Ukraine unter den Nazis – Richard Giebel war dabei

Mein Großonkel Richard Giebel war dabei, aber er war kein Nazi. Er war der Bruder meines Großvaters väterlicherseits. Ich kannte ihn ganz gut. Dies ist sein Tagebuch über den Baueinsatz mit der Organisation Todt in der Ukraine, damals Sowjetunion, vom 12. März 1943 bis zum 23. März 1944. Mehr über die Famliengeschichte findet man hier ganz unten unter dem Tagebuch. 

Brücken über den Dnipro bauen: was die Ukrainer heute versuchen, um die Gebiete östlich des Flusses von den russischen Okkupatoren zurückzuerobern, hat mein Großonkel Richard dreimal geschafft, nämlich Brücken über den Fluss zu bauen. Hintergrund war allerdings, 1944 den Rückzug der deutschen Truppen aus der Sowjetunion zu ermöglichen.

Wo kommt das Dokument her?

Vor mir liegt liegt ein braunes, abgenutztes Büchlein, DIN A 6, geschrieben mit Bleistift in Sütterlinschrift. Es handelt sich um die Erinnerungen von Richard Giebel, geb. 22. November 1898, aus Schüttenitz, Leitmeritz (Sudetenland), verheiratet seit 1931 mit Božena Svobodova.

Selma Giebel, geb. Fenner, Berlin, 6. September 2003

Meine Mutter Selma Giebel wohnte zu diesem Zeitpunkt seit einigen Jahren in der 15. Etage eines Hochhauses aus der DDR-Zeit in der Holzmarktstraße nahe der Jannowitzbrücke mit Blick über Berlin Mitte. Ihr war bewusst, dass nur sie dieses historische Dokument retten konnte, weil nach ihr kaum jemand die Sütterlinschrift entziffern geschweige denn die persönlichen Verhältnisse hätte einordnen können.

Ich kannte Onkel Richard, den Bruder meines Großvaters väterlicherseits. Dabei erinnere ich mich an die Aprikosen im Garten in Schüttenitz, die Pilze und Beeren, die er im Wald sammelte und auf dem Markt verkaufte, an die sehr liebevolle Tante Božena und an das Haus mit einem großen Garten dahinter. Wikipedia: „Žitenice ist eine Gemeinde mit 1300 Einwohnern im Okres Litoměřice in Tschechien. Das über hundert Häuser umfassende Dorf liegt im Böhmischen Mittelgebirge, unmittelbar nordöstlich der alten Bischofsstadt Litoměřice.“ Mehr dazu ganz unten als Anhang.

 

Richard Giebel unten rechts. Seine Frau, die Tschechin Božena, Tante Boži, oben zweite rechts. Ganz rechts meine Mutter Selma Giebel. Und ich? 1970? Der mit dem gelben Pullover oben links.

Meine Mutter hat (mindestens) einen ausführlichen Bericht über den Besuch bei Onkel Richard geschrieben. Wir konnten Richard in der Tschechoslowakei besuchen. Er konnte seinen Bruder Ernst in Kassel besuchen. Aber Ernst konnte Richard nicht besuchen. Mein Großvater war Nazi, Mitglied der Sudetendeutschen Partei, Mitglied der NSDAP sobald es ging, Leiter eines NS-Einsatzkommandos. Seine Nazi-Gesinnung blieb ein Leben lang – so wie bei den meisten in der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Richard hingegen war Kommunist, er heiratete ein Tschechin, Tante Božena, konnte bleiben und gehörte nicht zu denen, denen heute in der reaktionären, revisionistischen Dokumentation „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ am Anhalter Bahnhof nahe dem Berlin Story Bunker gehuldigt wird. Von den 3,2 Millionen Sudetendeutschen wurden 3 Millionen nach 1945 vertrieben. Wer zweifelsfrei seine antifaschistische Gesinnung nachweisen konnte, durfte bleiben. Nach anderen Quellen blieben 4.000 Sudetendeutsche in der Tschechoslowakei, darunter Onkel Richard.

Was geschah zu Zeit?

Warum Richard Giebel im März 1943 zur Organisation Todt (OT) kam, weiß ich noch nicht. Das bedeutet aber, dass er nicht bei der Wehrmacht war, sondern in irgendeiner Form „wehruntauglich“.

Die OT, genannt nach ihrem Führer Fritz Todt (1891- 1942) war eine 1938 gegründete paramilitärische Bautruppe, die vor allem für Baumaßnahmen in den von Deutschland besetzten Gebieten eingesetzt wurde. Die Organisation Todt verfügte gegen Ende 1944 über 1.360.000 Arbeitskräfte, davon waren nur noch 14.000 „wehruntaugliche“ Deutsche, die anderen waren Zwangsarbeiter, Kriegsgefangen, KZ-Häftlinge.

Die Schlacht um Stalingrad hatte die Wehrmacht im Februar 1943 verloren – 500 Kilometer weiter östlich. Die größte Panzerschlacht der Geschichte fand vom Juli bis August 1943 bei Kursk statt, also während Richard in der Ukraine war – 450 Kilometer nördlich, als deutlich näher an Deutschland. 5.000 sowjetische Panzer standen 2.500 deutschen gegenüber. Die Verluste betrugen auf sowjetischer Seite 800.000 Mann, auf deutscher Seite 200.000.

