut und Perspektivlosigkeit. Sie verdient als Verwaltungskraft etwas mehr als 400 Euro im Monat, kann sich Feiern gehen nicht leisten, kann ohne weitere aus ihrem Job geworfen werden, ohne sozial abgesichert zu sein. „Ich werde mir nie ein Haus bauen können.“ Sie sieht einer grauen Zukunft entgegen. Meine Frage: „Ich verstehe das mit den zu niedrigen Gehältern. Aber geht es Dir nicht viel, viel besser als Deiner Mutter oder Großmutter?!“ Empörung. „Das ist doch nicht der Vergleich. Warum geht es mir nicht so gut wie jungen Frauen in Berlin?“ Berlin erscheint ihr wie ein Traum, ein Paradies. Albanien hat Neureiche und Arme, keine traditionelle bürgerliche, gebildete Mittelschicht wie die Ukraine.

Für die deutschen Autohersteller bleibt Albanien traumhaft.

Als das US-Militär im Sommer 2022 bekannt gab, Soldaten in Albanien zu stationieren, nannte der Premierminister das „eine fantastische Nachricht“. Weil ich nicht herausfinde, wie viel Soldaten das eigentlich sind, frage ich einen Taxifahrer, der mich bei strömendem Regen von Hoxhas Bunker in die Stadt bringt: „700 Special Forces. Gelegentlich fahre ich welche – so groß wie Du, aber doppelt so breit. Aber was sollen die im ruhigen Albanien? Mit den Italienern auf der anderen Seite der Adria haben wir keinen Streit. Mit den Griechen im Süden auch nicht. Bleibt nur der Kosovo.“

Pristina, Kosovo

In die Hauptstadt des Kosovo, Pristina, fährt man mit dem Bus fünf Stunden.

Die Strecke von Tirana nach Pristina.

Zwischen Albanien und dem Kosovo liegen schneebedeckte Berge.

Es geht immer höher, in die Wolken hinein. Hat etwas von Karl May.

Und irgendwann endet ein kilometerlanger Tunnel.

Noch lange setzten sich diese hohen Berge mit zerklüfteten Tälern fort. „Hier war das Hauptkampfgebiet der UÇK gegen die Serben. Hinter dieser Bergkette.“ Wie so oft auf dieser Reise sehe ich nichts, kann es mir nur erklären lassen. Die UÇK konnte im Kampf gegen die Serben im Kosovo nur solche Waffen einsetzen, die von Größe und Gewicht her mit Mauleseln über die albanischen Berge ins Kosovo transportiert werden konnten. Worum ging es?

Die Partisanen von Tito (1892 bis 1980), dem ehemaligem Präsidenten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, hatte erfolgreich  gegen die deutschen (und italienischen) Besatzer sowie auch gegen die faschistische Ustascha in Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Tito versuchte, Jugoslawien wie einen Bundesstaat zusammenzuhalten und zu regieren.

Die Staaten heute, nach dem Zerfall Jugoslawiens. Albanien gehörte nicht dazu, aber der Kosovo, der vor seiner Unabhängigkeitserklärung Teil Serbiens war.

Jeder sollte ein gewisses Maß an Autonomie haben. Tito schuf ein System der Machtbalance in der multiethnischen Föderation. Das klappte, aber immer wieder nahmen Autonomiebestrebungen überhand – und wurden unterdrückt. Die auseinandertreibenden Kräfte überwogen bald die zusammenhaltenden. Schon 1968 kam es in mehreren Städten zu Demonstrationen von Kosovo-Albanern, die den Republik-Status für den Kosovo forderten. Seit 1981 forderten ethnische Albaner im Kosovo erneut den Status einer Republik für die Provinz innerhalb Jugoslawiens. Beim Zerfall Jugoslawien blieb das mehrheitlich albanisch besiedelte Kosovo bei Serbien.

 

 

Die heutige Republik Kosovo hat 1,9 Millionen Einwohner. Davon sind 91 % Albaner und 4 % Serben (im Schaubild rot markiert). Der Hauptteil der albanischen Serben lebt in den Bergen, die im Norden an den Staat Serbien grenzen.

Gleichzeitig nahm nach dem Fall der Berliner Mauer das Interesse des Westens an Jugoslawien ab, weil auch der Warschauer Pakt zerfiel. Die wirtschaftliche Situation im Kosovo war miserabel. 1990 betrug die Arbeitslosenquote 40 Prozent. Unruhen und ihre Unterdrückung verschärften die Polarisierung der Volksgruppen der Albaner und Serben im Kosovo. Serben forderten im Februar 1989 in Belgrad auf einer Massendemonstration ein rigoroses Vorgehen im Kosovo. Das serbische Parlament stimmte einer Zusatzbestimmung für die serbische Verfassung zu, welche die Autonomie des Kosovo einschränkte. Streiks und ein Generalstreik im Kosovo folgten. Dann wurde am 1. März 1989 der Ausnahmezustand über die Provinz Kosovo verhängt und es wurden Truppen entsendet. Massendemonstrationen im März 1991 in Pristina wurden brutal niedergeschlagen. Möglicherweise gab es Hunderte Tote. Die nationalistische Polarisierung war nicht aufzuhalten. Treibende Kraft war Slobodan Milosevic, in verschiedener politischer Funktionen von 1987 bis 2000 die bestimmende politische Führungsfigur Serbiens. Er wurde 2001 verhaftet und an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert. Der Prozess begann im Jahr 2002, jedoch starb Milošević im Jahr 2006 vor dem Abschluss des Verfahrens, so dass es zu keinem Urteil kam.

1996 trat die UÇK, die „Befreiungsarmee des Kosovo“, erstmals in Erscheinung und bekannte sich bis Anfang 1998 zu 21 Mordanschlägen: fünf (serbische) Polizisten, fünf serbische Zivilisten und elf Albaner, die als Kollaborateure bezeichnet wurden. Nach Angaben des serbischen Innenministeriums war die UÇK in dieser Zeit jedoch verantwortlich für den Mord an 10 serbischen Polizisten und 24 Zivilisten. Die UÇK kontrollierte 1998 bald ein Drittel des Kosovo, aber die serbischen Kräfte holten zum Gegenschlag aus. Im Sommer 1998 registrierten die UN-Hilfsorganisationen 50.000 bis 60.000 vom Krieg Vertriebene im Kosovo.

