Es ist ein beglückendes Gefühl, Bücher machen zu können …

Beate Leopold sprach am 23. Juni 2021 für den Newsletter des Bürgervereins Luisenstadt [BVL] mit Wieland Giebel, dem Leiter des Berlin Story Verlags,

BVL:    Unter dem Dach Berlin Story sind vielfältige Aktivitäten zur Geschichte Berlins zu finden: Seit 1997 bis 2016 Buchladen und Museum mit diversen Ausstellungen an verschiedenen Standorten Unter den Linden, seit 2014 der international bekannte Bunker mit Museum in Kreuzberg sowie der Berlin Story Verlag. Er hat seit 2015 seinen Sitz in der Luisenstadt, am Leuschnerdamm 7, mit Blick auf das Engelbecken.

Wieland Giebel im Engelbecken bei einer Aufräumaktion des Bürgervereins Luisenstadt.

In unserem Newsletter geht es um Leben und Arbeiten in der Luisenstadt, daher steht der Verlag im Mittelpunkt. Bis 2015 haben die im Verlag tätigen unter einem Dach mit den Mitarbeiter*innen des Museums und des Buchladens Unter den Linden gearbeitet. Wie kam es zum Wechsel des Verlagssitzes und warum ging er an den Leuschnerdamm?

Im Hof der Buchhandlung und des Berlin Story Verlags Unter den Linden, in den Kaiserhöfen, kamen die Paletten voller Bücher an, die hier eingelagert und direkt an die Buchhandlungen in Berlin ausgeliefert wurden. Norman Bösch hat den Verlag lange geleitet.

Wieland Giebel:    Der Wechsel kam zustande, weil die Räume Unter den Linden 40 kurz vor der Kündigung standen, das Haus wurde verkauft und wir mussten raus. Zum Leuschnerdamm gingen wir, weil ich im gleichen Haus wohne und die Räume hier bereits für den Verlag vorbereitet waren. Es war alles schon verkabelt und eingerichtet, so eine Art Notbüro, weil vorauszusehen war, dass es Unter den Linden nicht weitergeht.

BVL:    Der Berlin Story Verlag ist mit über 200 Büchern zur Geschichte und Gegenwart Berlins diesbezüglich führend. Seit wann gibt es den Verlag und wie kam es zu seiner Gründung?

W.G.:    Die ersten Bücher gibt es seit 2003 und zur Gründung kam es, weil in der ersten Buchhandlung 1997 nach Büchern gefragt wurde, die es nicht gab. Die ersten Bücher, die wir gemacht haben, waren Antworten auf Fragen von Kunden. Das fing langsam an, ohne eine Verlagsgründung. 2005 gab es dann den Verlag als richtige Firma.

FAQ, frequently asked questions, so entstanden die Bücher. Was in der Buchhandlung Berlin Story nachgefragt wurde und was es nicht gab, wurde im Berlin Story Verlag produziert.

BVL:    Ihr habt also auf die Nachfrage reagiert und bedarfsorientiert gearbeitet. Aber was heißt eigentlich Verlagsarbeit? Auf eurer Homepage steht lapidar: Bücher werden bis zur PDF fertig gemacht (nicht gedruckt). Wie entsteht ein Buch? Welche Schritte sind von der Idee zu einem Buch bis zum Verkauf erforderlich?

W.G.:    Bis zur PDF fertig gemacht steht deshalb da, weil manche Leute denken, wir seien auch eine Druckerei. Aber das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Ich mache das an einem Beispiel deutlich: Nehmen wir das Buch „Berlin Geschichte“. Kunden haben immer wieder gefragt, haben sie nicht was zur Geschichte Berlins? Wir hatten Bücher, zum Teil mit 600 Seiten ganz dicht beschrieben und nur Text. Aber das wollten die Kunden nicht, so viel wollten sie nicht lesen. Sie wollten etwas haben, das deutlich macht, was Berlin von anderen Städten unterscheidet und was man an einem Abend im Hotel oder auf dem Rückflug lesen kann.

Berlin Geschichte, der Bestseller des Verlags. Das Buch gibt es in acht Sprachen.