Die wichtigsten Erkenntnisse

Es finden sich leider nicht sehr viele persönlich Kommentare in Richards Bericht. Aber er nimmt die sozialen Verhältnisse deutlich wahr. In der Nähe des Führerhauptquartiers Wolfsschanze bei Rastenburg schreibt er Es gibt nur Großbauern und arme Landarbeiter.“ Über das Vorgehen der Wehrmacht gegenüber ukrainischen Dörfern vermerkt er: „Über dem Dneper sah man helle Brände ganzer Dörfer und hörte die Sprengdetonationen unserer Sprengkolonnen. Übernachtet im Haus der Kultur. Vieles des schönen Gebäudes in Marmor.“ Vor Donezk im Donbas beim kleinen Ort Horliwka beschreibt er die Armut: „Auf der Straße sah man Männer mit zweirädrigen Wagerln in der primitivsten Ausführung ihre Habseligkeiten in glühender Sonnenhitze hin- und herziehen.“ In Slowjansk im Donezk ist er für den Bau einer Straße zuständig: „Die Häuserruinen werden abgerissen, Ziegel und Steine zum Straßenbau verwendet. Frauen, zum Teil 14- bis 15-jährige, müssen mitarbeiten. Über 200 Zivilisten, fast durchwegs Frauen.“ Über die vor der russischen Offensive Flüchtenden schreibt er: „Auf den Straßen rollen Autos um Autos. Darin mischen sich evakuierte Zivilisten mit Hab und Gut und ängstlichen Gesichtern.“ Russen als Gefangene bezeichnet er nicht als Untermenschen: „2 Gefangene werden als Köche herausgesucht, und in kurzer Zeit dampft die Küche mit einer guten Kartoffelsuppe.“ Mein Lieblingsevent: „Silvester 1943 war die selbe Feier wie Weihnachten. Musik war verstärkt worden und 25 Liter Schnaps mußte ein Zivilist brennen.“

Es kommen immer wieder Sätze vor, die wie Merkposten klingen. Da war etwas (hier mit Kamerad Kobek), an das Richard sich später erinnern will, was er aber jetzt nicht aufschreiben will: „Dann erlosch das Feuer, und das Feuerwerk mit Granaten und Splitterregen hatte sein Ende. Kamerad Kobek fährt in Urlaub. Begleite ihn zum Autobus.“

Ob seine Beobachtung im September 1943 von Respekt oder Ironie geprägt war, vermag ich nicht zu beurteilen: „Kam am 20. September 1943 vor den deutschen Heldenfriedhof I, wo 6.000 Kreuze standen in langen Reihen auf Gräbern unserer gefallenen Soldaten. In bester Ordnung war diese Ruhestätte.“

Im Oktober 1943 ist Richard Giebel bereits Polier von zwei, dann drei Brücken über den Dnepro: „2 Brücken sollen gebaut werden. Stecke mit dem Bauführer eine Brücke ab für 24 t und eine für 80 t je 38 m lang.“ Den Fluss bezeichnet er nicht mit dem russischen Namen Dnepr, sondern eher ukrainisch Dnepro – wahrscheinlich nach Hören wie bei den Ortschaftsbezeichnungen.

Dass die geschlagene Wehrmacht auf der Flucht keinen Respekt vor seiner Qualitätsarbeit zeigt, ärgert ihn allerdings: Gegen den 20. Oktober 1943 fährt viel Wehrmacht zurück, und immer ziehen Kolonnen zurück und lachen [darüber], daß wir noch Brücken bauen. Unsere 3 Brücken sind genau und sauber gearbeitet.“ Erstaunlich ist an diesem bericht auch, wie wenig koordiniert der Einsatz und besonders auch der Rückzug erscheint. Es wird leider nicht erklärt, warum alles so im Zickzack geht.  (Eine Karte dazu folgt, eine Visualisierung)

Wieland Giebel, Berlin, 9. September 2023

Das Tagebuch

Richard Giebel hat die Namen der ukrainischen Ortschaften aufgeschrieben, wie er sie gehört hat. Eine Herausforderung für den Historiker, eigentlich unlösbar. Aber Viktoriia vom Berlin Story Bunker hat geholfen und tatsächlich fast alles herausgefunden.

(Seite 1) Richard Giebel, Meine Erinnerungen

Eingerückt am 12. März 1943 zur Organisation Todt. Von Aussig mit Transport im Schnellzug ab 3/4 9 Uhr früh, an Berlin Eichkamplager 3 Uhr nachmittags. Erste Nacht im Barackenlager Berlin Grunewald II. Einkleidung und Aufnahme. Untersuchung gleich null. Ab vom Berlin Grunewaldbahnhof am 19. März 1943 abends. Die Nacht über hin- und hergefahren. Früh ab dem 20. März 1943 Berlin-Nordbhf. Fahrt im Viehwagen sitzend geschlafen. 40 Mann im Waggon. Der Transport hatte 1100 Mann; davon 400 Ausländer verschiedener Nationen, überwiegend Polen. Wir fahren über Frankfurt/Oder, Neu Bentschen (Zbąszynek), Gnesen (Gniezno), Korschen (Korsze). Nach 2 Tagen das erste mal Marsch- und Warmverpflegung erhalten und Sonntag in die Stadt spazieren gehen. Abends geht es weiter nach Rastenburg (Kętrzyn)

und am 22. März 1943 Verpflegung mit Musik empfangen. Eine Stunde später geht es mit der Kleinspurbahn weiter; 20 km nach der kleinen Stadt Barten (Barciany) wo ich meine erste Post in Form von 2 Briefen von meiner Familie erhalte. Arbeit wurde keine geleistet. Kleine Ausmärsche in die Umgebung. Essen besteht immer aus dem berühmten Eintopf; Zigaretten sowie Tabak müssen bezahlt werden. Einmal in dieser Zeit besuchte ich die Stadt Rastenburg wegen Monturaustausch. Machte einige kleine Einkäufe. Hier ist es fortgesetzt windig. Die Gegend ist schwach hügelig. Es gibt nur Großbauern und arme Landarbeiter. Die Gebäude sind in Ziegelbau.