Spätestens mit Beginn des Kosovokrieges am 24. März 1999 wurde die UÇK zu einem Verbündeten der NATO – oder vice versa! Während des Krieges hielt die NATO – was die Ziele ihrer Bombardierung anging – ständigen Kontakt mit der UÇK. Deren Angehörige, die von der britischen SAS ausgebildet worden waren, wurden mit NATO-Kommunikationsmitteln ausgerüstet und halfen, die NATO-Bomber ins Ziel zu steuern.

Mit dem Rückzug der serbischen Streitkräfte Anfang Juni 1999 und dem darauf folgenden Einmarsch der NATO in den Kosovo begann das Ende der UÇK: UNO und die NATO-geführte KFOR verlangten Entwaffnung und Auflösung und wollten auch nicht die Bildung einer Armee des Kosovo zulassen.

Am 17. Februar 2008 erklärte sich Kosovo als unabhängig von Serbien. Serbien betrachtet den gesamten Kosovo bis heute weiterhin als Teil des Staates. Die meisten Länder der EU haben den Kosovo anerkannt, außer Griechenland, Rumänien, der Slowakei, Spanien und Zypern; auch 115 von insgesamt 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Russland und China haben erklärt, die Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkennen zu wollen.

Zur Erklärung noch: „Kosovo“ kann sowohl maskulines als auch neutrales Genus haben. In amtlichen Texten wird Kosovo ohne Artikel gebraucht.

Nichts erinnert daran in Pristina. Es geht eigentlich noch weiter: von allen Städten, die ich besuchte, schien es mir dort wirklich entspannt zuzugehen. Das ist ein gewagtes Urteil bei einem Kurzbesuch, bei dem die Sonne schien und die Studentinnen (und sehr wenigen Studenten) in der Universität das blühende Leben repräsentierten.

In der Fußgängerzone von Pristina.

Eine Mall, ähnlich wie in allen Städten, die ich besuchte. Überall sind die europäischen und amerikanischen Markenshops zu finden.

Parallel, und das ist ja auch nicht ungewöhnlich, verkaufen Bauern oder Gemüsehändler auf der Straße.

Die moderne Nationalbibliothek rechts und hohe Wohnblocks links. Es wird schnell gebaut. Wohnungen bauen geht vor Stadtbaudirektorin und Bezirksbauräten mit ihrem unbedingtem Willen zum Verhindern.

Studentinnen und ein Student in der Nationalbibliothek. Das hat mich besonders beeindruckt, überall junge Frauen zu sehen, die gelernt haben.

Pristina: Wenn ich das richtig erkannt habe, die Fakultät für Chemie.

Häh? Was macht Mr. Klinton in Pristina?

Die Statue von Bill Clinton.

Der Einsatz der NATO hat den Kosovokrieg beendet, den Krieg Serbiens. Es war kein Bündnisfall. Die Kosovo-Albaner bedanken sich bei ihm. Madelaines Krieg. Der Spiegel dazu: „Madeleine Albright ist in Prag geboren. Auf der Flucht vor Hitlers Todesmaschinerie wurden sie und ihre Familie von Serben versteckt … Der strategische Sinn lag darin, den Europäern klarzumachen, dass die Nato künftig nicht mehr das sein könne, was sie 50 Jahre lang erfolgreich war: ein Verteidigungsbündnis … Zu Hilfe kamen den Amerikanern dabei die herzzerreißenden Flüchtlingsbilder im Fernsehen. Die Devise der amerikanischen Elite hieß: »If in, we must win«. Das ist richtig, wenn man den Krieg gegen Milosevic und Belgrad als das sieht, was er im Kern ja auch geworden ist, ein Kolonialkrieg.“

Dass es heute in Pristina friedlich zugeht und Wohlstand sichtbar ist, hängt wohl schon mit dem Eingreifen der NATO 1999 zusammen.

NEWBORN – das Denkmal hat hier zwei Bedeutungen, eine für den Kosovo, eine für mich. 

NEWBORN wurde am 17. Februar 2008 enthüllt, dem Tag der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung von Serbien.

Ich hatte mir Pristina als eine Stadt durchgeknallter Idioten voller Testosteron vorgestellt. Das hat sich durch meinen Besuch geändert. Vor genau fünf Jahren wurde ich auf dem Heimweg vom Berlin Story Bunker von einem 18-jährigen überfahren, der aus Pristina stammte, Blend J. Ich fuhr mit dem Rad auf dem Fahrradweg und hatte einen eben eingerichteten Helm auf, den besten laut Stiftung Warentest, als er mich seitlich erwischte. Ich flog einige Meter und landete mit dem Hinterkopf auf der Kante eine Granitquaders. Er hatte einen 268-PS-Audi, die Freundin an der Seite, deren Freundin dahinter, als der mit Hochgeschwindigkeit Autos überholte, an einer Kreuzung die Kontrolle verlor und mich rammte. Der Fahrradhelm hat mir das Leben gerettet. Sonst wäre die graue Soße hinten herausgeflossen. Die Richterin: „Es ist ja nochmal gutgegangen.“ Ich erhielt 680 Euro Schmerzensgeld. Gehört das hierhin? Naja, dadurch war mein Bild von Pristina geprägt. Reisen bildet 🙂

Die albanischen Pflegekräfte in der Charité und viele andere haben mich wieder fit gemacht, ich war NEWBORN.

 

Mit einem Bus fahre ich weiter nach Belgrad.

Von Pristina aus sind das sechs Stunden.

