Ukraine – Alltag im Krieg, Oktober 2023

Sitzen die Ukrainer immer in ihren tiefen U-Bahnhöfen? Gibt es genug Lebensmittel zu kaufen? Was machen Teenager am Wochenende? Was ist, wenn mitten im Krieg ein Kind auf die Welt kommt?
Ich hatte diese Themen ausgespart, weil die Bilder und Videos aus dem Alltag den Eindruck vermitteln könnten, es sei alles halb so schlimm. „Eine Illusion an Leben, die jede Sekunde zerstört werden kann“, sagt Vitali Klitschko. Du weißt nicht, wann die nächste Rakete kommt. Das möge man beim Lesen dieses Beitrags im Kopf behalten, der nur eine Ergänzung zu Roadtrip Richtung Bachmut ist. In dem Beitrag beschreibe ich den russischen Terror. Ich lege nahe, diesen Beitrag zuerst zu lesen.

Alltag und Front – es wird deutlich, dass die Ukraine keine militarisierte Gesellschaft ist. Das ist gut und schlecht. Gut, weil es nicht Richtung Kriegsdiktatur geht. Schlecht, weil die einen kämpfen und sterben, die anderen im Café sitzen. Wie sich das entwickelt, ist derzeit, Ende 2023, offen.

Fangen wir damit an, wie ich in Odessa ankam, um 4.30 Uhr morgens, und zwar mit dem Bus vom Flughafen Chișinău in Moldau. In den online-Foren steht: Der Bus hält am Flughafen auf der Straße gegenüber der Tankstelle. Genau so!

Die Straßenbahnfahrerin in Odesa muss bis fünf Uhr warten, Ausgangssperre. Was ich als Erstes lerne: Man kann mit Highheels eine Straßenbahn fahren. Elegant.

Odesa mit einem S, das ist ukrainisch.

Ich laufe lieber die halbe Stunde zum Hotel und sehe diese vielen schönen Häuser.

Freitag, der 13. Oktober 2023 mitten in Odesa gegen 22 Uhr – die Ausgangssperre beginnt um 24 Uhr, dann müssen aber alle tatsächlich zu Hause sein. Bis kurz zuvor geht es auf den Straßen hoch her. Video 1:45

Und am Samstagabend sehe ich viele Pop up Kneipen und Cafés in den Höfen

Am Samstagnachmittag ist im Stadtpark Schmuckbörse, ein Mädchenthema:

Gleich daneben musizieren diese beiden jungen Frauen:

Und mitten im Krieg werden Touristen durch die Stadt geführt:

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Vor dem Opernhaus parkt eine Limousine für das nächste Hochzeitsfoto:

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Gleich nebenan ist nämlich das Standesamt:

Das Opernhaus (1887) ist vom gleichen Architekten wie das in Wien:

Das Wiener Architekturbüro Fellner & Helmer war auf den Bau von Theatern spezialisiert und insgesamt am Bau von 48 Theatergebäuden in Europa beteiligt.

Vor dem Opernhaus nimmt eine K-Pop-Gruppe ein Video auf, 45“

So viele so schöne Häuser sind erhalten:

 

 

Und dieses Museum

Die Fensterscheiben sind bereits mit Tischlerplatte geschützt. Viel nützt das nichts: Zwei Wochen nach meinem Besuch kam genau dort eine russische S-300 herunter. Ich hatte in Berlin gerade Besuch aus Odesa. „Hätte ich zu Hause bleiben müssen? Meinem Kind ist eben nichts passiert, aber es hätte sein können. Sie haben gehört, wie die Rakete kommt und einschlägt – ganz in der Nähe. Bin ich eine Rabenmutter? Es gibt keinen Urlaub vom Krieg.“

Kulturelle Höhepunkte waren für mich zwei Besuche in der Oper. Tatsächlich wird diese ganze repräsentative Show-Kulisse des Opernhauses erst jetzt seiner wahren Bestimmung zugeführt:

Was geboten wurde, war sensationell. Seit langer, langer Zeit habe ich keine so hervorragenden Aufführungen gesehen. Giselle, ein Ballett aus dem Jahr 1841 von Adolphe Adam. Wie am nächsten Tag bei Carmina Burana standen Musik und Tanz im Vordergrund, nicht der Dirigent, der bei uns meist als Star herausgestellt wird, nicht die Solotänzer, sondern das Corps, vor allem nicht der Regisseur, der irgend etwas ganz Besonderes interpretiert (ich muß dabei immer an die onanierenden Soldaten im 1. Akt von Carmen in der Deutschen Staatsoper Berlin denken, die sich ein perverser Regisseur ausgedacht hat, die eigentlich mit den jungen Frauen der Tabakfabrik in deren Pause flirten).
Die Stücke in Odesa sind dagegen in ihrer Klassik belassen. Das war so schön.

 

Giselle
Carmina Burana

Ich verabschiede mich nach einigen Tagen von Odesa und fahre mit dem Bus nach Uman.

Uman

Zur Erinnerung: In Uman führte mich diese junge Frau auf verschlungenen Wegen durch die Plattenbausiedlung, in die eine russische Rakete eingeschlagen war, mitten in der Stadt, fernab von jeglichem Militär.

Zwischen Stadtzentrum und dieser Plattenbausiedlung am Rande der Stadt sah ich eine lange Wand voller Murals. Es folgen ziemlich viele Fotos, aber ich möchte die Wandgemälde nicht untergehen lassen, weil sie den künstlerischen Aspekt des Krieges zeigen, den Überlebenswillen, auch den Witz der Ukrainer:

Eine der Eingangsfragen war: Gibt es genug zu essen? Ja, die Supermärkte sind voll mit allem. Uman hat 82.000 Einwohner, ist also eine mittelgroße Stadt. Im Supermarkt mitten in einer Wohngegend habe ich normale Leute gesehen, genauer kann ich das nicht fassen.


In anderen Städten ist es entsprechend. Wie es in der Näher der Front ist, kann ich nicht aus eigener Anschauung beurteilen. Die Filmberichte zeigen dort ein ganz anderes Bild, nämliche eine miserable Versorgungslage: Polizisten bringen zweimal in der Woche Essen in die Dörfer.

Ich verabschiede mich von Uman und mache mich auf den Weg nach Krywyj Rih.

Krywyj Rih

Die Stadt mit 653.000 Einwohnern, in der ich so viele zerstörte Gebäude gesehen habe, dass mir kaum etwas anderes ins Auge fiel. Eine Industrie- und Forschungsstadt, die Heimat des Präsidenten.


Auf den Resten des Spielplatzes vor dem zerstörten Haus tummeln sich Jugendlich.

Saporischschja

Wieder geht es mit dem Bus weiter. Gegenüber liegt das von den Russen besetzte Atomkraftwerk, die größte Anlage in Europa. Die Russen kümmern sich nicht um die Sicherheit. Kühlwasser fehlt, weil sie den Staudamm weiter oben zerstört haben. Auch im November 2023 wäre es fast wieder zur Katastrophe gekommen, sagt die Internationale Atomenergie Behörde, weil die Stromzufuhr von den Russen bombardiert wurde, die für die Kühlung der heruntergefahrenen Reaktoren gebraucht wird.

Ich bin mit dem Bus von Krywyj Rih über diese Brücke nach Saporischschja gekommen, eine der letzten über den Dnipro/Dnepr. Alles, was man hier vorne als trockene Fläche sieht, war voller Wasser, meterhoch.

Am gegenüberliegenden Ufer die Industrie, gebaut am Fluss, um Wasser zu haben und um Güter herbeizubringen und wegzufahren. Es ist erstaunlich, dass die Ukrainer es innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten schafften, die Schwerindustrie wieder zum Laufen zu bringen.

Als Enno Lenze wenige Monate vor mir in Saporischschja war, hatte er einen Geigerzähler mit. Es war keine erhöhte Radioaktivität zu messen. Also – die Fische leuchten, aber strahlen wohl nicht.

