Irland – Oktober 2022. Besuch bei der Witwe eines Freiheitskämpfers

Ireland so green. das ist immer noch so, obwohl es statistisch weniger Regen gibt. Die Menschen meinen aber, es regne wie früher, nämlich dauernd.
Als ich das erste Mal Mitte der Siebzigerjahre nach Irland kam, hatte ich nicht so einen schönen Blick. Windräder (oben rechts) gab es auch nicht. Damals bin ich getrampt, hauptsächlich mit Lastern. Also vom Ruhrgebiet über den Kanal, auf der M1 durch England in den Norden, und wo Schottland anfängt nach links abbiegen Richtung Fähre nach Nord-Irland. Die Lastwagenfahrer haben mich nicht verstanden. Ich sie auch nicht.
Deirdre Bunting und ich vor dem Haus, in dem ihr Vater, Ronnie Bunting, am 15. Oktober 1980 ermordet wurde. Er wollte am nächsten Tag mit seinem Freund Noel Little ins Gefängnislager Long Kesh, Gefangene vor dem geplanten Hungerstreik besuchen. Premierministerin Margret Thatcher, die Eiserne Lady, ließ zehn irische Republikaner verhungern, die wie Hunderte andere als politische Gefangene anerkannt werden wollten, statt als Kriminelle bezeichnet zu werden.
Gegenüber hängt diese Plakette, die an die Morde erinnert. Die Täter waren protestantische, also loyalistische nord-irische Freiwillige der Britischen Armee. Die Polizei RUC, Royal Ulster Constabulary, hatte das ganze Viertel in dieser Nacht abgeriegelt. An der Planung der Tat war der britische Geheimdienst SAS beteiligt.
In Belfast wurde unter militärstrategischen Überlegungen gebaut. Diese Siedlung zum Beispiel ist außen so durch Mauern abgeschlossen, dass es nur ein oder zwei Zufahrtswege gibt, die sich leicht kontrollieren lassen oder die man leicht schließen konnte. Eine ganza Hochhaussiedlung zum Beispiel, Divis Flats, wurde ganz abgerissen, weil dort zu viele Sympathisanten der Irisch Republikanischen Partei IRSP und deren bewaffneten Flügel INLA wohnten, Irish National Liberation Army. Die Häuser waren im Kreis gebaut, wirkten dann wie eine Trutzburg, weil man über die nach innen ausgerichteten durchgehenden Balkons gut kommunizieren und alles übersehen konnte, jede Hausdurchsuchung. Stattdessen entstand dort eine Siedlung ähnlich wie auf diesem Foto.
Zur Siedlung, in der die Buntings damals wohnten, führt die Whiterock Road. Dieses Wandgemälde erinnert an die für Irland gefallenen Kämpfer der INLA (hier nicht der IRA).
Deirdre und ich vor dem Gemälde. Gegenüber war früher ein Gemeindezentrum, in dem man versuchte, mir irischen Tanz beizubringen. Nicht so erfolgreich.
Mit diesen Jugendlichen hatte ich damals zu tun. Das ist ziemlich an der gleichen Stelle. Beim ersten Mal in Belfast war ich eine Art Jugendfreizeitbetreuer. Das hatte den großen Vorteil, sehr viel Menschen kennenlernen zu können.
Noch ein paar Meter weiter das (ehemalige) Whiterock Post Office. Die Kinder beobachten die britische Armee.
Bobby Sands, der erste Hungerstreiker. Während seines Hungerstreiks wurde er als Abgeordneter ins britische Parlament gewählt. Thatcher gab nicht nach, sie ließ ihn sterben, den Dichter und Schriftsteller. Neun weitere Gefangene folgten ihm in den Hungertod.
Das Wandgemälde mit Bobby Sands befindet sich in Belfast an der Kreuzung Falls Road, Sevastopol Road. In dieser Straße wohnte Ronnie mit seiner Familie 1975 – und ich. Dort beobachteten mich die Briten, bevor ich dann 1977 in London festgenommen wurde und sieben Tage in Untersuchungshaft kam – zehn Verhöre. Damals war ich der erste Ausländer, der nach dem Prevention of Terrorism Act festgehalten wurde.
Mit Deirdre fahre ich am 29. September 2022 zum Grab ihres Vaters. Wir kommen an der Stelle vorbei, wo wir damals auf der Fahrt zur Beerdigung beschossen wurden. Ich bin seit der Trauerfeier erstmals hier. Mich berührt das sehr. Für mich ist es ganz nah. Alles taucht auf wie damals.  Mehr dazu in meinem Bericht über Ronnie auf dieser Internetseite.
Die Familiengruft der Buntings liegt in einem kleinen Ort am Atlantik nordöstlich von Belfast, in Donaghadee.
Milltown Cemetry in Belfast, The Republican Plot, die Gedenkstätte für die gefallenen Republikaner.
So viele Tote. Ihrem Kampf hat Irland zu verdanken, dass die politische, wirtschaftliche und soziale Situation sich verbessert hat, dass eine Vereinigung der seit 1920 unabhängigen Republik Irland im Süden mit dem britisch kolonialisierten Nord-Irland weiter auf der Tagesordnung steht.
So friedlich, so gut. Eine Witwe, Suzanne Bunting neben (hinter) mir, mit ihren Kindern und deren Partnern. Ich freue mich, dass es zu diesem Treffen kommt. Ich soll viel über Ronnie erzählen. Ronnie ist ein Held, der für Unabhängigkeit kämpfte, ein Lehrer von Beruf, ein Erzieher seiner Gefolgschaft. Er wurde kaltblütig vom britischen Imperialismus ermordet.
Murals in West-Belfast, nur irische Flaggen. Ein Spaziergang entlang der Falls Road.