„Wo kommen diese ganzen neuen Häuser her, jetzt geht das schon Kilometer um Kilometer so?“

Ich frage meinen Nachbarn auf Englisch. Er antwortet deutsch: „Deutschland. Die Hälfte hier spricht doch deutsch. Das ist das Geld, was wir bei Euch verdient haben. Erst ein deutsches Auto, dann ein Haus. Im August sind alle hier. Dann stehen die Baustellen in Deutschland still.“

„Jetzt kommen wir gleich an den Bergen vorbei, hinter denen Banjska liegt.“ Er berichtet vom Überfall am 24. September 2023, einem Sonntag, auf Banjska, ein Thermalbad-Dorf mit 300 Einwohnern nahe der serbischen Grenze im Norden des Kosovo. Seit mehr als 20 Jahren hatte niemand mehr versucht, militärisch im Kosovo Fakten zu schaffen. Die NATO ist mit der Schutzgruppe KFOR im Kosovo stationiert, derzeit mit rund 5000 Soldaten. Ein Überfall oder Krieg galt deswegen als ausgeschlossen.

Ich zitiere hier aus dem Bericht „Grüne Männchen im Kosovo“ der kosovarischen Journalistin  Franziska Tschinderle aus „Internationale Politik“:

In der Nacht tauchte in Banjska eine serbische Kampftruppe auf: rund 30 Männer in Uniformen ohne Abzeichen, manche mit Sturmgewehren bewaffnet. Die Truppe versperrte die Dorfbrücke mit zwei Lastwagen. Als die kosovarische Polizei anrückte, wurde sie von den Angreifern ins Kreuzfeuer genommen, ein kosovo-albanischer Polizist starb. Die Kämpfer drangen in das Dorf ein, verbarrikadierten sich in einem Kloster und lieferten sich stundenlange Gefechte mit den kosovarischen Spezialeinheiten. Erst gegen Abend konnte das Kloster gestürmt werden. Drei serbische Kämpfer wurden dabei getötet, vier festgenommen. Der Rest floh über die Grenze nach Serbien.

Kurz nach dem Vorfall machte der kosovarische Innenminister Xhelal Sveçla Drohnenvideos öffentlich. Sie zeigen einen Mann namens Milan Radoičić im Kreis der Kämpfer vor dem Kloster. Radoičić ist im Norden des Kosovo eine Art informeller Herrscher. Bevor er sich eine Uniform anlegte, hatte er Anzüge getragen und war Vizechef der Srpska Lista, der Partei der Kosovo-Serben, die eng mit der serbischen Regierung verbunden ist. Er hat sich über seinen Anwalt zum Anschlag bekannt. Auch die Waffen sollen in Serbien hergestellt worden sein und aus staatlichen Depots stammen.

Der Norden des Kosovo ist – anders als der Rest des 1,8 Millionen Einwohnerlands – mehrheitlich von Serbinnen und Serben besiedelt, geschätzt 30 000 bis 50 000 Menschen. Die Kampftruppe soll den Plan verfolgt haben, diese Gebiete zu annektieren oder der Kontrolle der kosovarischen Sicherheitskräfte zu entziehen. Das zumindest behauptet die Regierung in Pristina. Belgrad will mit der Aktion nichts zu tun haben und weist den Vorwurf zurück, involviert gewesen zu sein. Soweit Franziska Tschinderle.

 

Ein kleiner Teil des Waffenarsenals, das in dem Kloster gefunden wurde.

Das gesamte Waffenarsenal ist in dieser Fotostrecke des Fotografen Driton Paçarada von KOHËS zu sehen. Unvorstellbar. Mehr als hundert Männer hätten damit bestens ausgerüstet werden können. Es spricht nichts dafür, dass es irgendwie auf dem blühenden Schwarzmarkt zusammengestoppelt wurde. Völlig ausgeschlossen!

Vor diesem Überfall gab es im April 2023 Regionalwahlen. Die Hauptpartei der Serben im Norden des Kosovo, die Serbische Liste, rief zum Boykott auf. Dadurch wurden keine serbischen, sondern (mit wenigen Stimmen) albanische Bürgermeister gewählt. Nach den Wahlen organisierten Mitglieder der kosovarischen serbischen Gemeinschaft Proteste vor den Gemeindegebäuden, um ihren Unmut über die neu gewählten Bürgermeister zum Ausdruck zu bringen. Es kam zu Konfrontationen zwischen KFOR-Truppen und den kosovarischen serbischen Demonstranten, bei denen Soldaten und Demonstranten verletzt wurden.

Alles wie auf der Krim: Grüne Männchen ohne Abzeichen, Militärlastwagen ohne Nummernschild – das ist der geopolitische Hintergrund. Es kommt gar nicht darauf an, wie sich die Regierung des Kosovo verhält, allein der Wille Putins und seines und der von Vucic in Belgrad ist entscheidend: Will er hier einen zweiten Krieg entfachen?

Uns stellt sich die Frage: War dieser Angriff nur ein Test, um herauszufinden, wie der Kosovo, die KFOR-Truppen, die NATO reagieren? Die Reaktion in Deutschland? Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte den Überfall und bezeichnete ihn als eine „inakzeptable“ Tat.

Foto: Instagram Seite von Vucic. 

Scholz will mit „Ehrgeiz und Elan“ den EU-Betritt der Westbalkan-Staaten vorantreiben, so verkündete er es bei einem Besuch bei Serbiens Präsidenten Vucic im Juni 2022.  Mit den schwer bewaffneten, zur äußersten Gewalt bereiten serbischen Militanten muss die Regierung in Pristina allein klarkommen.

Der Bus fährt weiter nach Belgrad. Während des sehr kurzen Anstehens an der Grenze von Kosovo nach Serbien sammelt der Busfahrer die Ausweise ein, übergibt sie einem Grenzer – und als sie nach einigen Minuten zurückkommen, drückt er sie dem nächstbesten Fahrgast in die Hand, der sie verteilen soll. Es muss ja weitergehen.

Der albanische Adler markiert das Terrain in der letzten Stadt des Kosovo, Podujeva.  Oder man sieht, wenn man aus Serbien kommt, als Erstes diesen albanischen Adler.

 

Belgrad/Serbien

Die Strecke von Pristina nach Belgrad.

