Der unerwünschte Panzer in Berlin

Es war ein harter politischer und juristischer Kampf, bis der Bezirk unserem Projekt zustimmte. Erst als die neue Bürgermeisterin von Berlin-Mitte die Sache an sich zog, kam alles in die richtigen Bahnen. Bis dahin war der einfallsreichen Phantasie des Bezirks Mitte, zu verhindern, dass wir einen in der Ukraine zerstörten russischen Panzer vor Moskaus Botschaft Unter den Linden stellen, keine Grenzen gesetzt.

Im letzten Schreiben des Rechtsamtes der Bürgermeisterin vom 2. Februar 2023 wird gefordert, den Panzer mit Absperrgittern zu umgeben, damit sich keiner daran kratzt und etwas zu tun, damit er nicht tropft.  Das liest sich so: „Überdies hat der Antragsteller [= wir] zu erklären, wie er das Panzerwrack Tag und Nacht vor dem unbefugten Betreten schützen wird und verhindert, dass sich Passanten an abstehenden Bauteilen (scharfe Kanten, Kanonenlauf, etc.) verletzen. Insofern ist seitens des Antragsgegners [= Bezirk Mitte] angedacht, einen umlaufenden geschlossenen Bauzaun anzuordnen.“

Berliner werden vom Bezirksamt Mitte offenbar für dümmer gehalten als die Menschen in Warschau, wo solche Panzer ausgestellt waren, als die in Prag und natürlich dümmer als Menschen in Kyiv – denn dort stehen die Panzer ohne Absperrung. Sie stehen seit Monaten auf einem großen Platz und jeder kann sich diese russischen Todesmaschinen genau ansehen und Fotos machen.

Der Panzer soll nicht tropfen, keine Flüssigkeit verlieren. Das Rechtsamt der Bürgermeisterin fürchtet, er könnte inkontinent sein. Der Panzer steht jedoch mit zersprengten Zylindern und offen bis auf den Boden mit einsehbarem Motor seit fast einem Jahr auf einem Friedhof russischer, nicht reparabler Schrottpanzer in der Ukraine.

Enno Lenze in der Ukraine vor der „Todesmaschine“

Ich habe ihn besucht, mit Fotos und Videos dokumentiert, und diese den deutschen Behörden zur Verfügung gestellt, die für den Import zuständig sind. Sie hatten danach gefragt und direkt gesagt haben, was relevant ist, was sie brauchen, um uns zu helfen. Im Bezirksamt Mitte dagegen ist bisher niemand auf die Idee gekommen, etwas zu fragen.

Fragen? Im Gegenteil: jedes Gesprächsangebot unsererseits wurde abgelehnt, jeder Versuch dazu boykottiert, abgewimmelt schon beim Pförtner und mit Vertröstung auf eine Bürgersprechstunde in sechs Wochen – telefonisch, mit schriftlicher Anmeldung der Themen, die wir besprechen wollen. Bis heute gab es kein Gespräch, alles wurde abgewimmelt, per Mail, Telefon und vor Ort, alles geht jetzt über einen Rechtsanwalt. Wie kann man sich so einen Gesprächsversuch mit der zuständigen Stadträtin in Mitte vorstellen?

An einem Freitag, dem 22. Juli 2022, versuchten wir zwischen acht und 14 Uhr mit etwa hundert Mal wählen, eine der zehn Telefonnummern der entsprechenden Abteilung im Bezirk Mitte zu erreichen. Es nahm nie jemand ab. Wieland Giebel berichtet: „Und dann stehe ich am Montag, dem 25. Juli 2022 im Rathaus Mitte, der Pförtner drückt mir den Telefonhörer in die Hand: Ich darf mit der Sekretärin der für Straßen und Grünflächen zuständigen Stadträtin Neumann sprechen.

