Finnland – Besuch bei unserem neuen NATO-Partner

Foto unten: Helsinki, Bürgerplatz, zwischen dem Parlament und der Nationalbibliothek, der zentrale Veranstaltungsort Finnlands.

Hier sollte ein zerstörter russischer T-72 Panzer stehen. Das las ich in einem Online-Portal. Zwei Tage später, als ich nochmal guckte, stand da … „vielleicht“. Da hatte ich aber schon alles gebucht. In Berlin hatte die Vorbereitung unserer Aktion mit dem Schrottpanzer vor Moskaus Botschaft neun Monate gedauert. Selbst nach dem Vertrag über den Panzer mit der stellvertretenden ukrainischen Verteidigungsministerium, Hanna Maljar, und mit dem Militärhistorischen Museum brauchten wir noch Monate. Egal, mir wurde durch diesen Besuch etwas ganz anderes klar, eine historische Lücke füllte sich allmählich. Und zusätzlich lernte ich als alter Kreuzberger, wie der Molli entstand.
Mit der Flagge der Ukraine auf dem Hauptbahnhof werden die Besucher begrüßt. Ein Statement der Stadtgesellschaft.
Direkt nebenan in einem Tagungsgebäude findet ein Ausstellung mit Fotos aus dem Krieg statt – sehr viele Besucher kommen extra deswegen in das Foyer.
Es ist nicht auszuhalten. Wir, in unseren wohlhabenden, satten Städten – und so nah bei uns der blutige Überfall der Russen.
Russia is a terrorist state. Fuck Putin!

Da es mit dem russischen Panzer nichts wird, sehe ich mir das Kriegsmuseum an, das militärhistorische Museum.

Das Kriegsmuseum liegt auf der Insel Suomenlinna, einer vorgelagerten Festigung zur Verteidigung der Stadt. Mit dem Boot fährt man zwanzig Minuten.
Alles befindet sich übersichtlich in einer Artilleriehalle. „Hauptaufgabe des 1929 gegründeten Museums ist es, Objekte der finnischen Streitkräfte und der finnischen Militärgeschichte zu sammeln, zu bewahren und zu erforschen und sie der Öffentlichkeit mit Hilfe von Ausstellungen und Publikationen zugänglich zu machen.“ So ähnlich muss auch die Aufgabenbeschreibung des Deutschen Historischen Museums in Berlin lauten: Sammeln, bewahren, ausstellen – nur nichts erklären.  Das DHM hat allerdings wegen Renovierung fünf Jahre lang geschlossen. Momentan ist es ja schwierig, Handwerker zu bekommen.
Dass man keine Besucher sieht, liegt am Wetter. Es schüttet wie aus Kannen.
Die Luftwaffe war für die Finnen von extremer Bedeutung, da die meisten Angriffe der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg mit Flugzeugen oder Raketen stattfanden.
Wie in sehr vielen Militärmuseen sind Uniformen in Vitrinen zu sehen. Dazu die Erklärung, wer diese Uniform getragen hat und was die Orden bedeuten.
Winterkrieg. Winter-Tarnuniformen. Interessant an diesem Foto ist aber das Informationsblatt links neben der Vitrine. Auf sechs solchen A3 großen Blättern wird der Krieg der Sowjetunion gegen Finnland beschrieben. Es besteht keine Verknüpfung zwischen den Exponaten und den Texten. Vor sehr vielen Jahren habe ich das so auch in Belgien gesehen. Dort ging es um die Schlacht in den Ardennen im Januar 1945, Battle of the Bulge 1945. Dort gab es noch tolle amerikanische Jeeps – aber auch keine richtige Erklärung, wer gegen wen und warum. Nur, dass die Amerikaner dann gewonnen haben. Ich sollte das für einen Reiseführer beschreiben und positiv darstellen. Eine Herausforderung.
Diese Art Ausstellung gehört ins vorige Jahrtausend. Man könnte von den finnischen Museumsleuten erwarten, dass sie etwas Besseres auf die Beine stellen.
Auch die Russen, sorry Sowjets, haben schicke Uniformen.
Und die Deutschen noch elegantere. Hugo Boss hat damals mit Uniformen sein erstes großes Geld verdient. Das Unternehmen hat diese Vergangenheit aufgearbeitet, nicht unter den Tisch gekehrt.
Das Kriegsmuseum beginnt mit dieser Szene, der Ehrung der Helden des Winterkriegs, der mit Medaillen ausgezeichneten Offiziere. Ganz sicher ist es richtig, mit den gefallenen Verteidigern des Vaterlandes im Winterkrieg zu beginnen. Sie haben es verdient. Aber was der Winterkrieg ist, worum es hier eigentlich geht, erfährt man erst sehr viel später. Das erst einmal zu erfahren, hätten die Besucher verdient. Und darum ging es:

 

Die Sowjetunion fühlt sich bedroht durch Finnland? Ein Witz. Dummes Zeug. Es handelt sich um einen Überfall der Sozial-Imperialisten.