Geld tauschen, am Automaten serbische Dinar ziehen. Knoblauch und Gurken gibt es nur in einheimischer Währung. Normal.

Im Kosovo gab es Euro. Und: Im Kosovo gab es den Euro schon seit dem Jahr 2008, obwohl der Staat dem Euroraum nicht angehörte. Die Zentralbank hatte das beschlossen. Sehr schlau. In Artikel 11 der Verfassung ist der Euro als einziges gesetzliches Zahlungsmittel festgelegt. Geduldet wurde jedoch bisher, dass die serbische Minderheit im Norden des Kosovo ihre Rechnungen mit serbischen Dinar begleicht. Seit Februar 2024 darf aber nun nur noch in Euro bezahlt werden. Dadurch fühlt sich die serbische Minderheit diskriminiert.

Könnte Vucic das oder ähnliche Fälle als Vorwand nehmen, den Kosovo tatsächlich angreifen? Eine Analogie kann man im Verhältnis von China und Taiwan erkennen. Die Volksrepublik China sieht Taiwan als Teil des eigenen Staates und Serbien meint, das Kosovo sei Teil Serbiens. Was sagt Vucic dazu? Im chinesischen Fernsehen äußerte er, für ihn sei ganz klar, dass Taiwan Teil der Volksrepublik China sei.

Experten des US-amerikanischen Thinktanks „Foundation for Defense of Democracies“ meinen, ein neuer, zusätzlicher Krieg in Europa könne die Unterstützung für die Ukraine schwächen. Der Kreml hätte mit einem neuen Konflikt die Möglichkeit, durch Waffenhandel und Vermittlung lokalen Einfluss zu gewinnen und die Aufmerksamkeit von der Ukraine abzulenken. Dafür eigne sich der westliche Balkan am besten. Auch die USA rechnen mit einem höheren Gewaltrisiko, warnen die Experten. Dies hätte für Putin große Vorteile. Russland brauche demnach keine Armeen in die Region zu schicken. Es muss sich nur auf Serbien verlassen, um Gewalt und Instabilität zu schüren.

Andererseits: Mit seiner Schaukelpolitik zwischen Ost und West à la Tito ist Vucic bisher ganz gut gefahren. Serbien mit seinen 7 Millionen Einwohnern ist seit 2012 EU-Kandidat – und wer will heute schon offen als Freund Putins bezeichnet werden. Die Handelsbeziehungen mit der EU sind gut. Serbien hat im Jahr 2022 Waren im Wert von rund 17,4 Milliarden Euro in die Europäische Union (EU-27) exportiert und Waren im Wert von rund 9 Milliarden Euro außerhalb der Europäischen Union (EU). Somit sind im Jahr 2022 rund zwei Drittel der gesamten Exporte Serbiens auf Mitgliedstaaten der Europäischen Union entfallen.

Diese Grafik von Statista zeigt die Bedeutung der Exporte auf einen Blick. China an 7. Stelle, Russland erst an 8. Stelle.

Aber im Mai 2022 schloss Vucic mit Putin ein für Serbien äußerst günstiges Abkommen über die Lieferung von billigem Gas ab. Die Süddeutsche Zeitung dazu: „Es ist das jüngste Beispiel für die ‚Schaukelpolitik‘ Serbiens, die darin besteht, sich zwischen Washington, Brüssel, Moskau und Peking möglichst alle Optionen offenzuhalten.“ Serbien schließt sich den europäischen Sanktionen gegen Russland nicht an.

Es fehlt hier noch Peking: Serbien ist Teil der Seidenstraße. Ein chinesisches Stahlwerk arbeitet in Serbien seit acht Jahren. China stellt Photovoltaik-Zellen in Serbien her, ein chinesischer Reifenhersteller, dessen Werk in Serbien für die desaströsen Bedingungen kritisiert worden war, unter denen mehrere Hundert vietnamesische Arbeiter dort schuften mussten, arbeitet vor allem für deutsche Abnehmer. Xi besuchte Vucic Anfang Mai 2024 in Belgrad.

Aus allen diesen Daten ergibt sich glasklar, dass Vucic schön blöd sein müsste, einen Krieg anzufangen und es sich mit der EU zu verderben – wegen 30.000 zurückgebliebener Bauern in den Bergen des Kosovo. Aber genau das haben wir bei Putin und dem Donbas auch gedacht.

Eine kleine Fotostrecke Belgrad:

Dass die Stadt von Habsburger Architektur geprägt ist, wird an vielen schönen Gebäuden der Innenstadt deutlich.

Dass Belgrad heute Metropole eines modernen Staates ist, zeigen die als Landmark errichteten Hochhäuser.

Das Parlament, so repräsentativ wie fast überall.

Save und Donau treffen sich in Belgrad.

Eigentlicher Ausgangspunkt von Belgrad ist die Festung am Zusammenfluss von Save und Donau. Zwischen dem Osmanischen Reich und europäischen Mächten spielten sich über Jahrhunderte immer wieder Schlachten um die Dominanz in dieser Region ab.

Ein Teil des Militärmuseums befindet sich auf dem Außengelände der Festung – hier der Panzerkampfwagen II, Ausf. C. (ohne weitere Angaben).

Für mich stellt sich die Frage, wie können Profis ein Museum derartig langweilig und nichtssagend gestalten?

Fahnen der Regimenter hinter Glas – ebenfalls ohne Beschreibung. 

Es sieht aus, als sei dieses nicht zum Rest passende Installation über den Angriff der NATO auf Belgrad irgendwo übrig gewesen. Eine Erklärung über den Hintergrund des Angriffs gibt es nicht. Blau die NATO, hellblau die neutralen Staaten, rosa die Staaten, die Überflugrechte gewährten. Die ganze Welt gegen Serbien (gelb).

Noch schlimmer ist das Nationale Geschichtsmuseum. Es fängt mit einer Schlacht an.

Und hört kurz danach mit einer anderen Schlacht auf. Das Thema etwa: Wie wir einmal die Türken abgemurkst haben. Darum geht es auf zwei gegenüberliegenden, so gezeichneten Wänden.

„Die berühmteste Heldentat aller Zeiten fand in der Schlacht im Kosovo statt. Noch nie zuvor wurde ein türkischer Herrscher auf dem Schlachtfeld von einem Feind getötet. Der serbische Kämpfer, der Emit Murad ermordete, wurde voller Bewunderung in der christlichen und sogar der muslimischen Welt verehrt. Im darauffolgenden Jahrhundert wurde diese Tat für die Völker dieser Region zu einem Symbol von Mut und Heldentum.“

Wann war das gleich nochmal? Am 15. Juni 1389. Damit hört das Museum auf, es kommen nur noch einige Vitrinen mit Kostümen. Für die Volkserziehung in Serbien sind das klare Ansagen.

Ein Museum in Belgrad hat mich allerdings fasziniert. Es erzählt die Geschichte von Nikola Tesla (1856, Smiljan, Kroatien bis 1943, New York). Tesla hat dem Auto seinen Namen gegeben, er war Erfinder und Elektroingenieur, erhielt in 26 Ländern über 280 Patente, davon 112 in den USA. 1884 zog er ohne Finanzmittel nach New York. 1897 entwarf Tesla eine 1,1 Meter lange unbemannte U-Boot-Drohne, die drahtlos ferngesteuert werden konnte und mit Sprengstoff beladen im Spanisch-Amerikanischen Krieg eingesetzt werden sollte, aber nie zum Einsatz kam. Er entwickelte um 1890 den bis heute üblichen Zweiphasenwechselstrom. Es war ein „Stromkrieg“  entbrannt zwischen Edison, der ein Gleichstromsystem favorisierte, und Westinghouse, für den Tesla arbeitete, der ein Wechselstromsystem favorisierte. 1900 schlug Tesla die Nutzbarmachung der Sonnenenergie als „natürliche Quelle zur Energieversorgung der Menschheit“ vor.

Diese junge Frau mit dem Kaffeebecher vor dem Nicola Tesla Museum in Belgrad sieht so harmlos aus. Sie wird mich aber später unter Strom setzen – mit 120.000 Volt.

Wir sind in Belgrad/Serbien. Tesla stammt aber aus Kroatien. Beide Staaten stehen sich nach dem Krieg 1992 weiterhin unversöhnlich gegenüber. Aber das Museum wurde bereits 1952 gegründet, als es noch Jugoslawien gab. Dort liegen alle Dokumente und Geräte von Tesla.

Besucher gerechte Installation: Tesla, hier vor einer riesigen Spiralspule.

500.000 Volt. Und das mit den ganzen Besuchern drumherum? Es kommt auf die Ampere an, die sind hier niedrig.

Mit diesem Show-Effekt gewann Tesla in New York Investoren. Er forschte daran, mittels hochfrequenter Wechselströme eine drahtlose Energieübertragung zu ermöglichen. Tesla experimentierte dazu mit Gasentladungsröhren, die er ohne Kabelanschluss zwischen im Raum angebrachten Elektroden leuchten ließ.

Mutig? Jedenfalls hat mich noch nie zuvor eine Frau mit 120.000 Volt aufgeladen.

Tesla erfand den um einen Magnet rotierenden Elektromotor, wie er heute in jeder Waschmaschine, jedem Staubsauger und natürlich in jedem Tesla ist.

Richtung Sarajewo, Bosnien und Herzegowina

Die Strecke von Belgrad nach Sarajewo

Ich kann verstehen, wenn Menschen von Bosnien-Herzegowina schwärmen, wie mein Rechtsanwalt – selbst von Serbien. Landschaftlich ist die Region traumhaft und die Menschen sind, ganz individuell gesehen, wie fast überall auf der Welt freundlich.

Große Stauseen

Wasserkraftwerke, in idyllischer Umgebung Strom erzeugen.

Und unser Export rollt. Die Handelsbeziehungen von Deutschland zu allen diesen Balkanstaaten sind gut und wachsen ständig. 

Es scheint wirklich romantisch.

Die Flagge der Republik Srpska weht, wenn man die Grenze von Serbien nach Bosnien und Herzegowina überschreitet. Man erkennt das gut auf der Karte etwas weiter unten. 

Eigentlich ist dies die Flagge von Bosnien und Herzegowina. Die Serbien in diesem Staat beanspruchen aber ihre eigene Flagge.

Srebrenica

Der Weg von Belgrad in Serbien nach Sarajewo in Bosnien und Herzegowina führt nahe an Srebrenica vorbei. Der Name dieser Stadt im östlichen Bosnien steht für das schlimmste Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Bosnisch-serbische Einheiten brachten dort im Krieg um das zerfallende Jugoslawien im Juli 1995 innerhalb weniger Tage etwa achttausend bosnische Muslime um – unter den Augen der UN. Serbiens Präsident Vučić stufte das Massaker heute als Tat einzelner Verbrecher ein. „Diese Leute haben Namen. Wir verurteilen jedes einzelne dieser schrecklichen Verbrechen und werden jeden dieser Verbrecher verurteilen.“ Einzelfälle.

Srebrenice (rechts in der grau markierten Republika Srpska) nahe der Grenze zu Serbien liegt als bosnisch-moslemische Enklave mitten im serbisch besiedelten Gebiet von Bosnien und Herzegowina. Nach Srebrnica flüchteten die bosnischen Moslems, die vereinzelt innerhalb des serbischen Gebiets lebten.

Die Muslime suchten in Srebrenica Schutz vor serbischen Milizen unter General Ratko Mladić und wähnten sich in Sicherheit – die UN hatte das Gebiet zur Schutzzone erklärt und niederländische und kanadische Blauhelmsoldaten vor Ort stationiert.