Es ist es laut in der Halle des Rathauses, weil sich da so viele beschweren. Ich verstehe nicht so gut, zumal das Telefonat auf der anderen Seite immer wieder durch Nachfragen bei jemandem unterbrochen wird. Aber ich höre:

,Wir sind noch in Beratung. Jetzt stehen wir im Austausch mit der Senatskanzlei.‘

Ich: ,Wieso das? Entscheiden muss doch die Bezirksstadträtin.‘

Sekretärin: ,Ja, aber wir stehen im Austausch.‘

Ich: ,Wer ist in der Senatskanzlei Ansprechpartner?‘

Sekretärin: ,Das kann ich nicht sagen.‘

Ich: .Kann ich Frau Dr. Neumann selbst sprechen?‘ – kurze Pause.

Sekretärin: ,Das geht nicht, Sie hat einen Termin.‘

Ich: ,Wenn der Termin vorbei ist, können Sie mir sagen, wann ich anrufen kann?‘

Pause. Sekretärin: ,Nein. Ich empfehle Ihnen die nächste Bürgersprechstunde, die ist immer telefonisch am ersten Donnerstag. Aber August fällt aus, also 1. September.‘

Ich: ,Also am Tag, als der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen begann.‘“

Nachtrag: Der Tagesspiegel hat nachgefragt, wer denn Ansprechpartner im Senat sein könnte. Dort ist von unserer Anfrage aber gar nichts bekannt.

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Ziviler VW Bus - von terroristen zerschossen
Ziviler VW Bus – von Terroristen zerschossen

Mit der Kunstinstallation „Todesmaschine“ wollen wir die Sinnlosigkeit und brutale Unmenschlichkeit des Krieges und die Vergänglichkeit von Mensch und Maschine darstellen. Um diese das Panzerwrack auszustellen, benötigen wir die Genehmigung zur Nutzung der Fläche durch den Bezirk Mitte von Berlin.

Die ursprüngliche Mail an die Stadträtin Neumann, die für die Nutzung des öffentlichen Raums zuständig ist, wurde nicht beantwortet. Das ausgefüllte Formular an eine weitere Stelle der Verwaltung Mitte für Kunst- und Kulturprojekte blieb ebenfalls unbeantwortet. Erst als nach sechs Wochen morgens der Checkpoint-Newsletter des Tagesspiegels darüber berichtete, kam wenige Stunden danach eine Eingangsbestätigung der vor Wochen abgeschickten Mail.

Der Checkpoint am 21. Juli 2022: „Enno Lenze, Museumschef im ,Berlin Story Bunker‘, will gemeinsam mit Compagnon Wieland Giebel zerschossene russische Panzer aus der Ukraine in Berlin-Mitte aufstellen. Das Ziel: der Platz vor der russischen Botschaft. Mit der ukrainischen Seite ist alles geklärt, der Kriegsschrott schon in Prag. Und so unmöglich wie es klingt, scheint das Projekt gar nicht: In Warschau hat gestern eine ähnliche Ausstellung eröffnet.“

Von russischem Kampfjet bombardierte Schule
Von russischem Kampfjet bombardierte Schule

Und weiter: „Doch Lenze und Giebel haben die Rechnung ohne die Berliner Verwaltung gemacht. Seit knapp einem Monat warten die beiden auf eine Antwort der zuständigen Bezirksstadträtin Almut Neumann (Grüne), auch auf einen Antrag für eine Ausnahmegenehmigung für Kunst und Kultur im Stadtraum kam keine Reaktion. ,Der Stand ist momentan null‘, sagte Giebel uns am Checkpoint-Telefon. ,Die Objekte haben keinen militärischen Wert mehr. Sie sind Schrott.‘  Das Bezirksamt Mitte hat auf eine Checkpoint-Anfrage zum Thema nicht reagiert. Kommt auf Wiedervorlage.“

Dieses Verhalten gab den Tenor der gesamten weiteren Bremskurses des Bezirks vor. Statt einfach zuzustimmen und sich gegen den russischen Krieg in der Ukraine zu stellen, wird als erster Grund der Ablehnung angegeben, dass außenpolitische Interessen Deutschlands berührt sein könnten, also dass Putin damit vielleicht nicht einverstanden sein könnte, als Kriegsverbrecher gebrandmarkt zu werden.