Ban plastic bullets now! Mit Plastikgeschossen der britischen Armee wurden viele Kinder erschossen. Einer von ihnen war Brian Stewart, auch hier auf dem Wandbild. Mein erstes großes Buch handelt von ihm, „Das kurze Leben des Brian Stewart„. Er war 13 Jahre alt. Ich kannte ihn und habe später mehrfach seine Mutter Kathleen und die Geschwister besucht.




Belfast mit der vielfältigen Industrie, dem Handwerk und den Werften war immer ziemlich wohlhabend, die Bevölkerung relativ gut ausgebildet – auch wenn Katholiken auf den Werften und in den großen Industrien diskriminiert waren.
Von Zurückhaltung spricht das ja nicht.
Queens. Queens University, bedeutend! Hier baute ich mit anderen 1975 eine Hüpfburg, inflatable, mit der ich mit einem Ford-Transit von Spielplatz zu Spielplatz fuhr, in katholisch-republikanischen sowie auch in protestantisch-loyalistischen Gegenden. Und heute wird so studiert – siehe Video:
Sonntagsmarkt in einer Halle im Belfast Cathedral Quarter. Ab jetzt wird es in diesem Bericht touristisch. Die Perspektive ist allerdings auch: Wie hat sich Irland entwickelt, einst das Armenhaus Europas, wie es Heinrich Böll in seinem Irischen Tagbuch beschrieb, dtv Nr 1.

Im botanischen Garten an der Queens.

Blick über Belfast vom Riesenrad im Botanischen Garten.

Abends im Pub, wo es so laut ist, dass man die jungen Musikern gar nicht richtig hören kann.


Titanic Belfast, darum geht es in den nächsten Bildern und Videos, eine seit zehn Jahren laufende Ausstellung über Bau und Untergang der Titanic, vor allem aber über die Werften, die wirtschaftliche Stärke, die sozialen Veränderungen. Sehr vielseitig, anschaulich, wirklich gut. Allerdings auch ein riesiger Aufwand – mit EU-Mitteln, 101 Millionen britische Pfund, sowie im Winter 2022/2023 nochmal ein Upgrade von 5 Millionen Pfund.

Das Kontrastprogramm, ein kleines, privates Museum nahe der Falls Road über den Kampf der irischen Republikaner, von Ehrenamtlichen aufgebaut und geleitet.

Und wieder zurück zu den enorm hohen Investitionen zur Förderung des Tourismus auf dem Land. Große Teile der HBO-Serie Game of Thrones wurden in Nord-Irland gedreht, im Bandit County South Armagh. Bandit County, weil hier früher die IRA das Sagen hatte, in den 1970ern, und die britische Armee nur aus dem Helikopter nach dem Rechten sah. Heute ist das alles anders. Von einem sehr großen Parkplatz an einem ländlichen Einkaufszentrum wird man mit einem Bus (alle 20 Minuten) abgeholt, damit der Besucherverkehr in die Studio-Tour reduziert wird. Eine gute Lösung.

