Ukraine – Besuch in Kyiv, einen russischen Schrottpanzer bestellen

Nachmittags hatte ich am Samstag, dem 27. August 2022 im Berlin Story Bunker noch ein Treffen mit dem Bürgerverein Luisenstadt. Es ging um das neue Museum zur Deutschen Geschichte von 1945 bis heute. Dieses Museum endet mit dem Krieg in der Ukraine. Es war zeitlich am günstigsten, danach vom Berliner Zentralen Omnibus-Bahnhof ZOB aus nach Kiew/Kyiv (ukrainisch) zu fahren.

Kiew 17:00. Der Bus hatte etwas Verspätung, aber bei geplanten 22 Stunden Fahrzeit macht eine halbe Stunde nichts aus.

Was mir gar nicht klar war: An jedem Tag fahren etwa 20 Busse von oder über Berlin in die Ukraine. Fast ausschließlich Frauen. Ich war der einzige Mann im Bus, ein Exot.

Pause in Polen nach einigen Stunden Fahrt. Im Bus befindet sich auch eine Toilette. Leider kann ich mit meinen Nachbarinnen nicht kommunizieren, weil ich nahezu kein Wort Ukrainisch spreche. Beim nächsten Halt spricht mich glücklicherweise Liza auf Englisch an, 17 Jahre, seit einigen Monaten in Deutschland. Sie hat jetzt ihr ukrainisches Abitur online in der Tasche, muss noch ein Jahr in ihre deutsche Schule, um Abi zu machen, will aber die Zeit nutzen, an zwei ukrainischen Unis zu studieren. „Schule in Deutschland ist nicht so anstrengend. Da kann ich die Zeit sinnvoll nutzen.“ In Kyiv will sie sich einschreiben.

 

22 Stunden klappt nicht, weil wir am Sonntagfrüh bei Sonnenaufgang sechs Stunden an der polnisch-ukrainischen Grenze stehen. Warum? Keine Ahnung. Eigentlich geht die Abfertigung der 30 Busse zügig. Die Verspätung ist deswegen etwas ungünstig, weil wir vor dem Lockdown in Kyiv sein müssen.

An der Grenze kann man aussteigen und herumlaufen. Das ist ja ganz gut nach der langen Fahrt – und vor der langen Weiterfahrt.

 

Wer jetzt Ukrainisch kann ist deutlich im Vorteil.

Von Kolberg an der polnischen Ostseeküste nach Mariupol am Schwarzen Meer – irre Strecken.
Oder von Bonn nach Cherson. Das sind vom Rhein zum Dnipro/Dnjepr mehr als 2.300 Kilometer
Oder dieser ebenso volle Bus von Pilsen in der Tschechischen Republik über Prag und Zytomyr nach Kyiv.
Fruchtbares Land. Über Stunden geht es durch eine fruchtbare landwirtschaftliche Region. Das Schicksal der Ukrainer. Sie werden satt und können exportieren, aber Hitlers Deutschland und Stalins Sowjetunion wollte das alles haben, die Menschen umsiedeln oder umbringen.
Da steht er nun am Busbahnhof von Kyiv. Die Straßen sind leer, weil die nächtliche Ausgangssperre angefangen hat. Liza hat mir einen Uber-Fahrer bestellt, der kommt aber nicht und Liza ist weg. Ich habe kein ukrainisches Geld. Keine gute Aussicht. Da meldet sich Enno Lenze auf dem Handy: „Alles OK? Bist Du im Hotel?“ Das wäre schön. Er ist gerade in Kyiv, bis morgen früh, dann wollen wir noch zusammen frühstücken. „Ich hole Dich ab, ich habe eine Nachtfahrerlaubnis.“ Die Rettung – scheinbar, denn wir finden das Hotel nicht. Ich penne in einem anderen. Am nächsten Morgen laufe ich herum und finde heraus, dass ich erst ein Dokument brauche, mit dem ich in das Hotel im Komplex des Sicherheitsministeriums gelange. Ich erhalte ein Dokument, das ich immer vorzeigen muss.