Enno Lenze dazu am 3. August 2022 zu dpa: „Wenn meine Kunst-Idee die ,außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland‘ berührt, heißt das ja, dass wir uns nun den potenziellen Drohungen von Kriegsverbrechern beugen.“

Zweites Argument der Ablehnung war, dass es sich nicht um ein Kunstprojekt handele.

Zerstörter russischer Panzer mit
Zerstörter russischer Panzer mit „Wolverines“ Schriftzug

„Es handelt es sich hier nicht um ein Vorhaben von Kunst im Stadtraum, sondern um ein dezidiert aktuell politisches Statement zum Angriffskrieg gegen die Ukraine,“ beschied der Fachbereich Kunst, Kultur und Geschichte des Amts für Weiterbildung und Kultur des Bezirks – und zwar eine Woche, nachdem der Checkpoint eingegriffen hat. Uns wird vorgehalten, die genaue Herkunft des Panzers sei nicht belegt, ein künstlerisches Konzept liege nicht vor, es handele sich „um eine deutlich politische Aktion mit Ausdrucksmitteln militärischer Propaganda.“

Zu keinem dieser Punkte wurden wir befragt. Uns wurde von dem unbekannten, namentlich nicht bekanntem Gremium keine Möglichkeit der Stellungnahme gegeben. Sie kannten weder den ausführenden Künstler, noch das künstlerische Konzept noch das potentielle Exponat. Wir wussten ja gar nicht, dass sie es bewerten sollten. Der Leiter des Amtes ist gleichzeitig der Direktor der Volkshochschule. Fraglich, wie man es in der VHS aufnehmen würde, wenn man Schülerinnen und Schülern die Bewertung eines Kunstwerkes auftragen würde, ohne ihnen Künstler, Kunstwerk oder Idee zur Verfügung zu stellen.

Die Stadträtin war zuvor Richterin am Verwaltungsgericht Berlin. Genau dieses Gericht haut ihr dann ihre Argumentation um die Ohren. Juristen würden sagen: Abgewatscht! Dr. Patrick Heinemann, unser Rechtsanwalt, einer der besten, aktivsten und bekanntesten deutschen Verwaltungsjuristen, hatte die Sache in die Hand genommen.

Zwei fundamentale Rechtsauffassungen wurden in der ablehnenden Stellungnahme des Bezirks Mitte einfach missachtet: Etwas, was in Deutschland auf der Straße oder in den öffentlichen Raum stattfindet, hat nichts mit deutscher Außenpolitik zu tun. Und wenn, dann obliegt es nicht dem Bezirksamt zu vermuten, was das Auswärtige Amt davon halten könnte.

Dann könnte man nicht gegen die Mullahs im Iran demonstrieren oder zum Beispiel kein Mahnmal in Erinnerung an die von den Japanern im Zweiten Weltkrieg vergewaltigten koreanischen Frauen aufstellen, die mit dem bösartigen Begriff „Trost-Frauen“ bezeichnet wurden. Vielleicht könnten die Japaner heute etwas dagegen haben, dass an ihre Verbrechen damals erinnert wird. Überraschung: Genau das geschah. Eine koreanisch Gemeinde stellte – erlaubt – in Berlin-Mitte solch ein Denkmal auf, die japanische Botschaft intervenierte beim Bezirk und das Mahnmal musste verschwinden.

Wir haben es mit unserer Panzer-Aktion nur dem Tagesspiegel und unserem Rechtsanwalt zu verdanken, dass es bei uns nicht so gekommen ist. Der Bezirk Mitte wollte in vorauseilendem Gehorsam Putin und seinem Angriffskrieg alles recht machen.

Zweites Argument des Bezirks war, dass es sich nicht um Kunst handelt. Super! Die Politik entscheidet frei Hand, was Kunst ist. Nein, sie beruft sich auf ein Gutachten der Kulturabteilung. Wer das Gutachten geschrieben hat, ist bis heute unbekannt. Ein Kultur-Geheimdokument des Bezirks Berlin-Mitte von nicht bekannten Personen, denen jede höchstrichterliche Rechtsprechung über die Bewertung von Kunst bisher offensichtlich verborgen blieb.