Also haben wir uns überlegt, wir machen ein Buch zwischen 60 und 90 Seiten mit relativ vielen Bildern, das erklärt, wie Berlin angefangen hat und wie die Stadt zu der geworden ist, die sie heute ist. Und das Ganze gut visualisiert. Das war eine sehr praktische Überlegung. Die Fragestellungen kannte ich von Besuchern der Buchhandlung. Die verschiedenen Besucher aus unterschiedlichen Ländern haben unterschiedliche Fragen. Engländer fragten mehr nach dem 2. Weltkrieg, Russen fragten mehr nach DDR und Mauergeschichten und Amerikaner haben nach dem hippen Berlin gefragt. Diese ganzen Fragen habe ich in einem Buch mit 72 Seiten beantwortet. Das ist die erste Überlegung.

Die zweite Überlegung ist, wie man das macht. Man muss von Anfang an im Blick haben, das Buch so zu entwickeln, dass es auf die Druckmaschine passt. Also das ist ein Buch von 17 mal 24, das passt auf die Standarddruckmaschinen, so dass es günstig zu produzieren ist und es nicht so viel Papierabfall gibt. Das sind die einfachen Überlegungen, wenn man ein Buch selber macht. Das war unser Anfang.

Die Buchhandlung im Berlin Story Bunker. Alle Bücher des Verlags und viele zu den Themen des Bunkers, vor allem deutsche Geschichte.

Angangs kamen auch keine anderen Autoren, weil sie den Verlag nicht kennen. Wenn die eigenen Bücher in anderen Buchhandlungen liegen, auch im Verzeichnis lieferbarer Bücher enthalten sind und über die drei großen Buchgroßhändler ausgeliefert werden, dann kommen allmählich auch andere Autoren und bieten etwas an. Deswegen steht auf unserer Homepage, welche Art von Büchern wir anbieten: Sachbücher zur Geschichte, keine Biografien. Viele Menschen in unserem Alter meinen, sie haben ein so spannendes Leben gehabt und die Nachbarn sagen auch, schreib das doch mal auf, so dass sie eine Geschichte aufschreiben, die sich eigentlich kaum von denen ihrer Nachbarn unterscheidet. Bis heute kriege ich dauernd Autobiografien angeboten, die aber keiner kaufen würde. Das ist die eine Gruppe.

Die andere Gruppe sind Leute, die Fachbücher gemacht haben. Also zum Beispiel der ehemalige Chef der Bundesbaudirektion Florian Mausbach sagte, wir haben nach dem Regierungsumzug so viele großartige staatliche Gebäude gebaut, die sind noch gar nicht dokumentiert. Wäre das ein Thema? Mit ihm habe ich dann besprochen, ja, das ist ein Thema, aber ich möchte kein Architekturbuch machen, sondern ein Buch, in dem sie erzählen, wie es aus ihrer Sicht zu diesen Gebäuden gekommen ist, und dann dokumentieren wir auch die Gebäude. Für mich würde es dann um die Geschichte des Entstehens von Gebäuden gehen, wie sie jetzt in Berlin stehen. Also zum Beispiel der Vorbau beim Außenministerium, die frühere Reichsbank, wie kommt es dazu, dass da jetzt ein Vorbau ist, was bedeutet der? Das wäre die andere Möglichkeit, wie Bücher entstehen, indem Autoren sich melden und wir dann darüber sprechen, wie ich mir das Buch vorstelle, damit es spannend ist, es für die Leser von Interesse ist und es überhaupt Käufer gibt.

BVL:    Und dann schreibt der Mensch das, du oder ein Lektor guckt sich das an und sagt, das kann man lesen oder das ist unverständlich?

W.G.:    Ja. Der schreibt und würde dann die ersten Kapitel schicken, dann kann man darüber sprechen, ob das so gut ist oder ob er das persönlicher machen kann, ob mehr abstrahiert werden soll oder er vielleicht juristisch ein bisschen vorsichtiger sein soll.

BVL:    Dazu musst du aber selbst Ahnung von dem Thema haben. Auch wenn du darauf achtest, dass es juristisch korrekt ist, musst du dich in das entsprechende Thema einarbeiten.

W.G.:    Ja, so ist es.

Wenn das Manuskript angekommen ist, setzt man sich an den Schreibtisch mit Blick aufs Engelbecken und fängt an zu lesen.