Es ist aber eigentlich keine Studiotour wie in Babelsberg, wo man nahe an der Filmproduktion ist, sondern eine große Halle mit dem „Making of …“ und Szenenbildern. Gut gemacht und für diejenigen, die die Serie (mit Begeisterung) gesehen haben, sicherlich ein Glücksgefühl, quasi so mitten unter ihren Stars zu sein.

Wieland Giebel in Game of Thrones.

3. Oktober 2022, die Rundreise durch die Republik Irland, den Süden, beginnt

Dunluce Castle, auch irgendwie mit Game of Thrones verbandelt.


Man sieht ja hier den Seegang, die Wellen. „Nicht schwimmen“ steht da überall, weil die Strömung hinauszieht. Und das war so: Ich wohnte mit einem englischen Pärchen und anderen zusammen in einer WG, wir machten 1975 am Wochenende mit dem Ford-Transit einen Ausflug, gingen natürlich schwimmen und die beiden wurden von der Strömung in den Atlantik gezogen. Sie waren etwas britisch stiff, nicht so verkifft wie die anderen. Ich war ausgebildeter Rettungsschwimmer. Zwei retten ging nicht. Er war stärker. Retten, das heißt, die Frau unter die Achseln greifen und auf mich draufziehen. Ich zögerte erst, aber anders geht es nicht. So brachte ich sie an Land. Ihr Freund – inzwischen ziemlich weit draußen – wurde dann mit einem Boot geholt.

Bushmills, die älteste legale Whiskey-Destillerie der Welt. No photos please.

Giants Causeway, 40.000 gleichmäßig geformten Basaltsäulen, Weltkulturerbe seit  1986. Früher, in den 1970ern, war man hier alleine und konnte Party machen. Da wollte keiner nach Nord-Irland.

 

Derry, Free Derry Corner. Befreites Gebiet, a self-declared autonomous nationalist area of Derry that existed between 1969 and 1972.

The Battle of the Bogside was a large three-day riot that took place from 12 to 14 August 1969 in Derry, Northern Ireland. Thousands of Catholic/Irish nationalist residents of the Bogside district, organised under the Derry Citizens‘ Defence Association, clashed with the Royal Ulster Constabulary (RUC) and loyalists. It sparked widespread violence elsewhere in Northern Ireland, led to the deployment of British troops, and is often seen as the beginning of the thirty-year conflict known as the Troubles.

Bernadette Devlin

Als Blutiger Sonntag (englisch Bloody Sunday) wird ein Massaker an unbewaffneten Zivilisten am 30. Januar 1972 in Nordirland bezeichnet. An diesem Sonntag schossen Fallschirmjäger der britischen Spezialeinheit Parachute Regiments in der nordirischen Stadt Derry bei einer Demonstration für Bürgerrechte und gegen die britische Internierung von Katholiken auf mindestens 26 Demonstranten. 13 Demonstranten wurden erschossen, weitere 13 schwer verletzt. Das Ereignis führte zur Eskalation des Nordirlandkonflikts.

Der italienische Fotojournalist Fulvio Grimaldini: „Ich war in vielen Ländern, habe viele Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege gesehen. Aber nie zuvor habe ich einen derartig kaltblütig organisierten, disziplinierten geplanten Mord gesehen. Ich sah einen jungen Mann, der verwundet warund eine Wand entlang kroch. Er schrie:“ Nicht schießen! Nicht schießen!“ Ein Fallschirmjäger ging auf ihn zu und erschoss ihn aus einem Meter Entfernung. Ich sah einen Jungen, etwa 15 Jahre alt, der stand an einer Mauer und versuchte, seine Freundin zu schützen. Mit der Hand schwenkte er ein weißes Taschentuch, die andere hielt er erhoben. Sie versuchten, den Platz zu verlassen. Ein Fallschirmjäger lief auf ihn zu und schoss ihm in den Magen, dem Mädchen in den Arm.“

Das Gedenken an die Toten, an die durch britische Fallschrimjäger ermordete Iren, wird durch das Ehrenmal und die vielen Murals aufrecht erhalten.

Galway, extremer Tourismus, aber dort kann man auch gut studieren.

Für eine Nacht nach Doolin (rechts), dem Dorf mit nur wenigen Häusern und Pubs, in denen viel musiziert wird, wo Festivals irischer traditioneller Musik stattfinden. So war es früher. Heute stehen da überall Neubausiedlungen, alle irgendwie ähnlich, aber mit Blick auf den Atlantik. Musiziert wird auch, aber wohl nur noch komerziell. Ganz gut. Früher kamen die Bauern und jungen Leute einfach so zum musizieren zusammen.

Früher, also ab 1850,  wurden heiratswillige Damen auf Rinder- und Pferdeauktionen an den Mann brachte. Dann entstand in Lisdoonvarna das Match Making Festival, ein Heiratsmarkt, der sich zum größten Heiratsmarkt der Welt mit zuletzt 60.000 Besuchern (in vier Wochen) entwickelte. Das Matchmaking-Festival ist das Gegenstück zum Internet-Dating.

Auf dem kurzen Weg von Doolin zu den Cliffs of Moher. Es ist stürmisch. Komische Wolken da hinten.

30 Busse auf dem Parkplatz, hunderte PKW. Der Eintritt zu diesem Naturdenkmal ist frei. Aber die Parkplatzgebühren sind saftig, pro Erwachsener 8 Euro. Man kann nur dort parken. Eine gute Lösung.

Noch stehe ich. Von einem Moment auf den anderen zieht ein Sturm auf und Regen peitscht, dass es nicht möglich ist zu stehen. Ich werfe mich hin, bin in wenigen Minuten bis auf den Körper durchnässt. Das hatte ich noch nie erlebt. Es war wie in einem Katastrophenfilm. Im Auto eine Stunde die Heizung voll aufdrehen, um einigermaßen zu trocknen und warm zu werden.

Ennis, Soup of the day, möglichst heiß.

Thatched Cottages im Dorf Feakle, Co. Clare

Bunratty Castle. Dort war ich schon so oft. Ein Vorbild für ländliche Entwicklung. Einmal war ich mit einer Gruppe aus Brandenburg da. Die fanden das alles toll – für Irland. Irland ist ja nicht Brandenburg. Ich habe es dann aufgegeben mit der Entwicklungsarbeit für Brandenburg. Die Chipfabrik in Frankfurt/Oder, die Halle für den Cargo-Lifter, also das Luftschiff, die Autorennbahn, den Lausitzring – sie haben alle Projekte in den Sand gesetzt. Auf der Wiesenburg hätte man genau diese Formen der Regionalentwicklung wie in Bunratty übernehmen können. Aber die Burganlage wurde von der PDS-Bürgermeisterin an einen Investor für Wohnungen verkauft.

 

Doch noch etwas Revolutionäres zum Schluß, am 6. Oktober 2022 …
In diesem Pub im Limerick trank Che Guevare (einen?) Whiskey. Echt! Jerome Aan de Wiel hatte mich in dieses Pub eingeladen. Er ist Prof in Cork, und wir kennen uns irgendwie über den Anhalter Bahnhof. Jerome schrieb nämlich über die Hungerhilfe, die Irland nach dem Zweiten Weltkrieg für Deutschland leistete und die am Anhalter Bahnhof ankam. Und Che? Another visit to the region saw Guevara locked into Hanratty’s pub in Limerick. A brief article, written by Arthur Quinlan, appeared in the Limerick Leader on 15 March 1965, detailing this visit. In Limerick he stayed and drank at Hanratty’s Hotel. Its residents’ bar was nicknamed the ‘Glue Pot’ [Pot oder Poitin ist schwarz gebrannter Whiskey, also ohne Finanzamt]. While it is unknown how much drink Guevara had at the Glue Pot, Quinlan does note that by the end of the evening many of the group ‘were wearing sprigs of shamrock’. The weekend before his Irish visit, Guevara had denounced the Soviet Union for failing revolutionaries across the globe at a conference in Algiers. On his return from Shannon, he informed Castro of his intention to become a roaming revolutionary, and left for the Congo. Damals in den 1960ern mussten die viermotorigen Flieger von Europa in die USA in Shannon in Irland auftanken. Deswegen wurde Bunratty in der Nähe des Flughafens touristisch ausgebaut. Deswegen kam Che zum Whiskey, weil an seinem Flieger was war und er eine Nacht bleiben musste.
Dolores O’Riordan Mural: A mural dedicated to The Cranberries lead singer Dolores O’Riordan has been erected in Limerick by artist Aches. Mural pic by Wally Cassidy.