Am 7. April 1943 werden wir durch unseren Abmarsch früh um 7 Uhr gestört. Erhielt am Bahnhof 2 eingeschriebene Briefe von meiner Familie. Um 9 Uhr geht es mit der Bimmelbahn nach Rastenburg, wo wir Verpflegung und Gewehre erhielten. Abends im Viehwagen wurden wir wieder einwaggoniert und am 8. April ging es ab 9 Uhr über Rotenfließ, Bischofsburg (Biskupiec) , Ordensburg (Zamek krzyżacki w Barcianach) auf polnisches Gebiet.

(2) Diese Holzbauten mit ihren Strohdächern im verwahrlosten Zustand geben der Ebene mit Wiesen und Wäldern ein mehr ur-romantisches Aussehen. In der Nacht, früh um 4 Uhr am 9. April 1943, wurden wir mit Warmverpflegung versehen. Es gab Nudeln genügend, was uns an dem kalten frühen Morgen sehr gut schmeckte. Es ging weiter über Lublin. Am 10. April früh 7 Uhr fuhren wir in Prmysl [Przemyśl] ein. Hier sah man viele Häuserruinen, Geschosseinschläge an den Mauern, Spuren des Krieges, die hier ihren Anfang nahmen. Wir fuhren bis kurz vor Lemberg (heute Lwiw) und mußten wieder retour fahren bis Prmysl, auf einen Außenbahnhof gestellt, wo wir 2 Tage auf unsere Weiterfahrt warteten und Kaltverpflegung erhielten.

Den 13. fuhren wir weiter über Lemberg. In Lemberg erhielten wir abends zum ersten mal wieder warmes Essen. Am 14. April über Ternopil in die Ukraine. Unsere Augen waren auf die Panzerwracks sowie ausgebrannten Autos, zerstörte Häuser gerichtet; hauptsächlich den Straßen und Bahnen entlang. Die Bahnhöfe, und überwiegend Magazine, waren zerstört und gesprengt. In Podworocischka (Pidwoltschysk, Підволочиськ )

habe ich 300 Stück Zigaretten um 750 mit Mundstück gekauft. Es waren viele Sachen aber zu sehr hohen Preisen zu kaufen.

Am 16. April 1943 fuhren wir in Dnipropetrovsk (= Dnipro) ein, fuhren über den zur Zeit noch angeschwollenen Dnjeper Dnipro. Am Bahnhof wurden wir in 2 Gruppen geteilt. Die große Gruppe nach Novratil, wo auch ich und mein Freund Klemisch Josef mit eingeteilt wurden. Die anderen warteten. Wir mussten alle einsteigen, und es ging weiter in Richtung Stalino (= Donezk), wo wir am 17. April in Trodovskaya ТРУДОВСКАЯ

auswaggoniert wurden. Mußten 4 km bis zu unserem Quartier in eine große Schule laufen, wo wir so 600 Mann in einem Gymnasium untergebracht waren. Am 20. April 1943 ging es mit Autobussen, die Gruppe Novratil, wieder weiter über Stalino nach Horliwka Горлівка (30 Kilometer südlich von Bachmut) liegt in der Oblast Donezk]. 1/2 6 Uhr wurden wir in einer Fachschule untergebracht. In der Stube waren wir 6 von Außig (Sudentenland) Gekommenen beisammen. Auf der Straße sah man Männer mit zweirädrigen Wagerln (kleinen Wagen) in der primitivsten Ausführung ihre Habseligkeiten in glühender Sonnenhitze hin- und herziehen. Hier blieben wir bis 24. April 1943. Am 24. April mußten wir alle antreten und wurden truppenweise aufgerufen. Ich kam zu Trupp 675 und 3 Stunden später sollten wir mit den Autobussen weiter. Hier mußte ich von meinem Freund Klemisch Abschied nehmen und von allen anderen Befreundeten wir getrennt. wurden

(3) Über Kostjantyniwka Костянтинівка, [Druzhkivka, Дружківка, Oblast Donezk], Kramatorsk, Slowjansk Слов’янськ nach Bylbassiwka Билбасівка Bulbasowka. Hier, wo wir in den kleinen Häusern Quartier bezogen, ohne Küche, wurden wir abgesetzt. Ostersonntag 1943 ohne frühs Kaffee und Mittagessen. Am 26. April wurde die Küche herangebracht, und wir erhielten wieder regelmäßig Essen. 27. April gingen wir halbtagsweise Straßen ausbessern. Am 1. Mai 1943 wurden wir mit 2 Lastkraftwagen mit allem Gepäck bei Regen zu unserem Trupp 675 nach Slawjonsk [Slowjansk Слов’янськ Oblast Donezk] gebracht. Wir bezogen Privatquartiere. Ich bin mit 2 Deutschen aus Litauen beisammen. In einer Stube. Habe mir aus einem zerstörten Häuserblock ein Eisenbett verschafft, meinen Papierstrohsack mit Polster mit Stroh angefüllt und mich häuslich eingerichtet. Montag den 3. Mai 1943, 10 Minuten vor 5 Uhr wird an- und weggetreten zur Arbeit am Straßenbau. Die Häuserruinen werden abgerissen, Ziegel und Steine zum Straßenbau verwendet.