BVL:    Und dann schreibt er weiter und es kommen Bilder dazu. Wie funktioniert das dann?

W.G.:    Man überlegt sich vorher schon, was es für ein Format wird. Sollen die Bilder eher groß oder eher klein werden? Wenn wir beim letzten Beispiel bleiben, werden die Bilder tendenziell eher kleiner, weil es um die Geschichte der Gebäude geht. Und Berliner oder auch andere fachlich Interessierte kennen eigentlich die Gebäude, um die es geht. Es sind alles Bundesbauten oder prominente Gebäude, man muss an sie nur noch durch Abbildungen erinnern. Oder wenn Gebäude weniger bekannt sind wie zum Beispiel beim Bundespresseamt, eine historische Fassade, die so aussieht, als wäre sie schon immer da gewesen, die aber nach Fotovorlagen nachgebaut wurde, muss man das durch ein Bild zeigen.

Dann bekommt ein Grafiker oder Setzer das Manuskript und fügt mit einem Layout-Programm Text und Bilder zusammen. Anschließend guckt es sich eine Lektorin an. Ein Lektorat ist kein Korrektorat, ein Korrektor achtet nur auf Rechtschreibung und Grammatik. Die Lektorin achtet darauf, ob zum Beispiel etwas nicht genau genug erklärt wird. Also sie muss inhaltlich verstehen, um was es geht und inhaltlich kommentieren. Wenn das alles fertig ist, bekommt der Autor die Druckvorlage als PDF.

Am besten ist es, wenn Lektorat und Korrektorat in eins gemacht werden, die Lektorin also auch gleichzeitig Korrektorin ist, so wie unsere Lektorin. Die kenne ich schon sehr lange, seit meiner ersten Verlagsgründung 1971 in der Dresdener Straße, Elefantenpress. Damals musste man die Überschriften mit Letraset anfertigen und einen Lichtsatz machen lassen, das war damals fast alles noch Handarbeit, demgegenüber ist heute das Büchermachen einfach.

BVL:    Wenn all diese Schritte erledigt sind und der Autor mit dem Lektorat einverstanden ist, eventuelle Änderungen erfolgt sind, dann geht es in die Druckerei?

W.G.:    Genau.

BVL:    Und wie geht es dann weiter auf dem Weg in den Buchhandel?

W.G.:    Das sind verschiedene Ebenen. Die Bücher lagern in einer Verlagsauslieferung, in unserem Fall eine riesige Lagerhalle außerhalb Berlins in Falkensee. Und diese Auslieferung bekommt die Anweisung, 100 Bücher an den Großhändler AB, 50 Stück an den Großhändler XY und 50 Bücher an wieder einen anderen Großhändler. Wenn die Leute in unserem Web-Shop bestellen, kommt die Auslieferung auch direkt von dort. Jede Bestellung geht am folgenden Morgen raus, egal, ob es kleine oder große Mengen sind. Das Technische der Auslieferung ist also außer Haus.

In dieser Lagerhalle in Falkensee lagern die fertigen Produkte und warten auf den Versand.

Innen sieht das Lager so aus – quasi wie bei Amazon. Aus einem Hochregallager werden die Bücher zusammengesammelt und kommen in Kartons – und ab geht die Post.

Aber die Leser müssen ja wissen, dass es das Buch gibt. Und dafür muss der Verlag etwas tun. Da gibt es mehrere Wege, das eine ist der Newsletter an die bekannten Kunden und den Buchhandel, in unserem Fall ist es ein gemischter Newsletter aus Verlagsneuerscheinungen und Neues aus dem Bunker, weil das relativ eng vermischt ist. Die üblichen Verlagsnewsletter beschränken sich auf die Neuerscheinungen.

Das andere ist die Pressearbeit. Entweder macht man eine Pressekonferenz, das erfolgt aber immer seltener, kein Journalist kommt mehr für ein einzelnes Buch. Also muss man wissen, welcher Journalist könnte genau dieses Buch besprechen, es ihm schicken und ihm dann auf den Wecker gehen per Mail oder Telefonat und die Hoffnung haben, dass er oder sie etwas darüber schreibt. Wichtig sind auch die Online-Portale.