 

Dnipro

Dnipro, wo ich nachts durch die Sirenen aufgeschreckt wurde und morgens zu diesem Haus ging, in dem gerade zwei Menschen durch eine russische Rakete umgebracht wurden.

Die Handwerker sind schon früh am Morgen da und schneiden die Tischlerplatten zu, um die zerstörten Fenster der Kirche sofort dichtzumachen.

Bringt so eine PopUp-Bunker etwas? Würde er direkt von einer Rakete getroffen, sicherlich nicht. Aber wichtiger ist der Splitterschutz.


Hier steht er vor dem Bahnhof von Dnipro. Die Schutzbunker sind überall in den Städten verteilt.


Am Busbahnhof: Es geht nach Lwiw, Warschau, auch nach Stettin oder Danzig – und für mich nachher nach Kramatorsk. Es ist ein Leid mit den Busbahnhöfen. Ich wartete am Falschen. Ein Mann brachte mich im Dauerlauf zu diesem. NUR freundlich und hilfsbereit. Nichts anderes habe ich auch auf dieser Reise erlebt.

Granatapfelsaft in der Nähe des Bahnhofs – angeboten von weniger wohlhabenden Menschen.


Und gleich daneben ein Schicki-Micki-Blumenladen.

Das historische Museum in Dnipro war geschlossen, so wie sämtlich historischen Museen, die ich besuchen wollte, bis auf das Nationale Militärhistorische Museum in Kyiv.


Im israelischen Restaurant Moshe in Dnipro mache ich mich für die Weiterfahrt bereit.

Das ist, neben Saporischschja, die andere intakte Brücke über den Dnipro/Dnepr.

Kramatorsk

In den Osten, Richtung Front. Ich fahre gerne wie die Einheimischen mit den 24-Sitzer-Bussen, da kommt man sich näher. So nah wollte ich aber eigentlich gar nicht. Mich hat es hinten auf einen der Notsitze verschlagen. Vier Stunden lang. „Keiner bleibt zurück“ scheint die Losung zu sein. Es wird immer voller. Da passt doch in die Mitte noch ein Hocker. Aber immerhin, ich überstehe fünf Checkpoints. Bei einigen wird im Bus kontrolliert, bei anderen müssen alle raus. Beim Letzten rutscht mir das Herz in die Hose, denn es sah so aus, als könne ich mit einem Bus auf der gegenüberliegenden Seite zurückfahren. Dann sitze ich doch wieder auf meinem Notsitz. Geschafft. Oder? Doch!

Wir sind im Donbass, fahren durch den ländlichen Donbass. Gelegentlich tauchen Halden auf.

Ländlich, aber Bergbau und Industrie. Ursprünglich haben belgische Unternehmer und Arbeiter zur Zeit des russischen Zarenreichs die Industrieregion aufgebaut.
Die Menschen leben von ihren Gärten und Feldern umgeben. Mitten im Krieg und nicht weit von der Front entfernt ist alles super gepflegt, selbst die Parks und Wäldchen.

Was will Putin hier? Im russisch besetzten Gebiet des Donbass sieht – oder eher sah – es ähnlich aus. Die Menschen wollen in Frieden leben. Es gibt nicht viel zu holen. Kohle? Gibt es in Russland im Übermaß. Industrie? Alles kaputt.

Putin hat alle Schlachten verloren: die um Kiew, die um Charkiw, die um Odessa – und seine Marine musste sich aus großen Teilen des Schwarzen Meeres zurückziehen, weil er auch dort verloren hat. Er ist ein Loser.

Die Front ist zwar mehr als tausend Kilometer lang, davon wir auf knapp hundert Kilometern tatsächlich gekämpft. Aber worum wird eigentlich gekämpft? Welchen Vorteil soll das den Russen bringen? Es ist irrational. Aber für die Ukrainer geht es um ihr Land.

Das ist, was mir überall auffällt: Das Land ist nicht arm. Relativer Wohlstand überall. Was nicht bedeutet, dass man einen Krieg finanzieren kann.