„Die Aufstellung von Kriegsgerät stellt, auch wenn dieses nur vorübergehend ist, eine erhebliche Beeinträchtigung des geschützten Erscheinungsbildes dieses Boulevards dar.“ Noch ein Versuch des Bezirks. Unser Rechtsanwalt Dr. Patrick Heinemann bat einen bekannten und erfahrenen Denkmalschützer um ein Gutachten zu dieser Frage. Prof. Dr. Leo Schmidt von der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus [29. August 2022]: „,Die Aufstellung von Kriegsgerät stellt, auch wenn dieses nur vorübergehend ist, eine erhebliche Beeinträchtigung des geschützten Erscheinungsbild dieses Boulevards dar‘. Diese Stellungnahme hat im wesentlichen den Charakter einer Behauptung; fachliche Argumente, die geprüft und ggf. widerlegt werden könnten, werden nicht vorgetragen … Um zu beurteilen, ob eine Veränderung des Erscheinungsbildes eines Denkmals als Beeinträchtigung zu werten ist, ist es unabdingbar, zunächst die konkrete Situation zu prüfen und zu begreifen … Hier ist festzuhalten, dass die Straße Unter den Linden wie kaum ein anderer Ort in Berlin für die vielschichtige und auch immer wieder schmerzliche und problematische Geschichte der Stadt steht …“

Und weiter: „Aber die Straße war auch immer Ort und Zeuge von politischen und auch kriegerischen Auseinandersetzungen, ob in den Revolutionen von 1848 und 1918 oder ganz besonders im Zweiten Weltkrieg, hier vor allem in den letzten Kriegstagen. Als Ergebnis der Kriegszerstörung und der Niederlage des NS-Reiches entstand schließlich auch die Botschaft der Sowjetunion, die heutige russische Botschaft, und auch hier beschreibt die amtliche Denkmalbegründung sehr gut den demonstrativen politischen Charakter der Architektur. Mit ihrem triumphalistischen Bauschmuck sollte sie im Zentrum der deutschen Hauptstadt keinen Zweifel lassen, wer als Sieger aus dem Krieg hervor gegangen war.“

Fazit von Prof. Dr. Leo Schmidt in seinem Gutachten: „Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Denkmalcharakter und die Denkmalwerte der Straße Unter den Linden sowie auch des Gebäudes der russischen Botschaft zu einem hohen Maße in ihrer Bedeutung als Orte der wechselvollen und auch schmerzhaften politischen Geschichte Berlins als deutscher Hauptstadt zu sehen sind. Dieser historische und politische Grundcharakter des Denkmals gibt gleichsam die Tonlage an für die ganze Lokalität. Dieses Verständnis der Situation führt daher zu dem Schluss, dass eine politisch motivierte temporäre Aktion mit der durchaus aufrüttelnden Präsentation eines Panzerwracks aus dem andauernden russisch-ukrainischen Krieg nicht nur keine Störung des Denkmalcharakters darstellt, sondern als eine wohlplatzierte Auseinandersetzung mit dem vielschichtigen historischen Hintergrund der Umgebung zu werten ist. Die vorgetragenen Gründe, die beantragte Genehmigung zu versagen, sind daher nicht stichhaltig.“

Wieland Giebel am 26. Juli 2022 zum Checkpoint: „Ich appelliere an die Bezirksstadträtin und die Senatskanzlei, eine klare Position zu diesem verbrecherischen Krieg zu beziehen und die Aktion innerhalb dieser Woche zu befürworten.“ Dann hätten wir einen Panzer aus Prag haben können und alles wäre ganz einfach gewesen. Jetzt aber standen wir vor der Frage: Aufgeben oder vor Gericht gehen?

Warum machen wir das alles?

Krater einer S-300 Rakete
Krater einer S-300 Rakete

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist dieser Krieg unser Hauptthema. Ich war zahlreiche Male in der Ukraine, in Butscha, Kharkiv, Kramatorsk, Mykolaiv, und habe Hunderte schusssichere Westen und Helme sowie medizinisches Material an die Front gebracht.