Aber nahezu am wichtigsten sind die Pressebesprechungen in der Qualitätspresse. Also wenn wir was in der BILD oder BZ hatten, dann verkaufen wir daraufhin keine Bücher. Aber BILD und BZ werden von vielen anderen Journalisten gelesen, wenn darin etwas über unsere Bücher steht, ruft zum Beispiel regelmäßig der rbb an. Der hat zwar auch die Pressemitteilung bekommen, es ist aber nicht vorgedrungen oder es wurde nicht gelesen. Wenn es aber in der BILD oder BZ gestanden hat, dann ruft jemand vom rbb an und sagt, ach, das ist ja interessant und will dann auch ein Besprechungsexemplar haben.

Insofern ist es nicht nur die Qualitätspresse, das wäre in Berlin der Tagesspiegel, die Morgenpost und die Berliner Zeitung, die für uns von allergrößter Bedeutung sind für die Themen, die mit Berlin zu tun haben. Früher waren auch noch tip und zitty wichtig. Und wenn man einen echten Scoop landet, ist man in der Abendschau.

Die Buchhandlung Unter den Linden 26 hatte drei Etagen. Hier sieht man einen Teil der Buchhandlung. Auf einer Empore befand sich der Verlag und im Untergeschoss der Berlin Story Salon, ein Dinner-Show-Theater mit Berlin-Programm sowie das Berlin Story Museum.

BVL:    Man ist also schon auf viele andere Menschen und deren Goodwill angewiesen.

W.G.:    Ja. Es geht nur in Kooperation mit langen, sehr vertrauensvollen Beziehungen. Man muss die Medien wahrnehmen muss und genau wissen, welcher Journalist schreibt darüber und welche Themen interessieren ihn wirklich. Also Pressemitteilungen einfach so herausschicken machen wir auch, das ist aber bei weitem nicht so effektiv als bestimmten Journalisten zu sagen, das ist doch eigentlich genau das Richtige für dich, du hast dich doch beispielsweise schon immer für Hitler und seinen Hund Blondi oder für Eva Braun interessiert.

BVL:    Für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit braucht man immer ein Netz von persönlich bekannten Journalisten, die von dem entsprechenden Thema auch Ahnung haben und die man gezielt ansprechen muss.

W.G.:    Richtig, man muss wissen, die Leser von Focus Online brauchen jeder Woche dreimal Hitler und die von WELT Geschichte nur zweimal.

BVL:    Wie viele Menschen arbeiten im Berlin Story Verlag?

W.G.:    Wir waren zuletzt fünf. Ich bin gerade dabei, das nächste Museumsprojekt zu entwickeln, habe daher reduziert und arbeite im Moment nur mit freien Mitarbeitern.

Mitarbeiterfotos, heute ist das schwierig. Damals, vor zehn Jahren, machten alle MitarbeiterInnen beim Geschichtsfestival Historiale. Für die Presseankündigungen und das Programmheft stellten wir vorher im Berlin Story Salon solche Szenen – während der Arbeitszeit natürlich. Hier ging es um die Roaring Twentys. So ähnlich war es auch im Salon.

BVL:    Wenn du also ein konkretes Buchprojekt hast, beauftragts du eine Lektorin, einen Layouter und Menschen, die alles das machen, was nötig ist.

W.G.:    Genau. Es sind alles langjährige Zusammenarbeiten. Wir hatten auch schon lange vor Corona sehr viel Homeoffice, weil das im Verlagswesen einfach ist und alles online geht. Seit 2000 habe ich auch in der Buchhandlung keinen mehr eingestellt, der nicht online so fit ist, dass man entsprechend kommunizieren kann. Seit vielen Jahren ist es so, dass diejenigen, die zusammenarbeiten, direkt über eine Leitung mit unserem Server verbunden sind, sie haben einen direkten Zugang und Zugriff zu allen Sachen, damit es schnell geht und sie keine Verzögerungen im Internet haben. Ob sie dann hier am Leuschnerdamm sitzen oder woanders ist eigentlich egal. Die Flexibilität für mich ist größer und für die anderen auch. Also was jetzt durch Corona breiter und bekannter geworden ist, das haben wir schon vorher dauernd und für alle sehr angenehm gemacht.

BVL:    Es ist ja auch egal, ob man von 8.00 bis 16.00 Uhr in einem Büro das Lektorat macht oder woanders und zu Zeiten, die einem besser passen.

W.G.:    Das war auch der Ausgangspunkt. Wenn man beispielsweise junge Frauen anstellt, muss man damit rechnen, dass sie schwanger werden, aber weiterarbeiten wollen. Wenn sie zu festen Zeiten zur Arbeit kommen müssen, kann das schwierig werden. Das war der Ansatzpunkt, als wir vor zehn Jahren mit dieser Auslagerung begonnen haben und alles so organisiert wurde, dass sie im Außenverhältnis immer direkt hier angeschlossen sind und arbeiten können, wann es ihnen am besten passt. So fing das eigentlich an.

BVL:    Ich fasse das jetzt nochmal zusammen: man braucht für ein Buch den Autor oder die Autorin, das Lektorat, jemanden, der Korrektur liest, der layoutet und gestaltet … und dann wird es gedruckt.

W.G.:     Nein, man braucht noch einen, der es finanziert. Das ist nicht unwesentlich.

Grafische Erzählungen oder Comics. Die Polit-Geschichte in Berlin in den 1980er Jahren. Das ist extrem spannend – und läuft gut.

BVL:    Das ist der Verlag?

W.G.:    Nein, das ist der Verleger. Der Verlag ist ja eine Firma und es muss jemand entscheiden, ob sich das rechnet, wenn man alle bezahlt, die du genannt hast. Du hast eine Frage noch nicht gestellt, wie viel kostet der Vertrieb? Was schätzt du?

BVL:    Oh, das kann ich nicht einschätzen. Bitte erzähle etwas dazu.

W.G.:    Viele Leute wissen, der Buchhandel bekommt 30 oder 40% vom Verkaufspreis. 30 % war früher, da kann er nicht von leben, das konnten wir in unseren Buchläden auch nicht. Dann kommen noch der Großhandel und die Auslieferung dazu. Also vom Nettoverkaufspreis gehen allein 60 % an den Vertrieb. Das kann sich keiner vorstellen. Amazon nimmt 55 % und dazu kommen noch die Kosten für die Auslieferung, wo die Bücher liegen und dann verschickt werden, die müssen ja auch von irgendwas leben. Man ist immer bei mindestens 60 % an Kosten, die mit dem Vertrieb zu tun haben. Es sei denn, die Bücher werden im eigenen Web-Shop bestellt. Da kommen dann nur die Kosten für unsere eigene Auslieferung dazu, aber nicht die für den Handel oder für Amazon. Also jedes Mal, wenn jemand bei uns im Web-Shop bestellt, macht er Jeff Bezos nicht reicher.

BVL:    Dann verbleibt ja ganz wenig beim Verlag und beim Autor.

W.G.:    Ja, das stimmt. Das ist das Traurige daran. Das Schöne ist, dass es nachher Bücher gibt, das Traurige ist, dass man so wenig Geld damit verdient.

BVL:    Das ist den Leuten, wenn sie ein Buch kaufen, bestimmt nicht klar.

W.G.:    Genau. Die denken, die paar Seiten, warum kosten die so viel.

BVL:    Durch die Corona-Pandemie mussten der Bunker und das Museum schließen und konnten erst Mitte Juni wieder öffnen. Wie hat sich die Pandemie auf den Berlin Story Verlag ausgewirkt?

W.G.:    Furchtbar, denn die Hälfte unseres Umsatzes machen wir mit auf Berlin bezogenen Titeln. Wir hatten auch über den Nicht-Buchhandel einen starken Vertrieb aufgebaut, zum Beispiel im Berliner Dom, in anderen Museen wie dem Technikmuseum, an touristischen Orten wie der Gedenkstätte Berliner Mauer, in Ausstellungen, in Souvenirläden, die von uns die Bücher und Buchständer hatten. Die hatten ja alle zu.
Wir haben Bücher in verschiedenen Sprachen, über die Berliner Mauer in neun Sprachen, Berlin Geschichte gibt in zehn Sprachen. Dieser ganze Markt der hochwertigen touristischen Bücher ist komplett zusammengebrochen, und zwar seit dem Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020. Der Verkauf unserer Bücher ist um die Hälfte eingebrochen.

BVL:    Was denkst du, wie lange es dauert, bis sich das wieder erholt?