Montag, der 29. August 2022, Kiev/Kyiv

Erste Orientierung im Hotel: Wo geht es zum Bunker, also mehr zu einem einigermaßen geschützten Kellerraum. Das möchte ich schon gern wissen, denn das Gelände des Sicherheitsministeriums gehört sicherlich zu den bevorzugten Zielen russischer Raketen.

 

Da kann man nicht meckern: Omelett im Interconti. Warum Interconti, so teuer? Da waren und sind die internationalen Journalisten. CNN hat zwei Etagen, baute 14 Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine oben auf dem Dach die ganze Satellitentechnik auf. CNN glaubte dem CIA. Unsere Regierung nicht. Und wer war noch da? Paul Ronzheimer von BILD, später als Journalist des Jahres ausgezeichnet – voll zu Recht. Folgt ihm auf Twitter https://twitter.com/ronzheimer    Das Interconti hat einen großen Swimmingpool. Wenn man den nicht chlort, ist im Notfall Wasser für viele Menschen für lange Zeit da.

 

Enno verabschiedet sich. Er war an der Front und fährt zurück zum Bunker in Berlin. Ich werde in Kyiv bleiben. An der Front muss man vor allem schnell wegrennen können. Übergabegespräch, dann stehen ihm zwei Tage Autofahrt im schwer gepanzerten Fahrzeug bevor.

Kiew ist sagenhaft schön. Während ich in der Stadt war, fanden keine Raketenangriffe statt.

Sehr lustig: „Scharfe Kanten.“ Man soll sich nicht wehtun.

 

Da ist nicht viel geblieben. Möglicherweise konnten die russischen Soldaten hinausklettern, bevor der Panzer in Brand geriet.

 

Witwen. Ihre Männer sind im russisch-ukrainischen Krieg gefallen.

 

Ein T 72, der am häufigsten eingesetzte russische Panzer.

 

Zurück zum Hotel. Das ist gut geschützt. Nur nicht gegen Raketen.

Dienstag, 30. August 2022

Welche Widersprüche: architektonisch und was die Lage und das Leben im Land und in Kyiv angeht. Panzersperren wir im Zweiten Weltkrieg und Essen bestellen vai App. Es ist der Tag, an dem ich das erste Gespräch mit dem Verteidigungsministerium führe.

Ein touristisches Foto am Maidan mit Friedenstauben, dann geht es zum Gespräch mit dem Verteidigungsministerium, wie wir das mit dem Panzer am besten hinkriegen, welchen wir gern hätten und was damit genau passieren soll.
Jetzt, nach Monaten des Krieges, ist auch der WDR in Kyiv eingetroffen. Anfangs wurde über den Krieg aus Moskau berichtet. Auch jetzt noch scheint die Perspektive und die guten Ratschläge zum Ende des Krieges oft mehr von Moskau beeinflusst zu sein. Die schicken Autos sind nicht in der Nähe der Front eibngesetzt, sondern parken in einem Szene- und Ausgehviertel in Kiew, 600 Kilometer von den Brennpunkten entfernt. Man sieht und hört die deutschen Journalisten in den umliegenden Kneipen.

 

Mittwoch, 31. August 2022

Die Sophien-Kathedrale. Der Bau wurde im 11. Jahrhundert begonnen.

Sagenhaft alte Fresken wurden freigelegt.

Vor dem Altar steht ein Mann – zum Größenvergleich.
Kyiv war noch nicht sehr groß, aber bereits von prächtigen Kirchen dominiert.
Im wundervoll gepflegten Garten der Kirche …
… konnte ich nicht widerstehen, mir einige der reifen Äpfel zu pflücken.
An einer Ecke liegen wenige Sandsäcke. Diese Kulturdenkmäler zu schützen, ist praktisch nicht möglich. Man sieht es ja weiter im Osten: Bevorzugte Angriffsziele der russischen Kriegsverbrecher sind Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Kirchen und Bahnhöfe, in denen Menschen Schutz suchen.