Die Srebrenica-Genozid-Gedenkstätte

Die Opfer wurden zunächst über die wahren Absichten der serbischen Milizen getäuscht. Eine Filmaufzeichnung zeigt den bosnisch-serbischen Befehlshaber Ratko Mladic, wie er im Juli 1995 den muslimischen Gefangenen in Srebrenica beteuert, ihnen würde nichts geschehen. Mladic steigt von einem mit muslimischen Gefangenen besetzten Bus in den anderen, stellt sich vor, streichelt Kindern über den Kopf und sagt, man wolle die gefangenen Muslime in das von muslimischen Truppen kontrollierte Gebiet transportieren. Mladic wurde 2007 vom UN-Kriegsverbrechertribunal zu lebenslanger Haft verurteilt: die vierjährige Belagerung von Sarajevo und das Massaker von Srebrenica im Juli 1995,

Die Gedenkstätte wurde 2008 vom Staat Bosnien und Herzegowina errichtet.

General Philippe Morillon, Kommandant der UN in Bosnien, besuchte Monate zuvor im März 1995 die von Flüchtlingen überfüllte Stadt. Die Lebensbedingungen in Srebrenica waren zu diesem Zeitpunkt kritisch: Die Trinkwasser- und Stromversorgung war weitgehend zusammengebrochen, Vorräte an Nahrung und Medikamenten waren sehr knapp, genauso wie Wohnraum. Am 12. März 1993 versprach Morillon den Einwohnern öffentlich, Srebrenica werde unter den Schutz der Vereinten Nationen gestellt; die UNO werde Srebrenica und seine Einwohner nicht im Stich lassen. Niederländische UN-Soldaten ergaben sich im Juli 1995 kampflos beim Sturm serbischer Einheiten. Im Herbst des Jahres waren alle tot.  Innerhalb von nur vier Tagen wurden 8.000 bosnische Muslime auf bestialische Weise umgebracht. UN hat die Menschen in Stich gelassen, so wie 1994 in Ruanda, wo es mindestens 800.000 Tote gab.

Philippe Morillon (* 1935 in Casablanca, Französisch-Marokko) war französischer Politiker und Fünf-Sterne-General. Er war von 1999 bis 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments, also Jahre nach seinem tödlichen Versagen.

Es kommt noch schlimmer: Ein unbekannter niederländischer Soldat schrieb dieses diskriminierende Graffiti, also ein Mitglied der Königlichen Niederländischen Armee, der als Teil der UN-Schutztruppe (UNPROFOR) in Bosnien und Herzegowina 1992–95 für den Schutz der sicheren Zone von Srebrenica verantwortlich sein sollte.

Anfang Mai 2024, also in den Tagen der Veröffentlichung dieses Beitrags, soll die Vollversammlung der Vereinten Nationen diese serbische Aktion als Völkermord anerkennen.  2015 hatte Russland mit einem Veto eine Resolution des Sicherheitsrates verhindert, die den Genozid in Srebrenica verurteilte. Das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wertete 2001 den Massenmord als Genozid. 2007 kam der Internationale Gerichtshof (IGH) nach zusätzlichen Abklärungen zu demselben Schluss. Laut Vucic sei Ziel der kroatischen Forderung, durch diese Resolution Serbien zu stigmatisieren.

Memorial Center in Potocari

Der serbischen Außenminister Ivica Dacic an einer Pressekonferenz Mitte April 2024: „Wir haben nichts dagegen, die Kriegsverbrechen in Bosnien und anderswo zu verurteilen. Aber wir sind dagegen, dass das serbische Volk als genozidär bezeichnet wird.“

Milorad Dodik, der bosnische Serbenführer und Präsident des serbisch-dominierten Teils Bosnien und Herzegowinas, der Republika Srpska (RS), kündigte im Beisein von höchsten Belgrader Regierungsvertretern Mitte April 2024 an, er sehe „keinen Sinn, in Bosnien zu bleiben“. „Wir werden unabhängig vorangehen.“ Zugleich behauptete Dodik, wie so oft, dass es keinen Völkermord in Srebrenica gegeben hätte.

Sarajewo, Bosnien und Herzegowina

Diese beiden Fotos lassen erkennen, wie Sarajewo im Talkessel liegt und wie die Stadt während der Belagerung von den Bergen rundherum beschossen werden konnte.

Wer hat wen wann belagert und warum?

Die Belagerung Sarajevos fand durch die Armee der bosnischen Serben (VRS) sowie Einheiten der verbliebenen jugoslawischen Bundesarmee und auch Paramilitärs vom 5. April 1992 bis zum 29. Februar 1996 statt. Sie war mit 1.425 Tagen die längste Belagerung im 20. Jahrhundert. Die Luftbrücke, die zur Versorgung von Hunderttausenden eingeschlossenen Menschen aufrechterhalten wurde, dauerte länger als die Berliner Luftbrücke. Während der Belagerung wurden 11.000 Menschen (darunter 1.600 Kinder) getötet und 56.000 teilweise schwer verletzt. Die Bundeswehr nahm an den Versorgungsflügen Teil und nannte die Landung aus 6000 Metern mit der Transall steil runter auf die Landebahn fast wie ein Stuka „The Sarajewo Approach„. Das half gegen Sniper und Hand-Hold-Raketen.

 

Die Belagerung von Sarajewo – ein privates Museum

Während der gesamten Zeit wurde die Stadt beschossen.

Mit diesem Plan zusammen mit den Fotos von Sarajevo in meinen vorhergehenden Posts kann man sich die Belagerung der Stadt in einem Talkessel gut vorstellen.

Sarajewo wurde belagert, von außen beschossen und gleichzeitig gab es innerhalb der Stadt serbische Sniper, Scharfschützen.

Sarajewo. Spanische UN-Soldaten wollen eine junge Bosnierin bergen, die von einem Scharfschützen in den Kopf geschossen wurde, und auch eine junge bosnische UN-Mitarbeiterin, die beim Versuch zu helfen in den Rücken geschossen wurde. Foto: Wade Goddard

Ausgangspunkt des Kriegs war Unabhängigkeitsreferendum. Der serbische Bevölkerungsanteil in Bosnien und Herzegowina wollte das nicht.