W.G.:    Bis 2023, wenn nicht wieder ein neuer Lockdown kommt. Die Erholung nach der Wirtschaftskrise 2008 hat zweieinhalb Jahre gedauert. Deshalb glaube ich, dass es dann weiter geht und sich gefangen hat. Es ist ein schwerer Schlag und auch nicht aufzufangen, denn die Buchkäufer kommen ja dann nicht und kaufen die Bücher, die sie zwischendurch nicht gekauft haben. Und wenn man direkt vor Beginn der touristischen Saison, die für uns die Hälfte des Umsatzes ausmachte, aktualisierte Neuauflagen für das Jahr 2020 gemacht hat und Kosten damit hatte, dann steht man ganz schön auf dem Schlauch.

Das interessiert viele Menschen, wo eigentlich die Mauersegmente geblieben sind. Überall. Echt. Die meisten aber in den USA – weil dort der Freiheitswille geschätzt wird.

BVL:    Ja, das ist eine schwierige Lage. Du hast gesagt, du bist mit einer neuen Ausstellung beschäftigt. Worum geht es da?

W.G.:    Im Berlin Story Bunker wird es ab Anfang 2022 die Dokumentation geben „1968 Museum, Deutschland von der bedingungslosen Kapitulation bis Corona“. Der Wendepunkt ist 1968 und danach, also nicht nur die Geschehnisse am Kudamm, die Historiker nennen das inzwischen Transformationszeit, mehr Demokratie wagen. Das konnte aber nur kommen, weil es einen gesellschaftlicher Veränderungsprozess gab.
Die durchschnittliche Besuchszeit in der Dokumentation „Hitler – wie konnte es geschehen“ beträgt dreieinhalb Stunden. Das ist sagenhaft viel. Das ist nicht von uns gemessen, sondern von Google. Google misst, wann die Handys reingehen und wann sie wieder rausgehen. Es sind also offizielle Zahlen. Die letzte Szene ist im Führerbunker: als Hitler schon tot ist, bringt Magda Goebbels noch ihre sechs Kinder um. Meine Dramaturgie war, dass die Besucher damit entlassen werden und das mit dem Nationalsozialismus nicht mehr so toll finden. Sie fragen aber, wenn sie aus dem Bunker wieder rausgehen, warum ist Berlin heute so hip? Die neue Dokumentation wird diese Fragestellung aufnehmen, warum sind Berlin und Deutschland so geworden, wie es jetzt ist. Es geht hier nicht nur um Berlingeschichte, sondern um deutsche Geschichte. Dazu haben wir auch schon viele Bücher gemacht.
Also die erste Zeit, in der die ganzen alten Nazis noch lebten und in allen Ämtern waren, in der Politik, als Richter und Lehrer, beim Militär und der Polizei, eigentlich in allen Institutionen, wie hat sich das dann umgedreht. Da sehe ich den Wendepunkt 1968, darüber haben wir auch schon ein paar Bücher gemacht, auch Comics. Daran arbeite ich gerade hauptsächlich.

BVL:    Das ist wirklich sehr spannend. Aber wie lange willst du eigentlich so weiter powern wie bisher? Andere Menschen in deinem Alter sind schon in Rente.

W.G.:    Bis ich 104 bin.

BVL:    Das ist gut, ich will auch 100 werden. Wie siehst du die Zukunft des Berlin Story Verlags?

W.G.:    Wir globalisieren gerade. Man muss sich ja als Unternehmer überlegen, wenn es in Berlin nicht weiter geht, wie geht es denn weiter? Wir haben die umfangreichste Dokumentation zu Hitler, das Hitler Itinerar mit 2432 Seiten in vier Bänden, Hitlers Leben Tag für Tag, so eine Art Arbeitskalender von ihm, wo und wann hat er wen getroffen, über was haben die gesprochen. Das ist heute für Historiker ein Basic geworden. Es gibt mehr als 100 seriöse Hitlerbiografien, aber da sind immer Fehler drin. Der Autor hat dieses umfangreiche Buch gemacht, um zu verdeutlichen, wie es zu Hitlers Aufstieg kam. Das haben wir jetzt auf Englisch, ab September gehen wir damit und mit weiteren 28 englischsprachigen Büchern auf den Weltmarkt. Das bereiten wir gerade inhaltlich und marketingmäßig vor.