Meine Berichte dazu sind hier auf Berlin Story News zu finden, und auf Twitter kann man mich auf jeder meiner Reisen live begleiten. Aus einem Interview mit Uebermedien.de :„Als ich nach Butscha kam, wusste ich nichts von dem Ort. Den kannte ja praktisch keiner auf der Welt. Ich bin den Highway langgefahren und zufällig genau in der richtigen Minute, als sie die Straße nach Butscha wieder aufgemacht haben, weil die Russen gerade abgezogen waren. Und so habe ich genau das gesehen, was nachher um die Welt ging. Plötzlich war vor uns ein Pkw mit total vielen Einschüssen. Ich bin ausgestiegen und drumherum gegangen, um zu schauen, ob wir auf der anderen Seite herumfahren können. Und da lag eine ganze Familie, die versucht hatte, hinter ihrem Fahrzeug Schutz zu finden.“ Hundert Kilometer russische Kriegsverbrechen.

Der Hintergrund ist aber noch etwas anderes: Der Berlin Story Bunker mit der Dokumentation „Hitler – wie konnte es geschehen“, der umfangreichsten Ausstellung zu Hitler und dem Nationalsozialismus in einem Bunker unmittelbar an Hitlers Regierungsbahnhof, dem Anhalter Bahnhof. Propaganda, Krieg, Vernichtung – und schließlich der Untergang, das sind unsere Themen. Damit befasse ich mich im Bunker, der 350.000 Besucher im Jahr hat, und im Berlin Story Verlag mit seinen vielen Büchern genau zu diesen Themen.

Seit einiger Zeit zieht auch die Sonderausstellung über Memes im Krieg Besucher an, eine neue Art ukrainischer Kriegspropaganda, Ermutigung von unten, bei der jeder im Internet mitmachen kann. Die Botschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika, Amy Gutmann, ehemalige Präsidentin der University of Pennsylvania, hat sich die Dokumentation im Berlin Story Bunker vor Weihnachten 2022 mit ihrem Mann angesehen, Michael W. Doyle, Professor an der Columbia University.

Für Wieland Giebel, den Kurator im Bunker, sind Krieg und Frieden Lebensthemen, seit er als junger Mann Bundesgeschäftsführer des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer, dann als Kriegsreporter unterwegs war, bis zu seinem aktuellen Engagement als Freiwilliger in der Welcome Hall am Hauptbahnhof Berlin, wo die Flüchtlinge aus der Ukraine Tag und Nacht versorgt wurden. In Kyiv hatte er Kontakt zum Verteidigungsministerium aufgenommen.

Die Verbindung zwischen Hitler und der Ukraine heute? Die Ukraine wird als Kolonialvolk angesehen, von Hitler damals, von Putin heute. Das zitieren wir auf einer Ausstellungstafel im Bunker nach Timothy Snyder [FAZ vom 6. Juni 2022].  Timothy Snyder schrieb das maßgebliche Buch über den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine und in den angrenzenden Gebieten: Bloodlands. Zwanzig Millionen Deutsche sollten gemäß dem Generalplan Ost dort angesiedelt werden – nachdem die ukrainische Bevölkerung ermordet oder vertrieben worden war.

Nichts bestimmt unser Leben seit einem Jahr auch nur annähernd so, wie das Engagement für den Sieg der Ukraine – so wenig das auch ist, wenn man selbst keine Waffen liefern darf. Wir reihen uns ein in die unüberschaubare Menge von Initiativen mit dem gleichen Ziel. Und in Deutschland haben wir nur einen Gegner – das Bezirksamt Mitte von Berlin.

Vor Gericht gegen den Bezirk Berlin-Mitte

Das Rechtsamt der Bezirksbürgermeisterin

In Mitte hatte man dann offenbar eine Kreativ-Party. Als das Gericht, frei formuliert, nachfragte, ob der Bezirk das alles ernst meine mit der deutschen Außenpolitik und der Bewertung, was Kultur sei und was nicht, kam  – ohne auf die vorige Argumentation zu bestehen – eine ganz andere Antwort mit neuen, schlagkräftigen Argumenten: Autofahrer könnten abgelenkt werden, ebenso Radfahrer, Fußgänger könnten auf der Mittelpromenade der Linden behindert werden.