Mich zieht es wieder zu den zerschossenen Fahrzeugen, zu den Panzern.

 

 

Dann geht es zum Außenministerium.

Und in dem Moment, als ich aus dem Außenministerium herauskomme, ertönt die Luftalarm-Sirene. Ich frage eine Frau, was ich jetzt tun soll. Sie dreht sich kaum um: „Dafür gibt es eine App“ – und geht weiter. Alle gehen weiter. Naja, ich dann auch.
Ich denke so ein bisschen naiv, wenn ich in einen Park gehe, da fallen bestimmt weniger Bomben.

Ins Nationalmuseum. Der Vertrag über den zerschossenen russischen Panzer wird über das Militärmuseum laufen, denn wir erhalten keinen Panzer, sondern einen demilitarisierten Schrotthaufen, der zum Museumsstück deklariert wird. Wie soll das genau laufen?

 

Exponate aus dem russisch-ukrainischen Krieg. Die aktuelle Ausstellung.

Überblick über die aktuelle Ausstellung zum laufenden Krieg:

 

Donnerstag, 1. September 2022, Holomodor Gedenkstätte

Holomodor, der Begriff steht für die drei bis sieben Millionen Menschen, die 1931 und 1932 in der Sowjetzeit an Hunger verendeten. Historiker sagen, Stalin setzte den Hunger gezielt gegen die Ukraine ein. Der Deutsche Bundestag erkannte den Holomodor 2022 als Genozid an, als Völkermord. Nach Mißernten in den Jahren 1931 und 1932 erhöhten die kommunistischen Parteikader die Abgabequote der Bauern. Wikipedia dazu: „In den Dörfern wurden darüber hinaus Haushaltsgegenstände wie Seife oder Petroleum konfisziert. Bolschewistische Brigaden suchten nach versteckten Lebensmitteln. Dörfer wurden systematisch ausgeplündert. In der Folge von Strafabgaben verloren viele Bauernfamilien ihren gesamten Besitz und endeten, um Essen bettelnd, in den Städten. In der Bevölkerung kam es zu Kannibalismus.“


Holomodor – das ist lange her, aber nicht so lange. Die Millionen von Toten, verursacht durch Stalin und die Sowjetunion, sind im nationalen Gedächtnis der Ukraine fest verankert.

Die Gedenkstätte stellt geheim geschriebene Tagebücher aus. Wären die gefunden worden, wäre der Schreiber umgebracht worden.

 

In mehreren Büchern sind die Namen der Menschen festgehalten, die an Hunger starben – soweit sie bekannt sind.

Blick vom Park der Holodomor-Gedenkstätte über den Dnipro (ukrainisch), Dnjepr (russisch).

Szenenwechsel 1: Deutsche Botschaft

Mir steht noch eine besondere Aufgabe bevor, nämlich die deutsche Botschaft in Kiew zu fotografieren. Das Buch des ehemaligen Präsidenten der Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Florian Mausbach, wird demnächst im Berlin Story Verlag erscheinen, Bauten, die Staat machen.  Unter seiner Regie entstand dieses Gebäude, von dem wir für das Buch ein aktuelles Foto brauchen. Kyiv ist zum Glück eine Stadt für Fußgänger.

Szenenwechsel 2: Straßenszenen Kyiv

Das hat mich immer wieder verwundert, obwohl es eigentlich klar ist: Trotz des Krieges geht das Leben weiter. Die Menschen, die jungen KyieverInnen sind genauso wie hier, wie in Berlin oder anderen westlichen Städten: Beim Gehen auf dem Smartphone lesen, den Kaffee im Becher spazieren tragen, E-Zigaretten rauchen und auf dem Bürgersteig mit dem E-Roller fahren.