BVL:    Dein letztes Buch zum Nationalsozialismus, „Warum ich Nazi wurde“, hatte eine sehr breite Resonanz.

W.G.:    Ja, das war ein sehr wichtiges Buch, wir hatten ungefähr 100 Besprechungen weltweit.

BVL:    Wirst du das auch auf Englisch herausbringen?

Warum ich Nazi wurde – die einzigen Quellen, in denen Männer und Frauen aus ganzem Herzen im Sommer 1934 erklären, warum sie zur Hitler-Bewegung gekommen sind. In „Ich traf Hitler“ geht es um Menschen, die in den 1990er Jahren meist begeistert von ihrem Trennen mit dem „Führer“ berichten. Und die 3 DVDs „Wer war Hitler“ mit einer Laufzeit von siebeneinhalb Stunden ist der mit Abstand beste Film über den Diktator.

W.G.:    Nein, das ist nicht möglich, weil wir sehr umfangreich Originalquellen dokumentiert haben, in Schreibmaschinenschrift, weniges auch in Handschrift. Der Leser kommt völlig anders da rein, wenn er die Originale sieht. Das ist, als würde man in ein Archiv gehen und die Sachen als Originaldokumente sehen. Durch eine Übersetzung verliert es einen erheblichen Teil an Bedeutung. Das geht quasi nicht.

BVL:    Ja, ich verstehe, was du meinst. Es berührt ganz anders, wenn man es als handschriftliches oder getipptes Original sieht, als wenn es normal gedruckt im Buch steht.

W.G.:    Genau. Das ist ein emotionales Erlebnis, was man mitkriegt, warum die Leute Nazis geworden sind, und man rauft sich die Haare dabei. Wir haben einige Beiträge im normalen Buchsatz, das kann man auch lesen, aber es ist emotional etwas völlig anderes.

BVL:    Das stimmt. Möchtest du abschließend noch etwas erwähnen, was ich dich nicht gefragt habe?

W.G.:    Ja, ich habe die Kinderbücher vergessen, die sich auch mit Berlin, Berlingeschichte, den Prinzessinnen Luise und Friederike und wichtigen Fragen des Erwachsenwerdens, der Berufsfindung, befassen. Eins heißt Beruf König und geht über Friedrich den Großen. Ein anderes geht über die Gebrüder Humboldt, eins über die Charité. Die schönen Bücher, das sind die Kinderbücher.
Bild Berlins Geschichte für Kinder. Und sonst kann ich sagen, es macht unheimlich Spaß und es ist ein beglückendes Gefühl, Bücher machen zu können und in der Lage zu sein, sie zu verbreiten, das sagenhafte Privileg zu haben, dass das klappt und es so viele Leute gibt, die die Bücher lesen wollen. Als ich noch zur Schule ging, musste ich von einem Bus in einen anderen umsteigen, es waren zwölf Minuten dazwischen. In der Zeit bin ich im Vorort von Kassel in einen kleinen Buchladen gegangen, ich habe wenig gekauft, weil ich wenig Geld hatte. Die ältere Dame hat mir angeboten, die Buchhandlung zu übernehmen, wenn sie aufhört. Da muss ich schon eine große Buchnähe gehabt haben. Ich hatte das total vergessen, der Gedanke schien mir so absurd, in einem Vorort von Kassel eine Buchhandlung zu haben, ich wollte ja in die weite Welt hinaus. Und viel später, als meine Mutter in der riesigen Buchhandlung Unter den Linden stand, erzählte sie mir das.
Da ist mir klar geworden, es ist eine lange Kontinuität, Elefanten Press ist ja auch lange her, das war 1971, ich war 21. Zwischendurch habe ich ganz andere Sachen gemacht. Aber dieses beglückende Gefühl, dass ich das, was ich als Heranwachsender und junger Erwachsener schon gerne gemacht habe, heute erfolgreich mit den Titeln, mit denen ich mich beschäftigen möchte, machen zu können, das ist ganz toll.

BVL:    Ja, es ist etwas sehr Schönes, wenn man seine Vorlieben zum Beruf machen kann. Ich danke dir für das Gespräch und bleibe bitte fit, dass du wirklich bis 104 weiter machen kannst.