Frauen, zum Teil 14- bis 15-jährige, müssen mitarbeiten. Über 200 Zivilisten, fast durchwegs Frauen. Am 10. Mai muß die Straße betriebsfertig sein. Abends um 5 Uhr ist Feierabend, und wir gehen uns das Mittagessen und Verpflegung holen. Mittwoch 5. Mai werden 14 Stunden bis zur Fertigstellung gearbeitet. Wir erhalten nun Geld, Waren, 80 Stück Zigaretten, 1 Flasche Rotwein und für 5 Mann 1 Flasche Schnaps. Samstag gehe ich 4 km zur Stadt, wegen Angina, mit dem Sanitäter zum Arzt. Habe Rachenkatarrh und Gaumenentzündung. Die russischen Flieger belästigen uns jede Nacht mit ihrem Bombenabwurf. Abends 9 Uhr werden 3 Bomben ganz in unserer Quartiernähe abgesetzt. Ich habe 2 Tage dienstfrei. Sonntag, den 9. Mai, wird auch gearbeitet. Die Stadt Slawjimks (= Slowjansk Слов’янськ Oblast Donezk) ist vom Kriege arg mitgenommen. Und immer wieder fallen Bomben und richten ihr Zerstörungswerk weiter. Am 12. Mai 1943 erhalte ich von meiner Familie den ersten Brief in Russland. Am 13. Mai mit Luftpost geantwortet. Am 15. Mai von Schwestern Annl und Martha Post erhalten. Am 16. Mai Abmarsch mit dem Zug in Richtung Losowa Лозова Oblast Charkiw, Losowaja.

Am Bahnhof Dubowo (= Dubove Дубове Oblast Charkiw) wurden wir am 17. Mai 1943 früh 4 Uhr ausgewaggoniert und gingen neben der Station in den kleinen Ort Malinovka ( =Malynivka Малинівка Oblast Charkiw) in Quartier. Wurden hier wieder beim Straßenbau eingesetzt an der Straße Barwenko – Losowaja [Losowa Лозова Oblast Charkiw, etwas südlich von Perwomajsk] mit russischem Zivil. Am 21. Mai werde ich mit 5 Kameraden nach der größeren Ortschaft Babolatowa (= Burbulatove Бурбулатов Oblast Charkiw) gebracht in ein Quartier, wo wir an der selben Straße arbeiten. Um 9 Uhr haben wir russischen Fliegertiefangriff. Auch wird mit Maschinengewehren geschossen.

(4) Ich ging in Deckung. Am 27. Mai 1943 war ich mit einem Kameraden Martin Eier, Kartoffeln und Öl fechten. Es hat sich gelohnt. Bei Regen legten wir 18 km zurück. Am 31. Mai 6 Stück, 10 dg, Packerln erhalten von daheim. Am 5. Juni 2 Stück 1-kg-Päckchen von daheim. Post bekam ich viel. Die Arbeiten an der Straße gehen weiter. Wir arbeiten bis Pfingsten an der Verschönerung der Dorfstraße in Malinowko. Die Pappelallee gibt diesem schlichten Kolchosendorf ein idyllisches Aussehen. Bin seit 7. Juni wieder im alten Quartier zurück. Arbeiten bis 27. Juni immer wieder an der Hauptstraße. Am 15. Juni ist der große Teil vom Trupp zu Brückenbauarbeiten abgegangen. 27. Juni immer wieder an der Hauptstraße. 27. Juni früh 3 Uhr Straßensperren; wegen Regen zugemacht. Essen und Verpflegung ist gut; und bekommen öfters Marketenderware zu kaufen.

Werde vom Stabe am … als Polier eingesetzt. Vom 1. Juli – 3. Juli nachts auf 8 km weite Straßenwachkontrolle. Vom 4. bis 6. Juli 45 km fliegende Straßenreparatur gegen die Front zu. Zivil wird mit eingesetzt. Früh 3 Uhr Tagwache. 7. Juli 1943 von 1 Uhr Tagwache. Hole in Barwenkowo 100 Kriegsgefangene zum Straßenbau. 35 km zu Fuß. 5 Uhr abends eingetroffen. 22. Juli 1943 Bekanntgabe zum Kameradschaftsführer befördert. Vom Haupttruppenführer Lohr bekannt gegeben. 8. Juni 1943 und 9. Juli 1943 nach Barwenkowo (= Barwenkowo Барвінков, Oblast Charkiw) wegen Zähnen. 10. Juli 1943 übernehmen in Barwenkowo die Herrichtung des 0.5 Reviers. 15. Juli fliegen unsere Bombenstaffeln im fortlaufenden Einsatz. Auch am 16. Juli von der Front Trommelfeuer hörbar. In der Nacht russischer Fliegerangriff auf Barwenkowo. 24. Juli stärkere feindliche Fliegertätigkeit bei Nacht.

27. Juli Fleckfieberimpfung D1 und 1. August 1943 Fleckfieberimpfung D2. Der Arzt Dr. Weidlich in Urlaub. Ein neuer Arzt löst Dr. Weidlich ab. 3 Bomben wecken mich aus dem Schlaf. Splittergraben wird hergestellt. 7. August 1943 = 6 russische Fliegerangriffe bei Tag mit Bomben und Bordwaffenbeschuß. Mache mittags Sonnenbad neben dem Revier auf der Wiese. Bin eingeschlafen. Die Schüsse aus Bordwaffen wecken mich. Ich konnte nicht mehr vom Platz. Kurz darauf wurde die Bahn und der Getreidesilo mit Bomben belegt. Bei dem Getreidesilo entstand ein größerer Brand und eine hohe Feuersäule schoß gegen den Himmel. Danach eine schwere Rauchentwicklung und eine furchtbare Explosion – daß die Erde zitterte und im Revier die Scheiben krachten. Daraufhin setzten sich die Explosionen fort. 400 Bomben. Man mußte in gute Deckung gehen. Leuchtspurgeschosse, Leuchtraketen, Granaten pfiffen durch die Luft. Splitter heulten. Es war, als wenn die Hölle los wäre. So 900 m vor uns über die Wiese in dem Silo war das Munitionslager getroffen worden und in Brand. Ein großer

(5) Teil der hohen Beton- und Eisengerüste stürzte ein. Wir konnten abends kaum das Essen holen. Ich machte mich mit einigen auf und unterwegs kamen die Russen. Wir gingen in Deckung. Sie schossen wie wild aus den Bordwaffen. Sie deckten die Bahn mit Bomben ein. Am 8. August ließen erst die Explosionen etwas nach und in der Nacht trafen Bomben noch einmal das Lager und verursachten noch einige stärkere Explosionen. Dann erlosch das Feuer, und das Feuerwerk mit Granaten und Splitterregen hatte sein Ende. Kamerad Kobek fährt in Urlaub. Begleite ihn zum Autobus.

Am 9. August 1943 fahre ich zu meinem Trupp nach Malinowka s.o. im Auto 35 km zurück. 10. August 1943. Fahre mit Auto einige km zum Straßenbau mit Zivilleuten. Am 12.,13.,14. August 1943 mit einigen Männern vom Trupp in die Sandgrube Sand schaufeln, aufs Auto. Wird für den Winter zur Straßenbestreuung gebraucht. Am 13. August abends löst ein Flieger in unserer Nähe 4 Bomben aus. Am 18. August mit einem Auto nach Barwenkowo zur Einheit wegen Urlaub … Mit Auto zurück. 19.8. von Barwenkowo mit dem … Zug um 1/4 4 früh [= 3:15 Uhr] nach Losowaja zum Urlaubszug. Zwischen Kowel und Brest fahren über Poltawa, Kiew, Kowel Barwenkowo (= Барвінкове Oblast Charkiw), Brest zwei mal auf Mine gefahren. 8 Tote, 28 Verletzte. Mit 30 Stunden Verspätung in Brest angekommen. Am 22. August Baden und Entlausung. Abends 18:51 Uhr weiter über Warschau, Breslau, Görlitz. Da umgestiegen, über Reichenberg, Tetschen. Umgestiegen. In Leitmeritz am 23. August um 9 Uhr abends. Urlaub bis 23. September. Abschied von meiner Familie. Um 9 Uhr abends vom Bahnhof nach Dresden. In Dresden mit dem Urlauberzug TS 182 über Görlitz, Breslau, Warschau, Brest. An am 19. Sept. um 1/2 11 Uhr vormittags. Hunderte Urlauber sammeln sich. Erst am 16. September weitergefahren bis Kowel. Dritten Brief von Kowel in die Heimat gesandt. Abends 9 Uhr Weiterfahrt nach Fastiw Фастів, Oblast Kiew. Am 17. in Fastiw übernachtet. Am 18. September um 1/2 12 weiter nach Dnepropetropfts [= Dnipro]. Am 19. September in Dnepro abends 9 1/2 Uhr angekommen. Über dem Dnieper sah man helle Brände ganzer Dörfer und hörte die Sprengdetonationen unserer Sprengkolonnen. Übernachtet im Haus der Kultur. Vieles des schönen Gebäudes in Marmor. Schlief auf Steinfliesen. Es war mir kalt, aber durch die lange Fahrt schlief ich doch. Kam am 20. September 1943 vor den deutschen Heldenfriedhof I, wo 6.000 Kreuze standen in langen Reihen auf Gräbern unserer gefallenen Soldaten. In bester Ordnung war diese Ruhestätte. Meldete mich beim O.T.-Block und traf hier Herrn Dr. Weidlich. Am selben Tag fuhr ich noch mit einigen Kameraden durch die von Zivil und Militärfahrzeugen verstopften Straßen 15 km südwestlich zu meinem Trupp. Birbabaika.