Im Antrag des Bezirks Berlin-Mitte an das Gericht vom 5. September 2022, uns die Ausstellung zu untersagen, weil der „Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet“ sei: „Überdies ist davon auszugehen, dass auch die Kraftfahrzeugfahrer durch das Panzerwrack und durch die zu erwartenden Menschenansammlungen vor dem Panzerwrack vom Straßenverkehr abgelenkt werden, so dass mit einer akuten Unfallgefahr zu rechnen ist.“

Das Bezirksamt genehmigt aber laufend Fassadenwerbung Unter den Linden, zum Beispiel dauerhaft an der wenige Meter entfernten Komischen Oper auf einer kompletten Wandfläche – das bringt nämlich Einnahmen. Die drei Kioske Unter den Linden können ihre Tische über die gesamt Breite der Mittelpromenade aufstellen.

Das Gericht widerlegt auch selbst das Argument des Bezirks Mitte, Fußgänger könnten nicht vorbei – mit einem sagenhaften Trick, nämlich einer Messung bei Google-Maps: Der Panzer ist 3,60 breit, das erfährt man auch bei Wikipedia, die Querung der Schadowstraße, wo der Panzer aufgestellt werden soll, ist 15 Meter: „Das hier streitgegenständliche Teilstück der Schadowstraße umfasst ca. 8 x 15 m (gemessen mit google maps) und bietet damit ausreichend Platz, um auch noch Fußgängerverkehr zu ermöglichen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich an den umliegenden Teilen der Mittelpromenade große Menschenmengen bilden und dadurch ein erhebliches Hindernis entsteht. Insoweit ist vor allem zu berücksichtigen, dass keine lange Verweildauer erforderlich ist, um das Panzerwrack und den damit zum Ausdruck gebrachten Protest wahrzunehmen. Ebenso hat der Antragsgegner auch keine akute Unfallgefahr aufgrund des Panzerwracks glaubhaft gemacht.“

Ein weiteres, wiederum völlig anderes Argument war:  „Durch das echte Panzerwrack können die aus Kriegsgebieten Geflüchteten (und hier sind nicht nur die Ukrainer, sondern z.B. syrische Flüchtlinge gemeint) weiter bzw. wiederholt traumatisiert werden.“

Wir waren in Kurdistan als der IS kam, wir haben selber an der syrisch-irakischen Grenze Flüchtlingen geholfen. Später auch in den Camps, dann hier in Deutschland. Wir haben diese und die Ukrainerinnen und Ukrainer zu dieser Frage befragt. Sie konnten zunächst unsere Fragestellung gar nicht verstehen, sahen uns dann etwas komisch an, als hätten wir nicht alle Tassen im Schrank. Von mehr als hundert befragten konnte niemand dieses Argument nachvollziehen.

Das Bezirksamt Mitte stellt nicht begründete Vermutungen unter spekulativer Berufung auf die Opfer von Kriegen ohne irgendeinen Beleg in den Raum –  mit dem klaren Ziel, unsere Positionierung gegen den Krieg zu diskreditieren und das Projekt, das sich gegen Putin und den Krieg richtet, zu verhindern.

Der Gerichtsbeschluss

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts

Am 3. November 2022 teilte das Verwaltungsgericht dem Rechtsamt der Bürgermeisterin mit: „Der Antragsgegner [Bezirk] wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin [uns] die beantragte straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Aufstellung eines Panzerwracks auf dem abgesperrten Teilstück der Schadowstraße, welches die Mittelpromenade der Straße Unter den Linden kreuzt, für die Dauer von zwei Wochen zu erteilen. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.“

Gewonnen. Damit ist die Sache durch. Erledigt. Fertig. Der Bezirk hat genug unserer hart erarbeiteten Steuergelder für seinen Blödsinn verbrannt. Zunächst die Stadträtin, dann das Rechtsamt der Bürgermeisterin haben viel Steuergeld dafür aufgewendet, uns nicht in die Augen sehen zu müssen, kein einziges Wort mit uns zu wechseln.