Grund zum Strahlen am Busbahnhof Kramatorsk. Der Busfahrer hatte sich verfahren. Ich habe das auf Google Maps genau verfolgt. Von Dnipro nach Kramatorsk hätte es eine direkte, relativ große Straße gegeben. Aber jetzt fuhren wir auf einer Betonpiste auf Bachmut zu, also zur umkämpften Front. Nicht auf einer Straße, sondern auf einer ruckelnden und durchlöcherten Betonpiste. Links überholten uns auf einem Feld Ambulanzen. Das war aber nicht das Feld, sondern eine Militärstraße, ebener als die Piste, auf dem Feld angelegt. Nichts davon habe ich fotografiert. Alles, was irgendwie militärisch eingeordnet werden könnte, gehört nicht aufs Handy. Noch zwanzig Kilometer bis zur Front. Dann verstehen ich: Der Bus fährt einen Umweg nach Kostiantynivka. Das ist der Ort, an dem mehrere Frauen aussteigen, teilweise mit Kindern, um ihren Mann an der Front zu besuchen.

Kramatorsk mit seinen ehemals 160.000 Einwohnern wirkt wie eine Geisterstadt. Zahlreiche Geschäfte in der Hauptstraße sind geschlossen. Kaum Verkehr. in der Welcome Hall am Berliner Hauptbahnhof hatte ich 2022 viele Flüchtlinge aus Kramatorsk versorgt. Kramatorsk ist der Ort, an dem die Russen die auf ihrer Evakuierung wartenden Menschen am Bahnhof beschossen und mehr als 60 getötet haben.

Elektromobilität kann so einfach sein. In allen Städten habe ich O-Busse gesehen.

Die Soldaen kleiden sich selbst ein. Überall gibt es solche Geschäfte. Der Sold ist so (soll so sein), dass diese Ausgaben abgedeckt sind. Darüber hinaus ist für viele Einheiten Crowd Funding existenziell, besonders für die Territorialverteidigung, also die Freiwilligenverbände, die in die Armee eingegliedert sind. Vom Berlin Story Bunker aus versorgen wir einige dieser Einheiten regelmäßig mit allem, was zulässig ist, was nicht unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt.

Ein Café. Hier ist es aber anders. Hier sitzen häufig Soldaten, die kurze Erholzeiten haben. Es ist nicht so wie in den Städten weit von der Front entfernt, dass das normale Leben weitergeht. Hotels haben keine in Kramatorsk auf. Bei Booking heißt es: „Kramatorsk: Keine Unterkünfte gefunden.“ Man muss wissen, wo man unterkommen kann.

Der Mann, der mich durch die Stadt führt, zeigt mir auf seinem Smartphone sein zerstörtes Haus in der Nähe von Bachmut. Dort ist er aufgewachsen. Er spricht russisch und ist aus ganzem Herzen Ukrainer. Jetzt fährt er Taxi in Kramatorsk. Taxi heisst, er kutschiert mit seinem Auto wahrscheinlich mich als einzigen Touristen und sonst Soldaten herum. Mit meinem Smarthone-Übersetzer können wir uns gut unterhalten. Anschnallen? Er winkt ab. Als der Lada gebaut wurde, hat der Gurt wahrscheinlich funktioniert.

Eine weiterbildende Schule, eine Ingenieurschule, wenn ich mich recht erinnere.

Das Gebäude neben der Pizzeria, die von den Russen zestört wurde.

Es sollen sich dort früher gerne ausländische Journalisten aufgehalten haben. Aber nicht vor zwei Wochen, als die Bombe kam. Da gab es in Kramatorsk schon lange keine Journalisten mehr.

Parks, manchmal wirken sie wie Überbleibsel aus sowjetischer Zeit. Park ist Park!

Und Panzer ist Panzer. Super Klettergerüst. Wie war das in Berlin? Die zuständige Stadträten in Berlin Mitte, Dr. Almut Neumann von den Grünen, wollte verbieten, dass Menschen zu dicht an den von uns aufgestellten, zerstörten russischen Panzer kommen, weil sie sich wehtun könnten. Und der Panzer überhaupt, er sollte erst gar nicht aufgestellt werden, weil Radfahrer vom Rad fallen könnten, wenn sie ihn sehen und syrische Flüchtlinge könnten traumatisiert werden. Echt? Ja, steht so in einer der zahlreichen Stellungnahme des Rechtsamt des Bezirks Mitte an das Gericht.