(6) Schrieb 2 Briefe in die Heimat. Wache geschoben. Am 23. September gehen wir mit Pferde- und Ochsengespannen sowie Gefangenen unseren Rückmarsch wieder an. Übernachtet in einem großen Strohhaufen. 24. September geht es weiter. Auf den Straßen rollen Autos um Autos. Darin mischen sich evakuierte Zivilisten mit Hab und Gut und ängstlichen Gesichtern. Wir übernachten in einer Ortschaft. Wachen werden immer nachts aufgestellt. Morgens geht es wieder weiter, am 25. September 1943 sehr schönes Wetter. Übernachten in einer Kolchose. Wir verschaffen uns immer Kartoffeln und Hafer für die Tiere. Sonntagmittag treffen wir beim Trupp in Alexandrovka II ein. 26. September Montag geht es zum Brücken- und Straßenbau so 4 km weiter mit den Gefangenen. So geht es bis 1. Oktober. Am 2.10. bekomme ich Marschbefehl mit Gefangenen und Gespannen voll geladen 50 km der Front zu, in die Nähe von Dnepro nach Baschinabalka. Um 1/2 11 Uhr fahren wir ab, um 3 Uhr nachmittags erreichen wir die Kolchose wo wir am 25. 9. übernachteten und gehen hier wieder in Quartier. 2 Gefangene werden als Köche herausgesucht, und in kurzer Zeit dampft die Küche mit einer guten Kartoffelsuppe. Nächsten Morgen gibt’s Kaffee und um 3/4 7 Uhr fahren die Fuhrwerke los. Als man die Gefangenen abzählt, [fehlt einer,] den wir erst den zweiten Tag haben. Nach kurzer Zeit krachten Schüsse in einem Maisfeld. Da wurde er von einem Wachtposten erschossen. Wir ziehen weiter im Finstern so ca. 40 km und erreichen unser Quartier in Baschinabalka. In einem kleinen Zimmer der Dorfschule mit 4 Mann Quartier. 4. Oktober = frei. Wasche mir die Wäsche. 5. Oktober zur Baustelle mit dem Autobus 8 km weit. 2 Brücken sollen gebaut werden. Stecke mit dem Bauführer eine Brücke ab für 24 t und eine für 80 t je 38 m lang. Flußbettausgrabung beginnt und mit Loren werden die hohen Brückenauffahrten aufgeschüttet. Nachts müssen Autos nach Dnepro fahren, um aus der Frontnähe lagerndes Holz im feindlichen Feuer zu holen. Ich führe als Polier diese Baustelle. So geht es Tag um Tag. Machen noch eine 10 m lange Brücke in der Nähe. Werde mit verschiedenen Arbeiten betraut. Wir bekommen von der Wehrmacht jeden Tag noch 50 Gefangene zur Arbeit. So geht es bis zum 20. Oktober bei Regen, Sturm und Wind, wochentags wie sonntags. Gegen den 20. Oktober 1943 fährt viel Wehrmacht zurück, und immer ziehen Kolonnen zurück und lachen [darüber], daß wir noch Brücken bauen. Unsere 3 Brücken sind genau und sauber gearbeitet. Das Flußbett wurde noch ausgegraben und sind um 22.10 Uhr abends knapp fertig. Bekommen noch abends durch Kurier den sofortigen Abmarschbefehl. Am 23. Oktober fuhren wir 4 Uhr morgens ab. Ich hatte das Auto mit Gepäck und

(7) wir fuhren so 40 km nach Petrowka (= Petriwka Петрівка, Oblast Donezk) zurück. Hier sammelten wir uns. Pferdegespanne und Gefangene kommen nach. Haben in einer Schule Quartier. Hier müssen wir warten, bis wir weiteren Befehl bekommen. Man spricht, wir sind eingeschlossen und warten. Am 26. Oktober 1943 fahren wir los mit 2 Autobussen, Traktor mit Anhänger, Pferde- und Ochsengespanne sowie den Gefangenen. Alles nicht Wichtige wird zurückgelassen; Gepäck wird verringert. Ich fahre im Autobus. Wir fahren über Apwetolovka zum Stab und weiter über Kaonka, wo noch an der Straße drei russische abgeschossene Panzer brannten; so wie auch ein Teil der Stadt brannte. Von Russen in Brand geschossen. Das war der freie … Überall wurden große Viehherden nach rückwärts getrieben. Evakuierte Zivilisten mischten sich mit [unter] im Rückmarsch, der große Formen angenommen hatte. Wir fuhren diesen Tag ca. 300 km und kamen nach Sednewka Sednivka, Седнівка, Kirowohrad, wo wir im Einsatz zum Brückenbau kommen sollten. Auch hier wurde es gefährlich, und wir wir fuhren am 27. Oktober 1943 wieder weiter über Bobrinetz (= Bobrynez Бобринець), wo wir Post bekamen. Weiter nach Nowo Ukrainka Novoukrayinka, Novoukrainka, Kirovohrad Oblast, Ukraine, 27101 ins Quartier – und warteten hier in Ruhe weitere Befehle ab. Die Beschäftigung war Holz stehlen für die Küche und Wasser holen unter meiner Aufsicht. Nowo Ukrainka, eine ländliche Stadt. Am 3. November fuhren wir wieder 90 km vor nach Sednewka (= Sednivka, Kirowohrad, Седнівка, Kirowohrad) zum Brückenbau über Bobrinetz. Die Brücke wurde 50 m lang. Pelutten wurden ins Wasser gerammt. Ich bezog mit einem Kameraden Schandl aus Südböhmen in einer großen Schule Quartier. Wurde wieder zur Beförderung am 6. November 1943 eingegeben und am 9. November nochmals zum Kameradschaftsführer befördert. Ich habe von den Polieren die Oberaufsicht. Das Holz zur Brücke mußte bei anderen Firmen organisiert werden. Viel Zivil wurde zur Arbeit herangezogen. Am 23. und 24. fuhren 13 Mann in Urlaub. Die Brücke war Ende November fertig. Ich fuhr am 30. November nach Kirwograd (= Kropywnyzkyj, Кропивницький, Kirowohrad) nach Verpflegung und besuchte Kameraden Klemisch und Kirpal aus Aussig. Blieb bei ihnen über Nacht. Wir hatten Abmarschbefehl nach Kasanka, konnten wegen vielem Dreck nicht fahren. Ich ging mit Gefangenen Holzfällen für die Küche. Am 11. Dezember 1943 fuhr ich wieder nach Verpflegung nach Kirwograd (Oblast Mykolajiw), Kasanka, (Казанка, Oblast Mykolaji)

Wurde geräumt und wir mußten nach Nowo Ukrainka nach Verpflegung. Auf den Straßen strömten Autos um Autos. Zivil. Alles wich rückwärts. Am 14. Dezember waren russische Panzer bis nach Ustinowka (= Ustyniwka Устинівка Kirowohrad) vorgedrungen. Alles ging zurück. Wir haben noch keinen Befehl dazu; aber vorbereitet sind wir. Es wurden nachts mehrere Panzerwachen aufgestellt.

(8) Von der Front her dröhnt mächtiger Kanonendonner. Das dauert so 8 Tage. Mit den Gefangenen habe ich 3 starke Bäume gefällt, 1,30 m über dem Schnitt, und zerkleinert. Es war etwas Frost und Schnee. Wir hatten den ganzen Tag Lagerfeuer und haben darin Kartoffeln gebraten. Wir hatten nur wenig Beschäftigung an Brücken und Straßen. Sand wurde in Haufen wegen Glatteis an die Straßen gefahren. Am 24. Dezember hatten wir mit dem ganzen Trupp eine geschlossene Weihnachtsfeier bei gutem Essen. Wein und Schnaps mit Musik und humorvollen Vorträgen gaben eine sehr gute Stimmung. Der Gabentisch war schön gedeckt. Am 25. Dezember 1943 abends wurde noch Holz auf die Autos geladen für 4 kleinere Brücken zum reparieren. Die Arbeit war in 3 Tagen fertig. Dann gab es wieder Ruhe. Silvester war die selbe Feier wie Weihnachten. Musik war verstärkt worden und 25 Liter Schnaps mußte ein Zivilist brennen. Ich fuhr auf 2 Ortschaften nach Zwiebeln und tauschte verschiedene Sachen für Eier, Speck und Hühner. Am 10. Januar 1944 war ich in Bobninez bei der Einheit. Am 12. Januar 1944 rückten wir alle ab nach Olgapol (= Ol’hopil‘ Ольгопіль, Oblast Mykolajiw) so lautete der Marschbefehl. 50 km. Ich führte die Pferde und die Gefangenenkolonnen. Wir übernachteten in Waworvoka (Yur’ivka Юр’ївка, Kirowohrad), einem schönen Kolchosendorf, und hatten gutes Quartier. Am 13. ging es weiter. Wir mußten durch einen kleinen Fluß und holten unseren Trupp um 2 Uhr nachmittags bei Olgapol ein. Den 14. früh gings weiter, 35 km über Jelanez (= Jelanez Єланець Oblast Mykolaji) nach Vilkisilone (= Voznesens’ke Вознесенське Oblast Mykolajiw), wo wir nachts 7 Uhr zum Trupp ohne vorbereitetes Quartier kamen. Ich fuhr immer vor, um Wege und Straßen zu erkunden. Den 15. früh fuhr ich mit meinem Kik zur Einheit als Kurier. Machte in 5 Stunden 30 km. Sonntag war noch Ruhetag und Montag, den 17., bekamen wir Marschbefehl nach Ternowka (= Terniwka Тернівка, Kirowohrad) in Richtung Uhmann (= Uman, Умань Tscherkassy). Am 17. machten wir 30 km bis Wosnessensk (= Wosnessensk Вознесенськ Oblast Mykolajiw.) Kommen erst beim Finsteren im Quartier an. Bekommen für 2 Tage Marschverpflegung. Am 18. ging es weiter in Richtung Peromaizk (Perwomaisk Первомайськ Oblast Mykolajiw) und blieben in Alexandrovka (= Olexandriwka, Олександрівка, Oblast Mykolajiw) erst hier und über Nacht. Am 19. Januar 1944 weiter in dieser Richtung und blieben in Komtantivovka (= Kostyantynivka, Костянтинівка, Oblast Mykolajiw)

Am 20. 1. 44 blieben wir in Kuritschims (= Krynytschky, Кринички, Oblast Mykolajiw) über Nacht. Die Pferde mußten unter freiem Himmel bleiben, weil vor uns ein starke ukrainische Polizei-Wagenkolonne den Ort belegte. Wir mußten uns in die Quartier mit hineindrängen. Blieben den nächsten Tag noch hier. Die Polizei zog ab. Tauschte für Feuersteine 24 Eier und 2 Liter Milch. Am 22. ging es weiter nach Parmomoisk (= Perwomaisk, Первомайськ, Oblast Mykolajiw) und holten Marschverpflegung und Pferdefutter sowie Brot für 40 Gefangene. Ich aß nachmittags im Soldatenheim.