Am 1. März 1992 erklärte sich die Republik Bosnien und Herzegowina nach einem Referendum von Jugoslawien unabhängig, welches ergab, dass über 99 % der Abstimmenden dies wünschten. Die Wahlbeteiligung lag nach einem Boykottaufruf durch den bosnischen Serben Radovan Karadžić bei 67 %. Kriegsziel der bosnisch-serbischen Führung im daraufhin ausgebrochenen Bosnienkrieg war es, möglichst große Teile Bosnien-Herzegowinas zu erobern und diese im Sinne eines Großserbiens zu einem späteren Zeitpunkt mit Serbien zu vereinigen. Sie wurde dabei maßgeblich vom serbischen Milošević-Regime unterstützt. Dabei kam es zu ethnischen Säuberungen und anderen Kriegsverbrechen an Bosniaken und Kroaten.

Die ermordeten Kinder werden auf einem Monitor gewürdigt.

Es gibt zum Glück aus der Zeit sehr viele Aufnahmen von Privatleuten. Allerdings kamen sie schlecht an Videobänder und Filme für den Fotoapparat.

Dieser Mann über dem Verkehrsbügel wurde direkt von einer Artilleriegranate in die Seite getroffen.

Dieses Foto hat mich am tiefsten erschüttert. Es sind die Knochen eines Embryos im 9. Monat, dessen Mutter erschossen wurde, die aus einem Massengrab exhumiert wurde.

Draußen scheint die Sonne. 

Das Leben geht weiter. Die Stadt ist voller Touristen – wie in den anderen Städten viele Italiener.

Vor dieser Kirche im Zentrum befindet sich ein von den Menschen geschaffenes Mahnmal.

Rosen von Sarajevo – wie Stolpersteine.

Die Einschläge der durchschnittlich 300 Granaten pro Tag haben auf dem Asphalt Spuren hinterlassen, deren Form vage an eine Blume erinnert. Bewohner von Sarajevo haben die Krater mit rotem Harz markiert, um daran zu erinnern, dass an dieser Stelle ein Mensch zu Tode kam.

Nur wenige Schritte weiter an einer Brücke wurde in Sarajvo am 28. Juni 1914 das österreich-ungarische Thronfolgerpaar Franz Ferdinand und Sophie Chotek erschossen. Die Attentäter waren Anhänger der serbisch-nationalistischen Vereinigung „Junges Bosnien“. Als Folge des Attentats kam es zum Ersten Weltkrieg.

Aber wenn man dann in eine Seitenstraße geht, in der man immer noch den Trubel der Besucher hört, taucht eine ganz andere Welt auf.

Bei dieser Moschee handelt es sich um eine Rekonstruktion. Sie war im Krieg vollkommen zerstört.

96 Imame wurden von den bosnischen Serben zwischen April 1992 und November 1995 umgebracht, 117 kamen in Konzentrationslager, mehr als 80 Prozent aller religiösen Einrichtungen wurden zerstört. Man kann das hier leider nicht lesen, aber erkennen.

Das ist nicht so lange her. Diese Wunden sind nicht verheilt, nicht vergessen, nicht vergeben. Da sollte man sich von der nahezu vollständigen Beseitigung aller Schäden und vom touristischen Trubel in der Stadt nicht in die Irre führen lassen.

Zagreb, Kroatien

Die Strecke von Sarajewo nach Zagreb.

Auf der Fahrt mit einem weiteren Bus von Sarajewo nach Zagreb erscheinen hinter dem Tower der Raiffeisenbank schneebedeckte Berge.

Moslemische Vergangenheit, weil Bosnien lange zum Osmanischen Reich gehört hat.

Welcome to the Republik of Srpska (hier an der Grenze zu Kroatien mit dem Blick rückwärts).

Die Republika Srpska ist neben der Föderation Bosnien und Herzegowina eine von zwei Entitäten von Bosnien und Herzegowina. Sie existiert seit dem Bosnienkrieg parallel zur benachbarten Republik Serbien (mit der Hauptstadt Belgrad), ist heute mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnt und besitzt ein eigenes politisches System mit unabhängiger Legislative, Exekutive und Judikative. Die Hauptstadt der Republika Srpska ist laut Artikel 9 der Verfassung die Stadt Sarajevo, die selbst nicht in der Republika Srpska liegt. Als De-facto-Hauptstadt gilt jedoch die mit fast 250.000 Einwohnern größte Stadt Banja Luka, die seit 1998 Regierungssitz sowie administratives, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum ist.

Seit einiger Zeit gibt es in der Republika Srpska verstärkte Bestrebungen, sich von Bosnien-Herzegowina abzuspalten. Im Dezember 2021 beschloss das Parlament der Republika Srpska, sich vom Justiz- und Steuersystem sowie von der Armee von Bosnien und Herzegowina abzukoppeln. Die Opposition war der Abstimmung größtenteils ferngeblieben. Im Juni 2023 beschloss das Parlament, auch das bosnische Verfassungsgericht nicht mehr anzuerkennen.

Zagreb, zentrale Ban-Jelačić-Platz

Schluss mit dem Rückblick auf die Republika Srpska, vorwärts nach Zagreb in Kroatien. 2012 stimmten rund zwei Drittel der Kroaten für den Beitritt zur EU. An der Abstimmung nahmen allerdings nur 43,6 Prozent der Stimmberechtigten teil. 2013 trat das Land der EU bei. Kroatien hat wirtschaftlich stark von der Mitgliedschaft profitiert.

Müller am Ban-Jelačić-Platz, man kann den sehr großen Laden auf dem Foto vom Platz im Haus rechts erkennen.

Deutsche Produkte in deutscher Verpackung im Zentrum von Zagreb – und überall. Einerseits auf den ersten Blick komisch, andererseits ganz klar: Kroatien ist eng mit der EU verzahnt.

Seit 2015 wuchs das Bruttoinlandsprodukt Kroatiens kräftig von rund 50 Milliarden US-Dollar auf knapp 68 Milliarden US-Dollar  im Jahr 2021 zu. Auch 2022 wuchs die Wirtschaft des Landes trotz des Ukrainekriegs weiter auf etwa 71 Milliarden Dollar. Rund zwei Drittel der Exporte gehen in EU-Staaten. Deutschland war 2020 mit 13 Prozent aller Ausfuhren der wichtigste Exportmarkt des Landes, knapp vor Italien (12 Prozent).