Charkiw Kharikiv

Auch wieder zur Erinnerung: Charkiv ist die Stadt im Osten der Ukraine, zwanzig Kilometer von der Grenze zu Russland, in der ich wieder nachts durch einen Alarm aufgeschreckt wurde. Die Postverteilstelle von Nova Poschta war von einer russischen Rakete getroffen worden – sechs Tote, 14 Verletzte.

Das Raketen-Monument mitten in der Stadt erinnert an die ständigen Angriffe, denen keiner ausweichen kann.

Charkiw ist eine moderne Großstadt mit unzähligen Universitäten und Hochschulen. Ein entfernter Verwandter von mir, ein „Cousin“, studierte hier – er kam aus Indien, wie vor der Full Scale Invasion 60.000 weitere indische Studenten in der Ukraine.

Hier wie in jeder Stadt sind große Parks.

„Glücklicher Unabhängigkeitstag – stärkste Nation“ steht auf dem Transparent des zentralen Verwaltungsgebäudes.

Wenn etwas mit der Oberleitung des Busses nicht funktioniert holt der Fahrer nicht den Techniker, sondern klettert selbst eben hoch. Die Berufsgenossenschaft in Deutschland würde das nicht zulassen. Alles ist in Deutschland komplizierter und teurer – sicherer nicht.

Diszipliniert in den Bus einsteigen. Das habe ich selbst in England nur in alten Filmen gesehen. Junge Menschen werfen ihren Müll in den Papierkorb, gehen bei grün über die Ampel, stehen im Bus für ältere auf. Komisches Land 🙂

Kiew/Kyiv

Mit der Bahn fahre ich nach Kyiv. Das dauert fünf Stunden und kostet 20 Euro. Es geht hauptsächlich um den Besuch bei unseren Freunden und Kooperationspartnern im Nationalen Militärhistorischen Museum.

Vor dem Außenministerium stehen weiterhin zerschossene russische Militärfahrzeuge und Panzer – immer andere.

Jedoch habe ich das Mahnmal Babyn Yar noch nicht besucht. Über den Holomodor und das Holomodor-Museum berichte ich ausführlich am 1. September 2022 in einem früheren Beitrag aus Kyiv.

In Babyn Yar wurden die Juden erschossen, mit Pistolen. Das war vor der Zeit der Vergasungen. Insgesamt wurden im Holocaust zwei von sechs Millionen Juden mit der Hand ermordet. Im Berlin Story Bunker gehen wir darauf und auf Babyn Yar ausführlich ein.

Die Juden aus Kyiv mussten sich 1941 an einem Ort versammeln. Historische Aufnahme im Berlin Story Bunker.

Dann wurden sie nach Babyn Yar gebracht, erschossen und in die Schlucht geworfen. Sie standen unter Schockstarre. Im Berlin Story Bunker stehen die Besucher dieser Situation direkt gegenüber. Über die Zahl der Opfer gibt es keine verlässlichen Angaben. Das Sonderkommando 4a gab in einem eigenen Bericht an, dass am 29. und 30 September insgesamt 33.771 Menschen ermordet wurden. Auf die Angaben des Sonderkommandos stützte sich später auch das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal.

Dass es von den Ausgrabungen einen Film gibt, wusste ich nicht:

Lwiw


Kyiv Hauptbahnhof. Diese Züge fahren alle, sie fahren pünktlich ab und kommen pünktlich an. Die Fahrt nach Lwiw dauert sieben bis zehn Stunden und kostet 20 Euro, besser, als mit dem Bus. Viel besser, als mit dem Auto.


Ich will hier ein Bild vom Entwicklungsstand des Landes vermitteln.

Kleinstädte und Dörfer wirken sehr gepflegt, die Felder sind bestellt.