„Finnland wird in wenigen Tagen überrollt. Die haben kaum Waffen. Ihnen zu helfen, zögert den Krieg nur heraus.“ Damals die gleichen Argumente wie heute.

Stalin strebte Ende der 1930er-Jahre nach einer Arrondierung der damaligen sowjetischen Grenzen, um die UdSSR mittelfristig wieder auf den Gebietsstand des alten Zarenreiches zu bringen. Es ging also um die Rückkehr zu ehemaliger Größe auf Kosten anderer, inzwischen unabhängiger Nationen – ein rein imperialistischer Ansatz. Im Fokus standen dabei vor allem Polen, das Baltikum und eben Finnland. So sieht es der Historiker Sven Felix Kellerhoff.

Im Herbst 1939 hatte die Sowjetunion Finnland mit Gebietsforderungen in der Karelischen Landenge konfrontiert und sie mit unabdingbaren Sicherheitsinteressen für die Stadt Leningrad begründet. Nachdem Finnland die Forderungen abgelehnt hatte, griff die Rote Armee am 30. November 1939 das Nachbarland an.

 

Winterkrieg und Winter-Tarnkleidung.

Die Rote Armee überschritt nach einem inszenierten Grenzzwischenfall mit vier Armeen und fast 500.000 Soldaten, 1500 Panzern und 3000 Flugzeugen die Grenze. Bereits im September 1939 hatten die Sowjets mit der Mobilmachung für einen Feldzug gegen Finnland begonnen. Finnland standen 150.000 Mann in zehn Divisionen, dazu veraltete Geschütze und kaum Panzer oder Flugzeuge zur Verfügung. Die Finnen waren jedoch entschlossen, die sowjetischen Truppen aufzuhalten.

Schweden hätte helfen können, erklärt sich aber neutral. Die anderen in Europa haben mit Hitler zu tun und gehen davon aus, dass Finnland sowieso in wenigen Tagen von den Russen überrannt ist.

 

Man könnte diese Epauletten vielleicht besser in einem Museum für Handarbeiten ausstellen – oder hier erklären, welche Rolle sie im Krieg spielten.

Am 1. September 1939 hatte Deutschland Polen vom Westen her überfallen, am 17. September 1939 überfiel die Sowjetunion Polen vom Osten. Hitler und Stalin hatten das so im Molotow-Ribbentrop-Plan ausgemacht. Josef Stalin erklärte jedoch, der Einmarsch sowjetischer Truppen nach Polen diene dem Schutz der dort lebenden Ukrainer und Belorussen vor dem deutschen Einmarsch.

 

Britische Karikatur zum Hitler-Stalin-Pakt

Der Angriff auf Finnland erfolgte auf der ganzen Linie der etwa 1.000 km langen Grenze, von Murmansk bis Leningrad. Ziel war die völlige Besetzung Finnlands gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt von August 1939. Am ersten Tag des Kriegs ließ Stalin Helsinki mit neun sowjetischen Bombern angreifen – 91 Tote.

 

Massive Bombardierung Finnlands durch die Sowjetunion. Finnland hatte keine echte Artillerie und kaum Kampfflugzeuge. Das Land wurde allein gelassen.

Wie unter Hitler und heute unter Putin wurden dauernd Generäle ausgetauscht. Schon vor der ersten großen Offensive ersetzte Stalin den Oberbefehlshaber des Überfalls. Tausende erfahrene Offiziere waren Stalins Säuberungen um Opfer gefallen – ein Vorteil für die Finnen.

Finnische Infanterie kann sich schlau gegen die Sowjets durchsetzen.

„Man hatte uns verkündet, dass die Rote Armee die Weißen Finnen wie mit einem Blitzstrahl zerschmettern würde“, klagte ein sowjetischer Soldat. Überall lief der Vormarsch der Sowjets schleppend. Sie fuhren in langen Kolonnen über die wenigen Straßen, die Finnen kamen bei minus 35 Grad auf Skiern durch den Wald und rollten von hinten auf. Den Russen fror das Benzin ein, die Funkgeräte funktionierten nicht.