Bis heute hat den Bezirk auch das Konzept und die Idee hinter der Kunstinstallation „Todesmaschine“ nicht interessiert. Es ging von Anfang an um eine Absage, ohne die Fakten auch nur im Geringsten zu prüfen. Dafür wurden ausschließlich – und rückblickend ist das interessant –  Bereiche der eigenen Verwaltung befragt. Nicht ein externes Gutachten wurde eingeholt, nicht eine Befragung von angeblich Betroffenen durchgeführt. Wir arbeiten nie so. Wir können unsere Entscheidungen aber auch problemlos persönlich erklären. Und wir müssen alles aus der eigenen Tasche zahlen. Der Bezirk kann sich finanziell und moralisch hinter anderen verstecken.

Zugabe! Zugabe!

Ukrainische Gräber - von russischer Artillerie beschädigt
Ukrainische Gräber – von russischer Artillerie beschädigt

Doch wie im schlechten Laientheater halten sich die Akteure für wahnsinnig scharfsinnig und gut, während das Publikum um Gnade bittet. Wir hatten genug. Die Laiendarsteller riefen sich selber „Zugabe“ zu und gingen in eine zweite Runde. Denn wir konnten den gewünschten Panzer nicht schnell genug nach Deutschland bewegen und das Rechtsamt der Bürgermeisterin witterte Morgenluft. Im November und Dezember kam es erneut zu unglaublichen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Wellen von großen Raketen, Drohnen und Artillerie wurden auf Wohnhäuser, Infrastruktur, Schulen und Krankenhäuser abgefeuert. Erst erhielt ich die Nachricht, dass ein Bekannter schwer verletzt wurde und Körperteile verloren hat, dann, dass ein Sanitäter, den ich kannte, durch eine Artilleriegranate starb. Anschließend kam die Bitte, Leichensäcke zu besorgen: „Tausend oder so. Wir müssen Müllbeutel zusammenkleben um die Leute zu sichern und die Reißen beim Anheben. Das ist ein Problem, wenn wir Teile sammeln.“ So sieht der Alltag dort aus. Jeden Tag. So sehen die Nachrichten aus, die wir erhalten. Das sind die Dinge, um die wir uns täglich kümmern.

Neben diesen unglaublichen Tragödien kam es zu weitreichenden Ausfällen von Strom, Heizung uns Wasser. Leute bauten im freien Zelte auf, welche beheizt und mit Generator-Strom versorgt wurden, damit die UkrainerInnen sich einmal am Tag wärmen und ihr Handy laden können. Die Menschen in der Ukraine hatten ganz andere Sorgen, als die Genehmigungen für den Panzer zu stempeln. Ein Sachbearbeiter eines Amtes dort meldete sich mit den Worten ab, er müsse erst mal seine Familie suchen gehen. Wir hatten auch andere Sorgen, nämlich die Versorgung aller, die wir dort kannten.

Unter Kriegsprofiteuren sagt man „Chaos creates opportunity“ (Chaos schafft Gelegenheit). Gemeint ist, Gewinn aus Kriegshandlungen zu ziehen. Der Bezirk sieht das offensichtlich nicht anders. Statt zu fragen, wie man helfen kann, lief das Rechtsamt der Bürgermeisterin zur Höchstform auf und teilte dem Gericht mit: „den Antrag des Antragstellers im Schriftsatz vom 10. November 2022 zurückzuweisen.“ Unsere Argumentation, warum es schwierig sei einen klaren Termin zu nennen und warum die Lage so sei, wie sie sei, kommentierte das Rechtsamt der Bürgermeistern von Berlin-Mitte mit den Worten: „Der neuerliche Vortrag sowie der damit verbundene Antrag des Antragsgegners sind nicht nachvollziehbar.“

Mir wäre es zu unwürdig, eine solche Lage in dieser Form auszunutzen. Aber mir kam der Satz in den Sinn „Wenn dir etwas peinlich ist, bekommst du nicht genug Geld dafür.“ Ich bekomme nichts, sondern muss über meine Steuern noch die Anwälte der Gegenseite zahlen, die offensichtlich genug verdienen, dass es ihnen nicht peinlich ist, solche Briefe zu senden.