Es geht vorbei am Bahnhof Kosjatyn (1889), einem Eisenbahnknotenpunkt in der Oblast Winnyzja. Die Bahnstrecke wurde 1870 eröffnet.


Und weiter viele Stunden durch die herbstliche Landschaft. Der Zug hat WiFi und einen Speisewagen.


Lwiw, Flohmarkt in der Nähe des Bahnhofs.


Begeistert laufe ich durch diese schöne Stadt zum Hotel.

Hier sollte es weitergehen mit einem Bericht zum historischen Museum – geschlossen, zum jüdischen Museum – geschlossen, zum Museum zur ukrainischen Geschichte – geschlossen, und vor allem zum wichtigen Lonzki-Gefängnis, dem Erinnerungsort an die totalitäre Vergangenheit der Ukraine – geschlossen. Nichts davon bei Google. Ich weiß, wie oft Google uns fragt, ob der Bunker weiter so geöffnet ist, mehrmals im Jahr. Wenn das Geld der Museumsangestellten auch so kommt, muss man sich um die Besucher nicht weiter kümmern.
Daher geht es hier weitgehend kommentarlos mit Sightseeing in dieser wirklich begeisternden Stadt weiter. Wobei der Schluß, mein tatsächlich letzte Erlebnis, ein Horror war.

Die Universität

Dann komme ich zum Denkmal für Bandera und sehe tatsächlich einen Typen, der mit seiner Freundin den Hitlergruß macht. Es würgt mich. In Deutschland ist das verboten. Es gibt viele Urteile, bei denen Menschen zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden, auch Ausländer. Ich sehe mir das zwanzig Minuten lang an und habe unzählige Fotos davon.

Bandera, so sieht es Wikipedia, arbeitete anfangs mit der deutschen Wehrmacht zusammen und seine OUN-B-Milizen übernahmen nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Lemberg/Lwiw teilweise die Polizeigewalt. Sie trugen maßgeblich zu den Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung bei und bereiteten unter anderem Verhaftungen und Massenerschießungen vor. Nachdem andere Mitglieder der OUN einen unabhängigen Staat ausgerufen hatten und Bandera die Rücknahme der Erklärung verweigerte, inhaftierte die Gestapo Bandera von Juli 1941 bis September 1944 im KZ Sachsenhausen als Ehrenhäftling mit besseren Haftbedingungen, während zahlreiche seiner Anhänger verhaftet und in Konzentrationslager überstellt oder von der SS erschossen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg floh Bandera zurück nach Deutschland und wurde in der Sowjetunion in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er wurde 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordet.

Ende Wikipedia. Wer zu diesem Punkt etwas mehr lesen möchte, dem empfehle ich den beitrag von Gerd Simon in Ukraine verstehen:

Bandera – der über­an­strengte Mythos

Und wer es ganz genau wissen möchte, möge sich die beiden Beiträge von Grzegorz Rossolinski-Liebe ansehen, auf die sich Gerd Simon bezieht.

Stepan Bandera wird zumindest in der westlichen Ukraine weiterhin als Freiheitsheld verehrt. Sonst gäbe es das riesige Denkmal in Lwiw nicht, sonst wäre der ehemalige ukrainsche Botschafter in Deutschland nicht darüber zu Fall gebracht worden. Ich schreibe das hier, weil man die Frage nicht ausklammern kann, weil nach dem Krieg Klarheit geschaffen werden muss und – meiner Meinung nach – das Denkmal weg muss.

Allerdings, das soll auch nicht unter den Tisch fallen, bei den Wahlen im Sommer 2019 in der Ukraine hatte die rechtsradikale Partei Swoboda nur 2,4 Prozent der Stimmen. Andere europäische Länder können von so wenigen Rechtsradikalen nur träumen.

Nur noch 800 Kilometer nach Berlin, für 40 Euro, einmal in Przemysl übernachten, der ersten Station in Polen. Und schon bin ich nach 16 Stunden Fahrt zu Hause am Ostbahnhof. Den Rest kann ich wieder laufen.
Das ist die wahre Ukraine. So habe ich das Land und die Menschen in allerbester Erinnerung.