 

 

Während die Benzintanks einfroren und die Soldaten auch mit Schneeschuhen im meterhohen Schnee versanken, waren die Finnen auf den Winter gut vorbereitet: Sie besannen sich auf ein einfaches Mittel: Flasche, Benzin und Zündschnur wurden zur wirksamen Waffe gegen Panzer. Brandsätze kennt die Militärgeschichte seit Jahrtausenden. Doch im Winterkrieg bekamen sie erst einen Namen. Während die Sowjets das Land bombardierten, behauptete ihr Außenminister Molotow im Radio wiederholt, dass die die Flieger lediglich Nahrungsmittel und Brot für die hungernde Bevölkerung abwerfen würden. Die staatseigene Firma Oy Alkoholiliike Ab, die heute als Alko weiterexistiert, schickte die Cocktails samt Streichhölzern paketweise an die Front, 450.000 Stück insgesamt. Heute kennt jeder sie als Molotow-Cocktail.

 

Damit hatten die Sowjets nicht gerechnet. An zahlreichen Frontabschnitten wurden sie von den Finnen sowohl frontal wie auch aus dem Hinterhalt empfangen.

Die finnischen Erfolge führten zu einem Umschwung in der Stimmungslage: In Politik, Militär und in den Medien konnte man sich nun vorstellen, den Krieg zu gewinnen. Bei Temperaturen bis zu 50 Grad minus erfroren die sowjetischen Soldaten. „Die Straßen und Wälder waren voll von Menschen- und Pferdeleichen, ausgebrannten Panzern, Feldküchen, Artillerielafetten übersät“, schrieb eine Reporterin. „Die Toten waren steinhart gefroren, ihre Haut war dunkel wie Mahagoni. Einige hatte man aufgeschichtet wie Müllhaufen. Die Wölfe werden in diesem Winter viel zu fressen haben“.

 

Bei der Verteidigung des Vaterlandes auf heimischen Boden wachsen den Verteidigern oft gewaltige Kräfte zu, damals wie heute.

So wird das auch auf Wikipedia dargestellt: „Ursprüngliches Kriegsziel der Sowjetunion war vermutlich die Besetzung des gesamten finnischen Staatsgebiets gemäß dem Ribbentrop-Molotow-Pakt. Der Angriff wurde aber von den zahlen- wie materialmäßig erheblich unterlegenen finnischen Streitkräften zunächst gestoppt. Erst nach umfassenden Umgruppierungen und Verstärkungen konnte die Rote Armee im Februar 1940 eine entscheidende Offensive beginnen und die finnischen Stellungen durchbrechen. Am 13. März 1940 beendeten die Parteien den Krieg mit dem Friedensvertrag von Moskau. Finnland konnte seine Unabhängigkeit wahren, musste aber erhebliche territoriale Zugeständnisse machen, insbesondere große Teile Kareliens abtreten.

Die sowjetischen Verluste waren extrem – zwischen 127.000 und 265.000 gefallene Rotarmisten. Die finnische Armee hatte etwa 27.000 tote Soldaten zu beklagen.

 

Im Frieden von Moskau im März 1940 musste sich Stalin schließlich mit einer 35.000 Quadratkilometer großen „Schutzzone“ um Leningrad zufriedengeben. Das eigentliche Kriegsziel, die Rückgewinnung des 1917 in die Freiheit entlassenen Landes, musste der Diktator angesichts des ruinösen Zustandes seiner Armeen notgedrungen aufgeben.

Im finnischen Kriegsmuseum heißt es: „Im März 1940 stellte die Sowjetunion die Kampfhandlungen mit einer einseitigen Waffenstillstandserklärung ein. Die Kräfte waren aufgezehrt.“ Finnland verloren – bis heute – einen Teil seines Landes.

Die Finnen haben allen Grund, in die NATO zu kommen. Sie suchen Schutz wie die baltischen Länder. Nicht die NATO hat die Balten gelockt, die Russen haben sie getrieben.

 

12.000 Freiwillige aus anderen Ländern kämpften auf finnischer Seite, in der Air Force Leute aus 17 Ländern. Während des Winterkrieges 1939/40 standen keine deutschen Truppen in Finnland.