Sonne, Friede, junge Menschen in Zagreb.

Es war nicht immer so.

Adolf Hitler empfängt am 9. Juni 1941 den Führer des unabhängigen Staates Kroatien, Ante Pavelic auf dem Berghof.

Ante Pavelic wird am 14. Juli 1889 geboren, emigriert 1929 nach Italien, bewundert Benito Mussolini und den Faschismus. Er gründet die Ustascha-Bewegung, eine „national-faschistische Organisation, die als Hauptziel die Gründung eines unabhängigen kroatischen Staates verfolgt.“ Als die Deutsche Wehrmacht im April 1941 in Jugoslawien einmarschiert, wird das Königreich innerhalb weniger Tage zerschlagen und aufgeteilt. Die Nazis installieren Ante Pavelic als Führer des neu geschaffenen „Unabhängigen Staates Kroatien“. Den Rassenwahn der Nazis übernimmt der katholische Pavelic eins zu eins und erweitert ihn um einen Hass-Faktor: die orthodoxen Serben. Kroatien soll Serben frei werden. „Wir töten einen Teil der Serben, wir vertreiben einen anderen. Und der Rest, der die katholische Religion annehmen muss, wird in das kroatische Volk aufgenommen“, sagte Pavelics Erziehungsminister. Brennende orthodoxe Kirchen, Massen-Erschießungen, Konzentrationslager: Wegen vernichteter Unterlagen kann die Zahl der Opfer nur geschätzt werden, sie variiert zwischen 200.000 und zwei Millionen Menschen. Viele katholische Geistliche beteiligen sich an diesen Verbrechen – so der WDR in einem „Stichtag“.

„Heute“, sagt Darko aus Zagreb, „gibt es zwar immer noch Leute hier, die sagen: ‚Aber wir hatten keine Gaskammern!‘ Die sterben aber allmählich wirklich aus.“

Im April 2024 fanden in Kroatien Wahlen statt. Eine neue Regierung gibt es (Anfang Mai 2024) noch nicht. Andrej Plenković, Regierungschef und Chef der Konservativen HDZ, verhandelt einerseits mit der rechtsextremen Heimatbewegung. Für eine Mehrheit braucht er aber auch die acht Vertreter der Minderheiten als Teil seiner Regierung. Die rechtsextreme, rassistisch-serbenfeindliche Heimatbewegung will allerdings nicht mit den drei serbischen Abgeordneten eine Koalition bilden, die die 190.000 Serben in Kroatien vertreten. Die serbische Minderheit, so Adelheid Wölfl im österreichischen „Standard“, ist in Kroatien immer wieder aggressivem Rassismus und auch Übergriffen ausgesetzt. In Kroatien gibt es insbesondere seit den kriegsbelasteten 1990er Jahren viel Serbenfeindlichkeit. Die Zeit des Jugoslawien-Krieges wurde so wenig aufgearbeitet wie der Massenmord im Zweiten Weltkrieg.

Und andererseits: Die Menschen in der Hauptstadt haben genug vom Nationalismus. Zagreb hat einen grünen Bürgermeister. Tomislav Tomašević wurde am 30. Mai 2021 gewählt. Bei den Kommunalwahlen 2017 erhielt er 3,9 Prozent und damit vier Sitze für „Zagreb ist UNSER!“ im Gemeinderat. Dann kam es zu Neuwahlen, weil der bisherige Bürgermeister gestorben war. In der Stichwahl 2021 gegen den rechtsnationalen Kandidaten der Heimatbewegung gewann er deutlich mit 68,3 Prozent wurde er am 30. Mai 2021 zum Bürgermeister von Zagreb gewählt. Tomašević studierte in Zagreb und Cambridge Politikwissenschaft und war eine Weile für das Zagreber Büro der Heinrich-Böll-Stiftung als Programmkoordinator tätig. Auf dem Land ist die Partei „Možemo“ –  „Wir können“, kaum vertreten. Der FAZ sagt Tomašević: „Wir haben in den Städten angefangen, da sich dort eine kritische Masse unzufriedener Menschen gebildet hat, die sich mit unseren Ideen identifiziert. Aber die Umfrageergebnisse zeigen, dass sich die soziale Struktur unserer Wählerschaft stetig ausweitet.“

Was bleibt, ist der Tunnel – zur Zeit des Nationalsozialismus in Zagreb als Bunker angelegt.

Mit meiner Reise wollte ich den Balkan mit eigenen Augen sehen, Menschen befragen und herausfinden, ob eine kriegerische Auseinandersetzung bevorsteht. Das Potenzial ist da. Es muss nur jemand die Lunte anlegen.


Im Berlin Story Verlag gibt es zu diesem Thema ein interessantes, ungewöhnliches Buch: Ein deutscher SS-Mann berichtet seiner Frau in hundert Briefen vom Einsatz gegen die jugolslawischen Partisanen – und wie er ausgebildet und vorbereitet wurde.

Die 18-jährige Janni aus Erfurt lernt im Som­mer 1940 in Berlin den 23-jäh­rigen Hans kennen, einen attraktiven SS-Mann, deutscher Siebenbürger Sachse aus Rumänien. Er geht mit der „Leibstandarte Adolf Hitler“ an die Front, sie heiraten, Janni bekommt ein Kind. 1942 wird Hans zum Offizier befördert und kommt zur „7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division ‚Prinz Eugen‘“ nach Jugoslawien.
Hans berichtet in seinen Briefen an Janni, wie es ihm geht. Zuletzt reißt wegen der schlechter werdenden Feldpostverbindung der Briefwechsel ab. Hans wird unmittelbar am Ende des Zweiten Weltkriegs von jugoslawischen Partisanen erschossen.

Liebste Janni“ – hier ausführlich zum Buch.

kaufen-button_web