(9) Auch war ich über den Bug mit meinem Pferd in Golta. Den 23. Januar 1944 fuhren wir, nachdem unser Strohwagen an einem Strohhaufen gefüllt war, weiter, und kamen nach 25 km in ein schönes Quartier. Dogapristan Dowha Prystan, Довга Пристань, Oblast Mykolajiw. Am 24. Januar 1944 setzten wir einen Ruhetag ein. Wir wurden gut bewirtet im Quartier. Wir setzten unseren Weg weiter fort und kamen am 25. Januar 1944 nach Golowanetz = Holowaniwsk, Kirowohrad, Ukraine. Kaufe 100 Pakete Majorka und blieben hier über Nacht. Am 26.1. durchzogen wir die Wälder von Golowanetz, wo viele Partisanen hausten. Kamen unbehelligt durch. Am 27. Januar 1944 kamen wir nach Ternowka Terniwka, Тернівка, Kirowohrad, wo der Trupp liegen sollte. Er war schon wieder weiter nach Mankowka (= Mankiwka, Маньківка, Tscherkassy) bei Krozinoselka am Berg. Am 29. Januar 1944 kamen wir in großem Schlamm beim Trupp an. Wurden nicht sehr freundlich empfangen, weil wir zu lange auf Reise waren. Am 30. 1. 1944 fuhren wir mit Autos auf rumänische Seite, 30 km, Holz fällen. Bauten im Quartier am 1. Februar 1944 einen Ofen. Am 3. Februar fuhr ich mit 4 Pferdegespannen nach Uhmanin nach Verpflegung. 67 km ein Weg. Nach 5 Tagen kamen wir unter großen Strapazen in Morast und Dreck beim Trupp wieder an. Machte 3 Tage krank, und am 18. Februar kam ich zum Einheitsstab als Quartier- und Verpflegungsmeister. Am 23. Februar fahre ich mit Auto vom Feldlazarett für den Stab nach Verpflegung über Uhmann nach Cristinovka (= Chrystyniwka, Христинівка, Tscherkassy). Am 27. Februar übersiedeln wir nach Brazlov am Bug. Am 1. März 1944 fahre ich nach Verpflegung nach Geisin Hajssyn Гайсин, Winnyzja. Am 9. März 44 nach Verpflegung nach Winniza (= Winnyzja, Вінниця) 60 km entfernt. Die Straße war eine Autokolonne, und wir kamen nur schrittweise vorwärts. In Winniza war ich bei [Kamerad] Klemisch über Nacht. Nach 4 Tagen, am 12. März 1944, kamen wir wieder beim Stab an. Am 13. März 1944 mußten wir sofort nach rückwärts aufbrechen; der Russe war bei Uhmann durchgebrochen. Hungrige Lanzer, ärmlich gekleidet, ohne Gepäck und Gewehre, kamen bettelnd an. Wir fuhren über Majilev (= Mohyliw-Podilskyj Могилів-Подільський), Winnyzja am Dnester (= Tyra heute) lang und dann nördlich und kamen nach 3 Tagen am 15. März 1944 in Minkowe an und ließen uns nieder. Am 19. März 1944 fuhr ich nach Verpflegung nach Komeneta-Podolly (= Kamjanez-Podilskyj, Кам’янець-Подільський,  Oblast Chmelnyzkyj). Es sind 60 km, mußten übernachten, weil kein Brot da war. Erst am nächsten Tag bekamen wir welches. Fortlaufend fuhren die Auto- und Pferdekolonnen nach rückwärts. Auch wir rückten am 22. März 1944 wieder ab. Straßen waren verstopft; es war kein Vorwärtskommen. Nachts um 1/2 1 Uhr nach Karnenetz-Podolks am Morgen. 23. März 1944 wieder weiter zum Dnesterübergang, einer Pontonbrücke bei Cudin (= Хоти Oblast Tscherniwzi).

Hier endet das Tagebuch

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Auszug aus meiner ausführlichen Stellungnahme zur reaktionären Dokumentation „Flucht, Vertreibung und Versöhnung“, einer Art Erika-Steinbach-Gedenkstätte.

Božena und Richard Giebel in Schüttenitz, Žitenice, einem Dorf in der Nähe von Leitmeritz, Litoměřice, im Mai 1970.

Der Mann auf dem Foto oben ist (in Tschechien) geblieben. Er war schon zur Nazi-Zeit kommunistisch oder tschechisch-national eingestellt und heiratete eine Tschechin, Božena. Er wohnte gern im wärmsten Ort Böhmens, hatte einen großen Aprikosengarten, lebte vom Verkauf seiner Produkte aus Garten und Landwirtschaft auf dem Markt. So lernte ich Onkel Richard 1970 kennen. Von seinem Bruder, meinem Großvater, wurde er nie mehr besucht. Das hatte einen guten Grund: Mein Großvater hatte ein Einsatzkommando geleitet. Er war ein Nazi-Mörder.

Insgesamt wurden drei Millionen der knapp über 3,2 Millionen Sudetendeutschen vertrieben. 4000 blieben, waren also keine Nazis. Dazu gehörte Richard Giebel.

Was den Besuchern in „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ dargelegt wird, ist keine seriöse Geschichtsinterpretation. Positive Beispiele wie das meines Onkels Richard kommen nicht vor. Die Ausstellungsmacher haben exakt die Perspektive der Vertriebenenverbände übernommen, die Haltung von Erika Steinbach. Wie soll man den Ausführungen Glauben schenken, wenn es Beispiele wie dieses gibt – oder die vielen anderen schon aufgeführten Verdrehungen? Da ich kein Experte für sudetendeutsche Geschichte bin, kann ich nicht beurteilen, ob mein Onkel die absolute Ausnahme ist. Es wäre Sache der beteiligten Historiker gewesen, das einzuordnen. ((Kommentar eines Historikers: Man gehe von 4.000 Sudetendeutschen aus, die geblieben sind – eine nicht unerhebliche Menge an einzelnen Menschen mit ihren einzelnen Schicksalen.))

Es geht nicht nur um Onkel Richard. Viele Ungarndeutsche und Deutsche in Rumänien sind geblieben. Deutschstämmige aus Ungarn zum Beispiel kamen erst nach dem Ungarnaufstand 1956 und aufgrund des Ungarnaufstands nach Deutschland. „Die Bundesregierung begrüßte die aus weiten Kreisen der Bevölkerung kommende Bereitschaft, Ungarnflüchtlinge in Privathaushalten aufzunehmen.“ Es kamen Hunderte Ungarndeutsche (die also zu der Zeit noch in Ungarn waren), erst wurde 3.000, dann 6.000 Plätze zur Verfügung gestellt. Sehr ausführlich in Sándor Csík, Die Flüchtlingswelle nach dem Ungarn-Aufstand 1956 in die Bundesrepublik Deutschland.