Doch Justitia geriet auch hier nicht ins Wanken. Die lapidare Antwort des Gerichtes: „in der Verwaltungsstreitsache (…) wird die Fristverlängerung antragsgemäß gewährt.“

Das Gericht hat nun mehrmals erklärt, was seine Position ist. Alle Argumente wurden mehrmals von allen vorgetragen. Der Bezirk kommt mit seiner Panzer-feindlichen Haltung nicht weiter. Also Ende? Nein!

Einer geht noch, einer geht noch rein!

Wenn man den Rechtsstreit nicht selber zahlt und am Ende für das Ergebnis nicht wirklich verantwortlich ist, kann man ja noch einen Brief ans Gericht schicken. Diesmal bemängelte das Rechtsamt der Bürgermeisterin „es sind dazu weitere Abstimmungen und Rücksprachen erforderlich, die bisher nicht erfolgen konnten.“ – Dass sie nicht erfolgen konnten stimmt nicht. Wir haben etliche Male die Abstimmung angeboten. Wir wurden immer abgewimmelt. Auch schaffen wir es offensichtlich, etliche Zeitungen, Blogs und Social Media Kanäle im Detail zu erklären, was wir wann, wie, wo und warum vorhaben.

Nur das Bezirksamt tut so, als seien keine Informationen erhältlich. Auch bezeichnend ist, dass sie per Anwalt dem Gericht schreiben, dass sie Fragen haben. Statt einfach anzurufen. Vorsorglich weist man darauf hin: „Insofern ist seitens des Antragsgegners angedacht, einen umlaufenden geschlossenen Bauzaun anzuordnen.“ Wir sind ja schon froh, dass nicht ein umlaufender und oben geschlossener Betonkasten als Sichtschutz für sensible Zeitgenossen angeordnet werden soll, sondern nur ein Zaun. Dieser kollidiert jedoch mit der Idee des Kunstwerkes „Todesmaschine“, welches die Vergänglichkeit von Mensch und Maschine darstellen und erlebbar machen soll.

Auf der Documenta ist es gang und gäbe, Kunstwerke, die mitten in der Stadt auf dem Friedrichsplatz oder in der Aue stehen, direkt anzufassen und zu erleben. In Galerien, je nach Werk, ebenfalls. Auch ist es interessant, wie sehr man sich plötzlich um Fußgänger sorgt. Berlinerinnen und Berliner können angesichts der zahlreichen über Wochen und Monate nicht entsorgten Autowracks auf Straßen und der zu Hunderten auf dem Bürgersteig herumliegenden E-Roller nur darüber lachen.

Autowracks in Berlin (Foto: Aline v. Drateln)
Autowracks in Berlin (Foto: Aline v. Drateln)

Der Vorhang zu und alle Fragen offen?

Ich war vor Kurzem das letzte Mal bei „meinem“ Exponat. Es wurde durch eine Panzermine zerlegt. Die Entropie erhielt Einzug. Der Turm fiel ab. Hinten klafft ein Loch. Der Motor ist nur noch halb da. Man kann sich vorstellen, wie schnell diese Todesmaschine ihren Schrecken verlor und nur noch ein Haufen Schrott war. Man kann sich aber auch vorstellen, wie die russischen Terroristen diese vorher benutzen, um in ihrem rassistischen Wahn ebenso schnell Leben von ukrainischen Kindern, Frauen und Männern auszulöschen. Der Panzer wird abfahrbereit gemacht.

Zurück in Berlin meldete sich die Bürgermeisterin des Bezirks Mitte telefonisch bei mir. Die ganze Sache begann vor Ihrer Inthronisierung, sie war wohl nicht auf dem Laufenden gehalten worden. Daher lief alles aus dem Ruder. Sie erklärte das Thema zur Chefsache – nun sieht es so aus, als könnte alles klappen.
Wer uns auf dieser ungewissen Reise unterstützen möchte, kann das durch eine Spende an den gemeinnützigen Verein tun.