 

Szenenwechsel 3: Die neue Briefmarke

„Was ist das hier für eine Schlange?“, frage ich eine junge Frau. „Die neuen Briefmarken mit Patron. Das ist ein ganz wichtiger Hund, ein ganz bekannter, ein Minensuchhund. Erst hier die Briefmarken kaufen, dann dort den Ersttagsstempel holen und dann dort anstellen und von den Grafikern signieren lassen. Damit kann man reich werden!“

 

Die Schlange mit einem der beiden Grafiker. Die Briefmarken habe ich gekauft, aber mir dauert das in dieser Schlange etwa zu lang.
Ich ahnte, diese Fotos einmal brauchen zu können. Jetzt sind sie Teil der Ausstellung zu urkrainischen Memes im Berlin Story Bunker. Memes sind eine Art Karikaturen im Internet, Kriegspropaganda von unten, bei der jeder mitmachen kann. Die ukrainischen Post nahm die Idee der Memes auf und machte daraus Briefmarken – auch den Traktor, der einen Panzer abschleppt oder den Soldaten auf der Schlangeninsel, der sich nicht ergeben wollte und funkte: „Russian warship, go fuck yourself.“

 

Freitag, 2. September 2022, Rückfahrt


Zurück fahre ich mit dem Zug. Das kostet, wie mit dem Bus, etwa 100 Euro von Kiew bis Berlin.

Die Felder sind teilweise abgeerntet, Wieder geht es viele Stunden durch fruchtbare Landschaften.
Wer so lebt, inmitten der Natur mit Garten und seinem Feld drumherum, will nicht flüchten und in Deutschland von Sozialhilfe leben. Diese Vorstellung ist so abwegig und wird doch immer wieder verbreitet: Friedrich Merz, CDU: Sozialtourismus. Er verachtet die Armen und Unterdrückten.

 

 

Samstag, 3. September 2022, Przemysl, im Südosten Polens

 

Der Grenzbahnhof in Polen. Hier kommen die Flüchtlinge aus der Ukraine an, von hier aus fahren die Politiker und Hilfsorganisationen aus dem Westen weiter Richtung Kyiv. Ich wolltemir diese Stadt gerne einen Tag lang ansehen.

 

In Przemysl im Bahnhof gibt es eine Art Welcome Hall wie in Berlin am Hauptbahnhof. Ich tausche mich mit den ehrenamtlichen Helfern aus: Kinder erstmal mit Kakao und Schokolade glücklich machen, den Müttern eine SIM-Karte geben, die es von den großen Telefongesellschaften auch in Polen kostenlos gibt.

 

Handy aufladen, das ist am Wichtigsten, Fahrkarte ausdrucken und den Rucksack unterstellen. Überall sind freundliche Helfer, auch am nächsten Morgen um 5 Uhr, an einem Sonntag, als ich mit einem anderen Zug weiterfahre. Studenten haben sich freigenommen und stehen bereit.

Przemysl –was für eine wunderschöne Stadt


Im Ersten Weltkrieg war die Festung umkämpft:


Die Geschichte der Stadt im Spannungsfeld zwischen Russland, Österreich-Ungarn, der Ukraine, Polen und Deutschland ist sagenhaft spannend und in Wikipedia gut (ziemlich ausführlich) zusammengefasst. https://de.wikipedia.org/wiki/Belagerung_von_Przemy%C5%9Bl

Ein Beobachtungsballon mit Gondel und Besatzung darunter hängend im Ersten Weltkrieg in Przemysl.

Was ich nicht wußte: Hier wurde Öl gefördert:

Im Stadtmuseum geht es um den Ersten Weltkrieg:

Und es geht um die Verfolgung, Erniedrigung und Vertreibung der Juden:

Sonntag, 4. September 2022

… am nächsten Tag bin ich in der Botschaft der Ukraine in Berlin – berichten: